Drohen dem Leipziger Osten bald „Zustände wie in Connewitz“? Und was genau eigentlich bedeutet die Nutzung dieses sonst in konservativen Kreisen beliebten Frames seitens einer SPD-Stadträtin? Nachdem Nicole Wohlfarth anlässlich einer von der Polizei aufgelösten Party am 2. Dezember 2017 an der Wurzner Straße mit drastischen Worten an die Öffentlichkeit gegangen ist, weht ihr ein starker Gegenwind aus der eigenen Fraktion und ihrem Ortsverein entgegen. Einige Anwohner kritisieren derweil die Einschätzungen der Polizei zum Versammlungsgesetz.

Während die SPD auf Bundesebene darüber diskutiert, ob sie mit der Union erneut eine Regierungskoalition bilden soll, gibt es seit einigen Tagen auch in Leipzig einen öffentlich ausgetragenen Streit. Ursache ist eine polizeilich untersagte Party im Wohnhaus Wurzner Straße 2a an der Kreuzung zur Dresdner Straße. Anlass des Streits hingegen eine Pressemitteilung der Stadträtin Nicole Wohlfarth, die gefordert hatte, dass im inneren Osten der Stadt keine „Zustände wie in Connewitz“ entstehen dürften.

Vorausgegangen war eine stundenlange Straßenblockade in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf der Kreuzung zwischen Dresdner und Wurzner Straße. Etwa 150 bis 200 Personen wollten damit gegen einen massiven Polizeieinsatz demonstrieren. Die Beamten waren angerückt, um eine als illegal eingestufte und auf Facebook beworbene Party in einem privaten Wohnraum zu verhindern. Dies führte nach Angaben einiger Anwohner dazu, dass die Polizisten mehrere Häuser umstellten, Ausweise kontrollierten und Personen, die nicht dort wohnten, den Zutritt verweigerten.

Zahlreiche Menschen gingen deshalb auf die Straße – Menschen, die offenbar zur Party wollten, wurden zu Demonstranten, Anwohner kamen hinzu – einige Personen hielten dabei ein Antirepressionsbanner in den Händen. Laut Anwohnern setzte die Polizei unter anderem Pfefferspray ein, was diese bestreitet.

Wohlfarth sprach in ihrer Pressemitteilung davon, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis sich in dieser Gegend „das staatsverachtende Gedankengut der linksextremen Szene“ zeigen würde. Die Straßenblockade sei eine „gezielte Provokation“ gewesen. „Die Verachtung für das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Eigentum ist deutlich sichtbar – besetzte Häuser sind das beste Beispiel“, so Wohlfarth weiter. Schließlich forderte sie: „Im inneren Osten Leipzigs dürfen keine Zustände wie in Connewitz entstehen.“.

Sichtlich beeindruckt von den deutlich überzogenen Darstellungen der Leipziger Bildzeitung, der Wohlfarth offenbar uneingeschränktes Vertrauen schenkt, nahm sie die anderslautenden Darstellungen der Leipziger Polizei vom Montag dieser Woche vorweg und teilte mit, die Gewalt gegen Polizisten und Polizistinnen sei ein gefährliches Symptom, da diese als Repräsentanten des Staates erklärtes Feindbild seien. “Wer davon träumt unbeschränkt und anarchisch leben zu können, darf gern die Vorzüge des deutschen Passes nutzen und sich ein entsprechendes Reiseziel suchen um das zu verwirklichen“, so Wohlfarth.

Übers Ziel hinaus angesichts der wirklichen Vorgänge, gleich in mehrfacher Hinsicht, wie nun auch SPD-Mitglieder finden.

SPD-Ortsverein Süd-Ost distanziert sich

Am späten Dienstagabend distanzierten sich sieben führende Mitglieder des SPD-Ortsvereins Südost von diesen Äußerungen, darunter die stellvertretende Vorsitzende Caroline Scheer sowie die Vorstandsmitglieder Lukas Sroka und Christoph Mengs.

Ihnen zufolge ist es nicht vertretbar, dass Wohlfarth die betroffenen Wohnprojekte kritisiere und falsche Tatsachen verbreite. Beispielsweise sei es nicht zutreffend, dass die Häuser besetzt sind. Auch „den Eindruck, dass die Menschen nicht gern in Connewitz leben“, weisen die Unterzeichner zurück. Wohlfarth hätte zuerst das Gespräch mit dem Ortsverein Südost suchen sollen, dessen Mitglied sie selbst ist. „Leider ist dies nicht das erste Mal, dass sie Debatten umgeht.“

Gegenwind erhält Wohlfarth auch aus dem Stadtrat. Ihr Fraktionskollege Christian Schulz bezeichnete ihre Reaktion in der LVZ als „vollkommen überzogen“. Er kritisierte zudem, dass Wohlfarth die Darstellung eines Boulevardmediums übernommen habe, in der von Gewalt seitens der Demonstranten die Rede war. Die Polizei berichtete jedoch lediglich von „passivem Widerstand“. Den Aussagen des Stadtrates schlossen sich später die Jusos Leipzig an.

Einige Anwohner der Wurzner Straße meldeten sich ebenfalls erneut zu Wort. Sie schreiben, dass Wohlfarth „den legitimen Protest gegen die fragwürdigen Kontrollen der Leipziger Polizei“ diskreditiert habe. Zudem seien die Spekulationen über eine geplante Aktion „vollkommen aus der Luft gegriffen“.

Anwohner kritisieren Polizei erneut

Kritikwürdig sei aber auch die Erklärung der Polizei. Darin hieß es, dass niemand die Versammlung leiten wollte und es sich deshalb um eine „unerlaubte Ansammlung“ gehandelt habe. Dies widerspricht laut Anwohnern jedoch einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 1985. Demnach würde allein eine Verletzung der Anmeldepflicht nicht das Verbot einer Spontanversammlung rechtfertigen. Zudem müssen laut Urteil mögliche „Belästigungen“ von Dritten hingenommen werden, sofern sie sich nicht vermeiden lassen – übertragen auf die Situation am Wochenende wären das möglicherweise die zweitweilige Einschränkungen im Straßenverkehr gewesen.

Bereits im August hatte es eine öffentliche Auseinandersetzung innerhalb der Leipziger SPD zum Umgang mit „Linksextremismus“ gegeben. Hassan Soilihi Mzé, der Vorsitzende des Stadtverbandes, hatte nach einem Anschlag auf ein Polizeirevier gefordert, dass sich Zivilgesellschaft und Lokalpolitik „Neonazis, religiös motivierten Fanatikern und Linksextremisten gleichermaßen, vor allem aber geschlossen entgegenstellen“. Die Jusos warnten anschließend davor, die Gewalttaten aus dem politisch linken und rechten Spektrum in einem Atemzug zu nennen, da von letzteren eine größere Gefahr ausgehe.

Ob sich der öffentliche Streit um die Demonstration im Leipziger Osten weiter fortsetzen wird, entscheidet sich womöglich schon in Kürze. In der Vorbereitung auf die letzte Ratsversammlung des Jahres am 13. Dezember ist es der SPD-Fraktion schwer möglich, sich und diesem Thema aus dem Weg zu gehen.

 Protest statt Party: Polizei und Anwohner stehen sich stundenlang gegenüber

Protest statt Party: Polizei und Anwohner stehen sich stundenlang gegenüber

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Immer wieder die Phrase “Zustände wie in Connewitz”. Mir scheint es als ob die Leute (nicht nur wie oben beschrieben), die sie verwenden, sagen wollen: Ich verstehe nicht worum es geht, haue abermal richtig drauf. Langsam wird es peinlich, diese Nachplapperei. Von Verstehen oder gar Erkennen sehe ich nichts.

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