Waren am gestrigen Samstag noch vorrangig Umweltthemen der Gegenstand von Demonstrationen, Einweihungen wie die der „Warming Stripes“ auf der Sachsenbrücke oder der Krieg in der Ukraine mit einer etwa 400 Teilnehmer/-innen starken Demonstration auf dem Leipziger Ring, dominieren den heutigen 1. Mai in Leipzig vor allem Kapitalismuskritik, Kriegsablehnung und Gerechtigkeitsfragen. Den Auftakt machte der DGB und ab 15 Uhr stehen gleich drei verschiedene linke Demonstrationen an, eine ab Zentrum, eine aus dem Süden und eine im Leipziger Osten. Überschattet wurde der Tag bislang von Gewalt Rechtsextremer außerhalb Leipzigs.

Offenbar war heute auch für Rechtsextremisten wie vom „III. Weg“ und der NPD bereits vor ihrem angekündigten Aufmarsch in Zwickau „Arbeiterkampftag“. Gegen 11 Uhr überfielen jedenfalls laut der bei Twitter vorliegenden Videoaufnahmen bis zu 40 vermummte Personen im Glauchauer Bahnhof einen Zug mit Menschen aus dem Gegenprotest, welcher auf dem Weg nach Zwickau war.

Nach einem massivem Stein- und Flaschenbewurf durch Personen, von denen einige sogar Gesichtsbedeckungen mit dem Aufdruck der rechtsextremen Splitterpartei „III.Weg“ trugen, konnte der Zug zwar den Bahnhof Glauchau wieder verlassen, von einer verletzten Person war in den sozialen Netzwerken die Rede. Auf einer Aufnahme ist zudem ein Angreifer zu sehen, der mutmaßlich den Hitlergruß zeigt, bevor er mit der Faust auf eine Zugscheibe schlägt.

Die Bundespolizei meldete sich kurz danach ebenfalls via Twitter zu Wort und kündigte weitere Ermittlungen in diesem Fall des Landfriedensbruches an. Laut MDR sollen 41 Personen „aus dem rechten Spektrum festgesetzt“ worden sein.

Am Zielpunkt Zwickau ist unterdessen der rechte Aufmarsch des „III. Weg“ kurz nach 13 Uhr mit etwa 250 Personen gestartet, deutlich mehr Menschen sollen sich beim Gegenprotest eingefunden haben. Während sich in Zwickau offenbar das braune Kernsachsen trifft und bereits im Vorfeld mittels Gewalt von sich reden machte, verläuft der 1. Mai in Leipzig bislang ausgesprochen friedlich.

Pro und Contra Waffenlieferungen

Den Auftakt gestaltete die DGB-Kundgebung mit den üblichen Ständen von Gewerkschaften über Parteien, Initiativen und Verbänden auf dem Leipziger Marktplatz, welchen bislang rund 800 Menschen besuchten. Darunter auch der eintreffende Demonstrationszug der Linkspartei, welcher vor allem die Erhöhung der Militärausgaben in Deutschland im Auge hatte.

Auf der Bühne ging es dann unter anderem in einem Gespräch mit Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) traditionell um die mangelnde Tarifbindung in Sachsen, höhere Löhne und vor allem um das Vergaberecht bei öffentlichen Ausgaben. Hierin sieht Dulig die Möglichkeit, seitens des Staates darauf einzuwirken, dass sich Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, „an die Spielregeln halten“, also gute Löhne zahlen.

Neu in diesem Jahr waren die sogenannten „Kriegslasten“, deren Schulterung DGB-Bundesvorstand Stefan Körzell in seinem Redebeitrag nicht wieder bei den Lohnempfängern im Land sah.

„Wer ein Sondervermögen schaffen kann von 100 Milliarden für die Bundeswehr, der sollte sich mal Gedanken machen, ein Sondervermögen zu schaffen für Bildung, Pflege und gute Sozialleistungen“, so Körzell zu einer Utopie, die offenbar trotz SPD-geführter Regierung und der Einführung eines neuen Mindestlohns von nunmehr 12 Euro eine zu bleiben droht. Auch die vor der Bühne demonstrierende Leipziger Linke forderte den 100 Milliarden-Fond „für ein gutes Leben statt für Aufrüstung“.

Im Publikum dominierte der Ukraine-Krieg noch deutlicher. Während nach bisherigen Umfragen in Deutschland eine Mehrheit für eine stärkere Unterstützung der Ukraine auch mit Waffen ist, konnte man hier die Forderungen nach dem Stopp der Lieferungen über einen Nato-Austritt Deutschlands lesen.

Ein älteres Pärchen sah auf gleich mehreren Schildern die Schuld eher weniger bei Russland und dem Überfall auf die Ukraine, sondern bei den „Kriegstreibern“ und listete die Militärausgaben der Nato, Chinas und Russlands auf.

Leider fehlte die Angabe, dass vor allem Russland und China ihre Militärausgaben in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert haben.

Impressionen vom 1. Mai 2022 auf dem Marktplatz

15:30 Uhr: „Wir sind nicht solidarisch mit unseren Ausbeutern“

Der imperialistische Krieg in der Ukraine, Mietpreissteigerungen, Inflation und Ausbeutung: der Ton am Südplatz wird zur Stunde härter und kämpferischer als noch vor einigen Minuten bei der DGB-Kundgebung auf dem Leipziger Markt. Seit 15 Uhr läuft hier nun die Demonstration „Kampftag der Arbeiterklasse“, bei welchem die Kapitalismuskritik, welche zuvor nur anklang, voll zum Tragen kommt.

Ein Auftaktredner vom „Solidaritätsnetzwerk Leipzig“ verlangte das generelle Ende von Ausbeutung im kapitalistischen Kontext und stellte fest, dass die Arbeiterklasse die Werte schaffen würde, während andere darüber herrschten. Dieses System gelte es „zu Fall zu bringen“ (siehe Audio „Solidaritätsnetzwerk“). Derzeit belaste die Inflation vor allem die Arbeiterklasse, während die Politiker/-innen „das Märchen von der nationalen Solidarität“ erzählen würden.

Hier ist die Stimmung auch gegen die SPD-Grünen-FDP-Regierung manifester Bestandteil der Ausführungen, auch diese würden „Politik für die Unternehmen und Reichen“ machen.

Redebeitrag des Solidaritätsnetzwerkes am 1. Mai am Südplatz

Audio: LZ

Unterdessen ist eine zweite Demonstration vom Augustusplatz aus mit zirka 250 Teilnehmer/-innen gestartet, während kurz vorher die „Friedensfahrt für Kiew“ über den Ring den Ort kreuzte. Hier richtete sich die Kritik bei den ersten Redebeiträgen gegen das 100 Milliarden Euro schwere Bundeswehrpaket der Regierung und der eklatante Unterschied dazu bei den Zuständen in den Pflegeberufen und den sozialen Zuständen in Deutschland.

16 Uhr: Die Zahlen steigen

Gegen 15:45 Uhr ging es los mit der Demo vom Südplatz aus. Statt der angemeldeten 100 Teilnehmer/-innen dürfte sich die Zahl eher um die 250 bis 300 bewegen. Gleichzeitig ist die zweite Demonstration vom Augustusplatz kommend im Kolonnadenviertel auf rund 500 Menschen angestiegen.

16:30 Uhr: Anarchisten mit Routenproblem

Während sich die Demonstration, welche am Augustusplatz startete, langsam aber sicher Richtung Endpunkt Sachsenbrücke bewegt, hat die „Anarchistische Demo“ ein erstes Problem. Sie soll im Leipziger Südosten am Lilo-Herrmann-Park starten und hat offenbar Probleme mit der Strecke, die man laufen will.

Während die Strecke über die Zweinaundorfer-Breitestraße und Eisenbahnstraße frei ist, scheint es ein Baustellenproblem ab der Station Rabet (da, wo auch die Demo vom Südplatz in wenigen Minuten enden wird) zu geben. Eine Ersatzroute wird offenbar noch gesucht.

17 Uhr: Schlusspunkt Sachsenbrücke

Die am Augustusplatz gestartete Demo endet im Moment an der Sachsenbrücke, wo es zur Schlusskundgebung noch weitere Redebeiträge geben wird. Da auch diese Demonstration durch Zulauf noch größer wurde, kann man aktuell von rund 1.000 bis 1.200 Teilnehmer/-innen auf den beiden Demonstrationen in Leipzig und weitere 800 am Mittag auf dem Leipziger Marktplatz ausgehen.

17:30 Uhr: Video-Bilder vom Kampftag

Auch die Demonstration Richtung Osten ist nun an ihrem Ende angelangt. Am Schluss ging es über die Eisenbahnstraße Richtung Rabet, wo die Demonstration vom Südplatz kommend enden wird.

Nun soll ab 17:30 Uhr die letzte Demonstration des heutigen 1. Mai mit einer Kundgebung am Liselotte-Herrmann-Park (Zweinaundorfer Straße) unter dem Motto „Heraus zum anarchistischen 1. Mai!“ beginnen.

18:20 Uhr: Hilfe, die Anarchisten kommen

Sicherlich hat es auch damit zu tun, dass die anderen Demonstrationen bereits vorbei und die entsprechenden Polizeikräfte wieder frei sind. Aber die Dichte an Beamten rings um die letzte Demonstration des Tages ist schon beachtlich, flankiert von einem deutlich gewachsenen Medienaufgebot rings um die Zweinaundorfer Straße.

Natürlich hat es auch damit zu tun, dass der 1. Mai gern auch mit Gewalt verbunden ist, Gewalt, die heute bislang vollständig ausblieb in Leipzig, wie auch Polizeisprecher Olaf Hoppe gegenüber LZ vor Ort erklärt. Bliebe also noch diese letzte Demo, welche zudem ab 20:30 Uhr in den heutigen Sonnenuntergang führt.

Aktivisten, welche heute von Leipzig aus zum Gegenprotest in Zwickau waren, sollen mittlerweile auch wieder in der Messestadt zurück sein. Dennoch sind aktuell mehr Polizeibeamte vor Ort, als es Demonstrationsteilnehmer/-innen sein dürften.

Noch ist die Demonstration nicht gestartet, welche in der ersten Etappe über die Zweinaundorfer Straße, Breite Straße zur Wurzner Straße und von da aus über die Torgauer Straße zur Eisenbahnstraße und der Zwischenkundgebung am Rabet führen wird.

Danach scheint es noch einige Probleme mit der Fortsetzungsroute zu geben, die Richtung Kohlgartenstraße/Dresdner Straße zum Elsapark führen und dort gegen 21:30 Uhr enden soll.

Erste Impressionen aus der Zweinaundorfer Straße

Video: LZ

19:10 Uhr: Aus Maskenpflicht wird Vermummungsverbot

Die Demonstration steht und die Polizei greift ein. Aus dem zweijährigen Zustand, dass auf Demonstrationen zwingend Masken getragen werden sollen, wird heute also wieder die gute alte Vermummung, welche bekanntlich auf Demos verboten ist.

Bereits auf dem Weg zur Demonstration waren vereinzelt Leute von der Polizei angesprochen und kurzzeitig festgehalten worden. Nun hat die Polizei den Demonstrationszug offenbar gekesselt und die LZ-Reporter/-innen erleben eine zunehmende Gereiztheit auf beiden Seiten.

19:20 Uhr: Die Demo läuft wieder

Auf LZ-Nachfrage bei der Polizei habe es verschiedene Auflagenverstöße beim Start der Demonstration gegeben, so Sprecher Olaf Hoppe. Darunter die bereits benannten Vermummungen, wo man heute keine Masken mehr sehen will, aber auch Schirme und eingerollte Fahnen. Bei Letzterem scheint die Polizei entweder wissen zu wollen, was darauf ist oder mutmaßt Schlagwerkzeuge.

Ein Redner der Demo hatte in einem durchaus auch selbstkritischen Beitrag zum Beginn der Demonstration am Ende auch den Polizeibeamten neben den eigenen Demonstrationsteilnehmern einen schönen Abschluss des 1. Mai gewünscht – der Tonfall war dabei keinesfalls aggressiv.

Nachdem alle Auflagenverstöße beseitigt sind, darf die Demo also starten. Dafür gibt es kurz darauf an der Wurzner Straße eine erste Soliaktion von der Seite. Aus einem Fenster wird ein Bengalfeuer abgebrannt.

Die Demonstration selbst ist auf mittlerweile geschätzt 750 Teilnehmer/-innen angestiegen, als sie erneut auf der Wurzner Straße stoppen muss.

20:25 Uhr: Was friedlich begann, endet (wohl) auch so

Wenn man zur Stunde einen Strich unter den 1. Mai in Sachsen und Leipzig setzen möchte, kommen 41 festgesetzte Neonazis und durchweg friedliche linke Demonstrationen in Leipzig heraus. Sicherlich geht die Sonne nun endgültig erst unter, doch auch die anarchistische Demonstration wurde eher wegen der Auflagen drangsaliert, als dass sie aggressiv gewesen wäre.

Natürlich gab es die entsprechende (verbale) Reaktion mit „Policia Assassini“, was letztlich bedeutet, dass Polizisten, zumal hinterhältige, Mörder sind, doch auf der Straftatenliste findet sich bislang eine Null. Derzeit zumindest hängen einige Demoteilnehmer/-innen offenbar lieber in Seilen ab, als dass sie sich noch mit irgendwelchen bösen Dingen befassen würden.

Stattdessen gab es heute auch selbstkritische Töne von einem Redner zu hören. Er hinterfragte die Visionen von linker, anarchistischer Seite und wie diese und auch eine breitere Gesellschaftsschicht dafür zu erreichen wären. Auch der Prozess um Lina E. wurde natürlich thematisiert und der Übergriff auf einen Zug in Glauchau (mehr dazu, warum es heute geteilte Demos gab und zur Situation in Leipzigs linker Szene bald auf L-IZ.de)

Noch ist der Tag nicht in die Nacht übergegangen – doch bis auf einige Auflagenverstöße könnte sich der 1. Mai in Leipzig nicht nur sonnig, sondern auch friedlich gezeigt haben.

Nachtrag: Es gab noch eine Vorfall mit einem Leipziger Youtuber aus der sogenannten „Querdenker“-Szene, welcher nach ersten Erkenntnissen vor Ort mit einem echten Journalisten aneinandergeriet. Bis zur Stunde (23:30 Uhr) setzte sich ansonsten der Trend eines friedlichen 1. Mai 2022 in Leipzig unvermindert fort.

1. Mai-Demonstrationen

15 bis 18 Uhr, Anzeigender: Initiative „Soziale Kämpfe“, Aufzug unter dem Motto „1. Mai: Kämpfe verbinden! Wir zahlen nicht für eure Krise, soziale Sicherheit statt Aufrüstung!“ mit ca. 250 TeilnehmerInnen auf folgender Route: Augustusplatz, Gewandhausseite (Sammlung & Auftakt) – Augustusplatz Mittelfahrbahn – Goethestraße – Brühl – Hainstraße – Markt – Thomasgasse – Thomaskirchhof – Dittrichring (Außenring) – Otto-Schill-Straße – Dorotheenplatz (Zwischenkundgebung) – Kolonnadenstraße – Max-Beckmann-Straße – Reichelstraße – Friedrich-Ebert-Straße – Karl-Tauchnitz-Straße – Herzliyaplatz – Anton-Bruckner-Allee, Sachsenbrücke (Abschluss & Beendigung).

15 bis 21 Uhr, Anzeigender: natürliche Person, Aufzug „Kampftag der Arbeiterklasse“ mit ca. 100 TeilnehmerInnen auf folgender Route: Südplatz (Sammlung & Auftakt) – Karl-Liebknecht-Straße – Peterssteinweg – Wilhelm-Leuschner-Platz – Roßplatz – Augustusplatz – Grimmaischer Steinweg – Johannisplatz – Dresdner Straße – Wurzner Straße – Torgauer Straße – Eisenbahnstraße – Hermann-Liebmann-Straße – Konradstraße – Rabet (Grünfläche am äußerst westlichen Ende der Konradstraße) (Abschluss & Beendigung).

15 bis 16 Uhr, Anzeigender: natürliche Person, Fahrradaufzug unter dem Motto „Friedensfahrt für unsere Partnerstadt Kiew“ mit ca. 500 TeilnehmerInnen auf folgender Route: Simsonplatz (Sammlung & Auftakt) – Beethovenstraße – Harkortstraße – Martin-Luther-Ring (Außenring) – Wilhelm-Leuschner-Platz (Außenring) – Roßplatz (Außenring) – Augustusplatz (Außenring) – Georgiring (Außenring) – Willy-Brandt-Platz (Außenring) – Tröndlinring (Außenring) – Ranstädter Steinweg – Jahnallee – Waldplatz – Waldstraße – Leutzscher Allee – Am Sportforum – Jahnallee – Wende Höhe Capastraße – Jahnallee – Ranstädter Steinweg – Goerdelerring (Außenring) – Dittrichring (Außenring) – Martin-Luther-Ring (Außenring) – Harkortstraße – Beethovenstraße – Herzliya-Platz – Anton-Bruckner-Allee (Abschluss & Beendigung Höhe Teich).

17:30 bis 21:30 Uhr, Anzeigender: „Initiative Heraus zum anarchistischen 1. Mai!“ Aufzug unter dem Motto „Heraus zum anarchistischen 1. Mai!“ mit ca. 300 TeilnehmerInnen auf folgender Route: Lieselotte-Herrmann-Park (Sammlung und Auftakt) – Zweinaundorfer Straße – Breite Straße – Wurzner Straße – Torgauer Straße – Eisenbahnstraße – Neustädter Straße – westlicher Rabet, südlich der Schule am Rabet (Zwischenkundgebung) – Rabet; Straße – Comeniusstraße – Kohlgartenstraße – Dresdner Straße – Klasingstraße – Kohlgartenstraße – Lutherstraße – westlicher Elsapark im Bereich Spielplatz (Abschluss und Beendigung).

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