Wenn es um Freiluftveranstaltungen geht, ist trotz steigender Inzidenzzahlen wohl nichts so vorbei, wie die Corona-Pandemie. Zumindest in den Köpfen, denn die Lust am gemeinsamen Event ist zurück. Neben den abendlich dicht gedrängten 30.000 Besucher/-innen beim „Klassik airleben“ im Rosental auch auf dem Leipziger „Christopher Street Day“ 2022. Hier ging es am gestrigen 16. Juli 2022 für die rund – laut Veranstalterangaben – 20.000 Teilnehmenden um Party-Demo und Politik. Es war erfrischend bunt und lautstark für die Rechte der LSBT*Q-Szene. Und für die Bordellbetreiber im Land.

Das Gute vorweg: es waren mehr Teilnehmende als noch im Pandemiejahr 2021, die Stimmung war bei der mittlerweile sichtbar professionell veranstalteten Parade mit Bühne auf dem Augustusplatz, Parteiständen fast aller Farben und Firmenpräsentationen wie der von DHL hör- und sichtbar gut.

Mittlerweile entwickelt der Leipziger CSD als regional größter seiner Art auch eine Strahlkraft auf umliegende Städte; Teilnehmende aus Sachsen-Anhalt, ganz Sachsen und teilweise die ersten Thüringer/-innen konnte man an der Mundart oder den handverteilten Flyern für diverse Szeneveranstaltungen in anderen Städten erkennen.

Begleitet wurde das 11:30 Uhr startende Polit-Event erneut mit einem fast durchgehenden Livestream von der Bühne, Redebeiträgen unter anderem von Justizministerin Katja Meier (Grüne), Uni-Rektorin Prof. Dr. Eva Inés Obergfell, Georg Teichert als Leiter der Stabsstelle Chancengleichheit, Diversität und Familie an der Universität Leipzig und des Leipziger Finanzbürgermeisters Torsten Bonew (CDU).

Letzterer hatte es wohl am schwersten, seine CDU gilt in der LSBT*Q-Szenerie als eher unwillkommen, was Bonew jedoch nach einem freundlichen Begrüßungsapplaus mit einem Verweis auf seine persönlichen Haltungen überspielte.

Er sei von einem Freund gefragt worden, was er denn als „bekennender Konservativer“ auf dem CSD wolle. Vielleicht gerade weil das so sei, „weil die Werte Menschlichkeit, Toleranz, Akzeptanz und gegenseitiges Miteinander und eine freie Selbstbestimmung für jeden Menschen keine Werte sind, die an einer Parteigrenze aufhören. Das sind meine Werte, für die ich stehe.“

Er freue sich, „in einem bunten und toleranten Leipzig leben und arbeiten zu dürfen“, begrüßte Bonew alle Teilnehmenden in Leipzig.

Festzuhalten ist in jedem Fall: nach 30 Jahren CSD hat die queere Community in weiten Teilen der demokratischen Parteien Gehör gefunden und kann so Jahr um Jahr mehr Benachteiligungen und Diskriminierungen abbauen. Darauf kam dann auch Katja Meier (Grüne) als Gleichstellungsbeauftragte des Freistaates zu sprechen.

Dass sich die CSDs überall „in Sachsen bis nach Plauen, Pirna und Zwickau“ ausgebreitet hätten, sei ein „Verdienst der Leipziger Community“, welche in den 90ern den ersten CSD „überhaupt in Ostdeutschland“ startete.

Im Rückblick auf die vergangenen 30 Jahre stellte die Justizministerin fest, dass eine ganze Menge passiert sei. Nicht nur der Paragraf 175 sei endlich (am 11. Juni 1994) aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden. (siehe Verfolgung von Homosexuellen in Deutschland)

Darüber hinaus habe man die Eheöffnung („Ehe für alle“) erreicht und „endlich, endlich liegen die Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz vor“, so die gleichgeschlechtlich lebende Grüne. Auch dass sie selbst als „erste queere Ministerin in Sachsen“ der Regierung angehört, sei „ein Wert an sich“.

Unter einem „Aber“ summierte Katja Meier alles auf, was sich hinter der CSD-Losung „Respekt für alle“ verbirgt. Dieser sei noch immer nicht selbstverständlich, „nicht in Sachsen, nicht in Deutschland und auch nicht weltweit“. Dass jeder lieben könne, wen er wolle, dafür kämpfe man gemeinsam auf den CSDs.

Etwas Dunkel im Farbenreigen

Was sicherlich auch in den Augen der CSD-Veranstalter um den RosaLinde Leipzig e. V.  einer, wenn nicht der gelungenste CSD aller Zeiten war, bekam dann doch noch ein paar dunkle Farben auf der Parade um den Ring hinzu.

Was sonst eher durch den Ballermann, Dorfdiskos und das Oktoberfestzelt, gemeinhin also bei eher ritualisierten, heterosexuell-männlichen Alkoholexzessen, den Weg an die deutsche Chartspitze schafft, durfte nach Meinung der Leipziger FDP und der DHL wohl auch auf dem Leipziger CSD nicht fehlen.

Wo sonst eher stilecht dem internationalen Pop bis zu Oldschool-Legenden wie Marianne Rosenberg gehuldigt wird, dröhnte von den beiden Wagen zu verschiedenen Zeiten die 2022er Puffhymne von Michael Müller und Robin Leutner.

Ein Lied über eine „Puffmutter namens Layla“ mit einem Kurz-Text, der, wäre er nicht zuerst einmal im jungen Sprachgebrauch „sexistische Kackscheiße“, unter anderem von CSD-Teilnehmer Marco Rietzschel (SPD) bereits kurz nach dem Event als „widerwärtige misogyne Ballermann-Scheiße“ eingeordnet wurde, die „nichts mit Pride oder Solidarität“ zu tun habe, „sondern einfach abstoßend“ sei.

Wichtiger vielleicht als die musikalische Bordellverherrlichung, wo in Zeiten von Zwangsprostitution und erst neulich verbotenen „Flatrate-Bordellen“ im „Puff Europas“ die „Layla eben geiler“ ist, ist die Rahmung, die beide männlichen DJs bei der FDP mit „das Highlight“ und der DHL „wir lassen uns nichts verbieten“ beim Anspielen gaben.

Die DHL-Crew wiederholte also das Framing, welches nach „Verbot“ des Liedes klingen soll, einem Verbot, welches es nie gab. Im Gegenteil lachen die Macher der wenigen Zeilen gerade deshalb bereits jetzt beim Blick auf Chartplatzierung und Konto, weil eine Bitte der Stadt Würzburg, die Freude am Bordellbesuch bei einem städtischen Fest nicht zu spielen, in einer hysterisierten Männerblase postwendend als „Verbot“ uminterpretiert wurde. Und nun das Liedchen halt als „Tabubruch“ statt Madonna auf dem Leipziger CSD gespielt wird.

Auf LZ-Nachfrage auf Twitter nähme man beim CSD selbst die „bereits mehrfach an uns herangetragene“ Thematik „sehr ernst“, wolle sich noch nicht dazu äußern und würde „das Thema auch nochmal intern auswerten“. Man könne – als ehrenamtliche Organisator/-innen – „nicht alle Playlists vorher prüfen“ vertraue auf „einen gemeinsamen Grundkonsens“.

Zukünftig würde man mehr sensibilisieren, denn „der CSD soll ein Safe Space sein und wir werden Maßnahmen erarbeiten, um das zukünftig besser zu gewährleisten“. Auf der offiziellen CSD-Leipzig-Seite findet sich im Fazit zum Jahr 2022 nichts zu diesem Thema.

Bleibt also die Frage, ob da DHL und FDP etwas falsch verstanden haben in Sachen Grundkonsens und der Art der zu verteidigenden Freiheit auf einer Demo, die im Kern an den 28. Juni 1969 und den sogenannten Stonewall-Aufstand erinnern soll.

Bei welchem es bekanntlich weniger um eine entgleiste Preisverhandlung zwischen der „geilen Layla“ und einem männlich-heterosexuellen Freier ging, sondern sich im New Yorker Stadtteil Greenwich Village entlang der Christopher Street unterdrückte Homosexuelle, Dragqueens und Transsexuelle erstmals gegen die erneute Brutalität und Diskriminierung eines Polizeieinsatzes wehrten und anschließend tagelange Auseinandersetzungen mit der Polizei folgten.

Deutschland – Der Puff Europas (Panorama)

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Es gibt 2 Kommentare

Dass dieses Liedchen mehr Aufmerksamkeit als die aktuellen wirtschaftlichen Probleme erzeugt, halte ich zwar angesichts der grassierenden Winterangst für ein Gerücht, aber: zur Freiheit gehört halt auch, sich rechtzeitig um die wirklichen Probleme (wo ich persönlich eher die Klimakrise sehe) zu kümmern. Sonst „kümmern“ sich die Probleme bald noch mehr um uns.

Und da wird dieser „Hit“ längst keinen mehr interessieren. Er ist dennoch ein schönes Beispiel für eine gewisse Sehnsucht, gerade jetzt das Hirn komplett abzuschalten.

Ballermann – Hits beim CSD? Da hat sich wohl jemand im Set vergriffen.
Ansonsten ein typisches Problem der selbst erschaffenen Blase: auf dem Röbeler Seefest wurde das Lied am Wochenende nicht nur 1x gespielt, und jedes Mal tanzten und sangen auch Frauen jeden Alters mit. Beim Leipziger Umzug haben sich wohl bei dem Lied alle angeekelt weggedreht und das Gesicht verzogen?

“Wenn um ein zotiges Partylied mehr Aufregung erzeugt wird als um die aktuell größte Wirtschaftskrise.” postete meine Schwiegermutter gestern in ihrem Status. Und dann, verdammter Mist, war der DJ auch noch ein Mann. Aber gut, der kommt im jahresaktuellen Buchstabenkürzel halt auch nicht vor.

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