Das Wahljahr, rechnet man es von Februar 2024 bis Februar 2025, ist vorüber und für die Partei „Die Linke“ sah es anfangs nicht gut aus. Nachdem sich im Oktober 2023 die Mitglieder um Sahra Wagenknecht abgespalten und eine eigene Partei gegründet hatten, verlor Die Linke bei der Stadtratswahl 3 Sitze und bei den Landtagswahlen büßte sie 4 % ein. Das änderte sich bei der Bundestagswahl, zog Die Linke 2021 nur aufgrund der 3 Direktmandate in den Bundestag ein und erhielt 39 Sitze, so konnte sie 2025 mit 8,8 % der Zweitstimmen eine Fraktion mit 64 Mitgliedern aufstellen.

Am 6. Juni traf ich mich mit den Vorsitzenden des Stadtverbandes Leipzig, Nina Treu und Johannes Schmidt, und habe die beiden gefragt, ob sie zufrieden sind und wie es weitergeht. Vor dem Interview haben wir die Anrede mit Du vereinbart.

Die Linke war schon abgeschrieben, nach der Abspaltung des BSW, den Stimmenverlusten bei der Stadtratswahl und der Landtagswahl und dann plötzlich dieses große Comeback bei der Bundestagswahl. Als ich im Dezember mit Sören Pellmann gesprochen habe, gingen alle noch davon aus, dass ihr nur die Chance habt, wieder drei Direktmandate zu bekommen. Zwei Monate später sah es plötzlich anders aus. Seid Ihr zufrieden mit dem Ergebnis?

Nina: Wir sind natürlich erstmal mehr als zufrieden. Knapp neun Prozent, das war für uns einfach der Wahnsinn. Da hat man auch deutlich gespürt, dass sich die Energie an der Basis endlich ausgezahlt hat. Vielleicht erinnerst Du Dich an unser Interview zur Bundestagswahl, da hab ich gesagt: Ich merke, es sind viele Leute draußen, die Bevölkerung ist müde, aber in der Partei ist total viel Dynamik da.

Ich finde, das hat man gut gesehen. Wenn man eine gute Kampagne auf die Beine stellt und Leute motivieren kann und einem auch einige Ereignisse in die Hände spielen, kann das, was an der Basis an Dynamik entstanden ist, auch zum Erfolg geführt werden kann.

Johannes: Wir wurden damals auch gefragt: Warum wir eigentlich die neuen Vorsitzenden werden wollen – gerade in so einer Zeit? Und manche haben mich angesprochen, warum ich jetzt quasi Totengräber für diese Partei im Stadtverband spielen möchte. Doch diese Einschätzung hat man gar nicht bei uns gespürt. Wir waren total motiviert und sind in dieses Amt hineingegangen, weil wir wussten, da passiert gerade etwas.

Es gab ja nicht nur bei uns eine Vorstandsneuwahl, es gibt nun auch auf Bundesebene den neuen Parteivorstand mit zwei neuen Vorsitzenden. Ich denke, seitdem machen wir auch so einiges richtig. Und auch unser letzter Leitantrag zeigt, wie wir uns als Partei umbauen und neu ausrichten möchten. Wir hatten hier vor Ort eh ein gutes Grundgefühl, obwohl das Ergebnis zur Landtagswahl insgesamt ernüchternd war: Denn hier in Leipzig konnten wir zumindest starke Achtungserfolge erzielen.

Das war dann eine ganz gute Grundlage für uns, auf der wir aufbauen konnten. Und unser Motto: „Niemals allein, immer gemeinsam!“, hat sich mittlerweile auch bis auf die Bundesebene durchgezogen.

Wie ist die Mitgliederzahl im letzten Jahr gewachsen?

Nina: Wir sind jetzt über 4.700 Mitglieder hier. Das ist für uns besonders spannend, weil wir um die 2.300 waren, als wir angetreten im September sind. Also mehr als verdoppelt im letzten dreiviertel Jahr.

Es gibt ja schon Stimmen, die sagen: Die Linke ist jetzt wieder groß genug für eine Spaltung. Wie schätzt Ihr den Zusammenhalt in der Partei ein?

Johannes: Ich denke, die Linke – nicht nur die Partei, sondern die gesamte linke Bewegung – ist ja dafür bekannt, dass es einige Themen gibt, bei denen man kontroverse Positionen hat. Ich glaube, die können wir uns auch als eine pluralistische Partei gut leisten. Wichtig ist, dass man sich wirklich inhaltlich streitet, sich anhand von Argumenten austauscht und die Kritik anderer nutzt, um seine Position zu verbessern – und diese letztlich in einer guten, konsistenten Synthese zusammenführt.

Letztes Jahr auf dem Parteitag in Halle zum Thema Nahost haben wir zum Beispiel mit einem konsensualen Antrag etwas sehr Gutes geleistet. Das Wichtige dabei ist, dass wir rein personalisierte Formen von „Streit“ überwinden. Aber Du hast ja indirekt gefragt, ob man eine Abspaltung sieht.

Es sieht gerade eigentlich gut aus, dass so etwas nicht passiert, auch wenn natürlich immer ein paar Gefahren lauern. Wir sind da jedoch guter Dinge, denn wir versuchen die Debatten zu führen und nicht wegzudrücken. Und wenn man Debatten führt, kann man diese auch wohlwollend auflösen.

Debatten führen, das bedeutet ja auch immer diese in der Öffentlichkeit zu führen. Kürzlich gab es wieder einen Shitstorm beim Thema Antisemitismus, als die Linke die Jerusalemer Erklärung übernahm.

Nina: Das ist ja eines der kritischsten Themen, gerade gesamtgesellschaftlich gesehen. Und man merkt auch, dass viele Akteure sich da jetzt bewegen, weil die Lage in Palästina einfach immer schlimmer wird. Und sogar die rechteren Kräfte im Land sagen inzwischen: Wir müssen mal unsere Position überdenken, ob man alles, was da eine pro-faschistische Regierung in Israel macht, noch so mittragen kann. Ich glaube, da bewegt sich nicht nur die Linke und führt da eine kleine Nischendebatte, sondern gesamtgesellschaftlich ist da viel in Bewegung.

Was Hannes erwähnt hat, der Konsens im Oktober hat gut beide Seiten bedacht und auch gesagt, dass man für einen langfristigen Frieden im Nahen Ost Verständigung braucht, selbstverständlich beide Seiten braucht und da nicht einseitig eine pro-israelische oder pro-palästinische Haltung einnehmen kann. Ich denke, das ist der Grundkonsens, auf dem die Bundespartei weiter läuft und mit dem wir auch in Leipzig arbeiten.

Es haben sich auch Kräfte in Leipzig, inklusive Abgeordnete darauf positiv bezogen, und gesagt: Damit arbeiten wir jetzt weiter. Und dass es so hochgekocht ist mit der Jerusalemer Erklärung, glaube ich, liegt daran, dass einige Menschen das höher gestellt haben, als das, was eigentlich im Oktober erarbeitet worden ist. Wobei es da ja nur um eine Definition ging und nicht um die ganze Arbeit.

Tatsächlich hat es in Leipzig ein bisschen Ärger gegeben, aber eigentlich nur am Rande. Wir merken aber auch, wir müssen die Debatten noch mal stärker führen, sowohl intern als auch extern, weil auch die Stadtgesellschaft an sich dazu ein bisschen passiv ist.

Gerade vor der Abspaltung des BSW war ja eines der großen Streitthemen der Ukraine-Krieg. Wie ist da jetzt Eure Position?

Johannes: An unserer Position hat sich durch die Abspaltung wenig geändert – wir orientieren uns weiterhin an unserem Parteiprogramm und entwickeln unsere Beschlusslagen kontinuierlich weiter. Als Partei des Friedens und Völkerrechts stehen wir für Antimilitarismus sowie Abrüstung und lehnen Aufrüstung, Krieg und damit Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete als Mittel der Politik ab. Wenn es um diese Grundfragen geht, fixiert man sich in der Debatte leider häufig zu sehr auf die Einzelfrage, ob man jetzt gerade Waffenlieferungen persönlich gut oder schlecht findet.

Dazu haben wir als Partei eine bestimmte Grundhaltung, hinter der eine große Mehrheit steht – aber es sind da wie in der Gesellschaft eben nicht alle der gleichen Meinung. Jedoch haben wir gefühlt jetzt einen deutlich besseren Umgang, um das gemeinsam miteinander auszudiskutieren. Als Linke möchten wir natürlich friedenspolitisch eine starke Kraft sein. Und ich glaube, dafür muss man zu diesen Themen die Debatten auch führen.

Was da leider häufig passiert, wenn man sich auf solche Einzelfragen wie Waffenlieferungen in einem Fall fokussiert: Es geraten die großen gesellschaftlichen Themenfelder, die dazugehören, aus dem Blick. Wie zum Beispiel die zunehmende Militarisierung im Land, die Debatte um Wiedereinführung der Wehrpflicht und eine massive Aufrüstung. Wenn Aufrüstung betrieben wird und das NATO-Prozent-Ziel bis auf 5 Prozent des BIP erhöht werden soll, dann werden der Sozialstaat und viele weitere Bereiche darunter leiden. Man muss daher aufpassen, welche Debatte und wie man sie führt. Aber ich glaube, bei uns sieht es da ganz gut aus, weil wir uns trauen, diese Diskussion gemeinsam zu führen.

Nina: Genau, vielleicht noch in Ergänzung, Du bist ja mit der Frage eingestiegen: Warum hat eigentlich die Bundestagswahl so gut geklappt? Ein Erfolgsrezept war ja, sich auf die Themen zu fokussieren, bei denen viele unserer Wähler/-innen, Personen, die in der Partei engagiert sind und unsere Sympathisant/-innen ähnliche Positionen haben und wir haben eben nicht entlang der Spaltungslinien gearbeitet.

Von außen betrachtet hat Die Linke im Bundestagswahlkampf gesagt: Wir kümmern uns um die normalen Probleme der Menschen. Das hat gut geklappt, aber war das jetzt ein Wahlkampf-Move oder werdet Ihr damit weitermachen?

Nina: Nein, das ist genau der Punkt. Wir sagen: Es gibt ganz viele Themen, bei denen Dinge gesellschaftlich in die falsche Richtung laufen. Und es gibt wenige Themen, für unsere Wähler/-innen bei denen die Lage da draußen so eindeutig ist, wie zum Beispiel beim Thema Mieten, beim Thema Renten und beim Thema Umverteilung. Deswegen war das total sinnvoll, sich darauf zu fokussieren und das machen wir jetzt auch weiter so. Wir machen auf der Stadtebene in Leipzig eine Kampagne: „Die Stadt gehört uns allen“.

Wir machen weiter mit den Apps, die wir auch im Wahlkampf benutzt haben, also mit der Mietwucher-App und mit der Heizkosten-Check-App, um Leuten aufzuzeigen, dass sie abgezockt werden. Es wird ihnen Geld aus der Tasche gezogen, welches eigentlich nicht notwendig ist. Um darauf aufmerksam zu machen, dass eine große Umverteilung innerhalb der Mieten stattfindet und dass wir einen bundesweiten Mietendeckel brauchen. Da werden wir in den nächsten Monaten noch aktiver werden in Leipzig.

Johannes: Das ist das zentrale Thema: Nah an den Menschen dran sein und sich um deren Alltagssorgen kümmern – das war eben kein Move, den wir erst zur Bundestagswahl herausgekramt haben, sondern bei uns immer schon ein Schwerpunkt. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren vielleicht etwas vergessen, diesen in den Mittelpunkt zu rücken. Viel Fokus von außen liegt meistens auf dem Geschehen im Bundestag.

Aber wenn wir schauen, wie klein eigentlich der Anteil an Menschen unserer Partei ist, der direkt im Parlament sitzt oder arbeitet, verändert sich das Bild, wer wir insgesamt sind: Wir sind eine sehr aktive und zu großen Teilen ehrenamtlich getragene Mitgliederpartei. Und wir hatten schon im Vorfeld der Wahl zum Beispiel „Die Linke hilft!“ als neue Bundesarbeitsgemeinschaft gegründet, die versucht, alle Initiativen, die wir deutschlandweit schon haben, zu bündeln und weiter auszubauen.

Gerade der ganze Bereich Sozial- und Mietsprechstunden und auch „Küche für alle“-Projekte – also Küfas – gehören dazu. Es gab auch direkt einen 100-Tage-Plan für die Zeit nach der Bundestagswahl hierzu – und das Thema wurde zuletzt erneut im Leitantrag unserer Partei auf Bundesebene aufgegriffen. Das werden wir auf jeden Fall fortsetzen. Dieser Ansatz und Grundgedanke war auch wichtig zur Motivation im Bundestagswahlkampf – vielleicht lief es auch deswegen so gut: Wir sind eine linke, sozialistische Partei und mit Parlamentarismus allein können wir nicht alle Sachen erreichen, die wir uns für die Gesellschaft und Menschen wünschen.

Wir haben uns daher schon vorher Gedanken gemacht: Wie würden wir als Partei weitermachen, wenn wir es nicht mit dem Einzug geschafft hätten? Und ich glaube, damit haben wir auch richtige Weichen gestellt, denn wir hätten ja nicht einfach aufgehört, Linke zu sein, nur weil es nicht mit dem Bundestag geklappt hätte.

Letzte Frage: Ich hatte eingangs gesagt, das Superwahljahr ist vorbei, aber 2027 steht ja in Leipzig die Wahl des Oberbürgermeisters an. Werdet Ihr eine Kandidatin oder einen Kandidaten aufstellen und was sollte die Person mitbringen?

Nina: Natürlich werden wir einen Kandidaten aufstellen und wir hoffen natürlich auch sehr, dass wir den nächsten Oberbürgermeister stellen werden. Wer da infrage kommt, können sich, glaube ich, alle Leser/-innen selber ausrechnen. Wir werden unsere innerparteiliche Nominierung noch dieses Jahr machen und dann wird auch ganz klar sein, wer es wird.

Johannes: Was die Person mitbringen soll, ist eine wichtige Frage. Die wollen wir aus guten Gründen jedoch heute nicht zu zweit beantworten, denn diese Entscheidung treffen wir zusammen als starke Mitgliederpartei. Und wenn wir antreten, werden wir natürlich gemeinsam und geschlossen auf Sieg spielen. Aber gerade eine linke, sozialistische Partei muss sich strategisch die Herangehensweise auch für nach dem Wahltag gut überlegen, wenn sie so ein Amt erkämpfen möchte.

Wir sind hier eine große Partei und werden jetzt gemeinsam Kriterien entwickeln, die wir unserer Kandidatin oder unserem Kandidaten sehr stark ans Herz legen. Es gibt ein paar Grundfragen, bei denen die Haltung klar sein muss. Also beispielsweise der Verkauf von Wohnraum oder allgemein von Grundstücken und Immobilien an Konzerne und andere profitorientierte Akteure: Das sollte natürlich ein No-Go für einen linken OBM sein – es gibt weitere solche Themen. Aber das wird sich konkret erst im Prozess zeigen, denn da wollen wir unseren Gremien, Arbeitsgemeinschaften und unserer Parteibasis nichts vorwegnehmen.

Nina: Aber was wir sagen können: Die Person muss auf jeden Fall Leidenschaft für linke sozialistische Politik und natürlich eine Begeisterung für und eine Verankerung in Leipzig mitbringen.

Nehmen wir das als Schlusswort. Ich danke Euch für das Gespräch.

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