Vielleicht kann man sich das merken – weil es zum Sprachgebrauch der AfD gehört. Einer Partei, die die Demokratie zutiefst verachtet. Aber sie spricht dann nicht von Demokratie, sondern von „Mainstream“. So wie es AfD-Stadtrat Udo Bütow am 26. Juni in der Ratsversammlung tat, als er die Ergebnisse des Aushandlungsprozesses zum Bürgerbahnhof Plagwitz im Grunde für völlig inakzeptabel erklärte. Obwohl es hier der Stadtgesellschaft zum ersten Mal gelang, Stadt und Investor zum Einlenken zu bewegen. Denn: Wem gehört die Stadt eigentlich? Nur den Investoren und denen, die das Geld haben, sich alles zu kaufen? Das ist die eigentliche Frage.

Das deutsche Baurecht setzt Investoren und Grundstücksbesitzer in der Regel in den Vorteil. Im Grundgesetz heißt es zwar: „Eigentum verpflichtet“. Nur steht da nicht, zu was. Schon gar nicht, dass Eigentum eigentlich dem Gemeinwohl verpflichtet sein sollte. Man kann es längst in den deutschen Großstädten beobachten: Eigentum fühlt sich ganz und gar nicht dem Gemeinwohl verpflichtet, sondern meist nur der Gewinnmaximierung. Und normalerweise gilt das auch in Leipzig.

So gesehen war es eine durchaus bürgerschaftliche Rebellion, als sich die Anwohner des ehemaligen Gleisgeländes am Plagwitzer Bahnhof, Umweltverbände und Interessengemeinschaften zusammentaten und ihre kleine demokratische Macht dazu nutzten, ein Bauprojekt zu begrenzen, das aus einem Teil des ehemaligen Plagwitzer Güterbahnhofs ein Wohn- und Gewerbegebiet gemacht hätte.

Es ging um Freiraum und Grünflächen, den Erhalt einer Frischluftzone und von Erholungsmöglichkeiten i eine sich aufheizenden Stadt. Die Proteste, Petitionen und Wortmeldungen führten zum bislang intensivsten Beteiligungsprozess, den die Stadt in den letzten Jahren organisiert hat.

Ein vorbildhafter Prozess, wie die Fraktionsvorsitzende der Grünen Kristina Weyh betonte, von dem es künftig unbedingt mehr geben sollte. Und Linke-Stadträtin Mandy Gehrt betonte: „Das Papier zeigt, dass es sich lohnt, Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen.“

Also Abstimmungsprozesse zu organisieren, bei denen Menschen mitreden dürfen, denen Grund und Boden nicht gehört. Die aber betroffen sind, wenn Grünflächen verschwinden und der öffentliche Raum schrumpft.

Der Stadtrat unterstütze den Prozess. Tatsächlich lag der in Werkstätten erarbeitete Kompromiss schon vor einem Jahr vor.

Ergebnispapier des kooperativen Beteiligungsprozesses zum Bebauungsplan Nr. 380.2 „Grüner Bahnhof Plagwitz – Nordteil/West

Verhandlungen zu Flächenkauf können jetzt beginnen

Kompromiss heißt in diesem Fall auch, dass nicht alle Bürger alle ihre Wünsche durchsetzen konnten. Aber das Positive: Auch die LEWO, die die Gebäude des ehemaligen Güterbahnhofs gekauft hatte, beteiligte sich am Prozess und akzeptierte am Ende den Kompromiss. Was konkret für die LEWO bedeutet: Die Stadt soll mit der Grundstückseigentümerin „Verhandlungen über den Erwerb der Flächenanteile zu führen, die entsprechend dem Ergebnispapier perspektivisch als öffentliche Grünflächen zu entwickeln sind.“

Das wird auch nicht einfach, denn dafür muss die Stadt das Geld irgendwo auftreiben. Im Papier lautet dieser Punkt: „Es wird eingeschätzt, dass eine Reduzierung der Baumasse auf unter 17.500 m² Neubau-Bruttogeschossfläche einen Ausgleich der Stadt gegenüber der Flächeneigentümerin zum Beispiel mittels Kaufs von (Teil-) Flächen durch die Stadt Leipzig oder Grundstückstausche mit sich führen wird, der nachfolgend zu verhandeln sein wird. Außerdem zeichnen sich für die Stadt weitere finanzielle Aufwendungen für die Erschließung und Sanierung des Westbahnhofes ab. Details sind im städtebaulichen Vertrag zu regeln.“

Der am 26. Juni zur Abstimmung gestellte Kompromiss ist also noch nicht das Ende des Kampfes. Der Stadtrat wird sich mit dem Bürgerbahnhof Plagwitz noch mehrfach beschäftigen müssen.

Es geht auch um Stadtklima und Artenschutz

Das betrifft auch die ganze Ökologie des Geländes: „Für die vorgesehene Entwicklung sind Maßnahmen der hitzeangepassten und wassersensiblen Stadtentwicklung notwendig, beispielsweise durch den Einsatz, öffentlich nutzbaren Regenwasserspeichern, Muldenrigolen, Teichen und vertikalen Gärten. Grün- und Freiflächen sollen hinsichtlich ihrer klimatisch kleinräumigen Wirkung qualifiziert werden. Die Stadtklimaanalyse soll beachtet werden.

Ein großflächiger Teil der aktuell versiegelten Fläche wird entsiegelt (Südbereich). Der Neu-Versiegelungsgrad ist auf das nötigste Maß zu beschränken, um der thermischen Gesamtbelastung entgegenzuwirken und zu Erholungszwecken ein günstiges Mikroklima vor Ort zu schaffen. Die rechtlichen Grundlagen zum Natur- und Artenschutz sind zu jedem Zeitpunkt einzuhalten. Die Methode Animal Aided Design soll integriert werden.

Darüber hinaus soll die biodiversitätsfördernde Flächenentwicklung unter anderem durch kleinmaßstäbliche Gestaltung den Anspruch verfolgen, einen ökologischen Mehrwert zur Förderung von Flora und Fauna zu erzielen. Eine in der freiräumlichen Ausstattung geeignete Integration in die Biotopverbundplanung der Stadt Leipzig ist zu beachten. Es sind Flächen für urbane Wildnis vorzuhalten sowie Ausgleichsmaßnahmen für bedrohte Tierarten vor Ort zu prüfen.“

Nur zu verständlich, dass all diese Punkte den AfD-Stadtrat zutiefst frustrierten. Das sind Themen, die im AfD-Kosmos keine Rolle spielen. Die man dort wohl auch eher als überflüssig und unerwünscht betrachtet. Eben Angelegenheit von irgendwelche anderen Leuten, die auf freien Flächen nicht nur teure Wohnungen und Gewerbeimmobilien sehen möchten, sondern wenigstens ein Stückchen lebendiger Natur.

Und wenn diese Leute mal gefragt werden, bringen sie diese Wünsche natürlich auch zum Ausdruck. Und werden, wenn es solche Beteiligungsprozesse ermöglichen, nun einmal zum „Mainstream“.

Aber schon die Verwendung dieses Schlagworts ist entlarvend. Und zeigt eben auch – wie es Dr. Elisa Gerbsch deutlich machte – die Haltung der AfD zur Demokratie.

Letztlich ging es am 26. Juni darum, ob auch die Ratsversammlung das „Ergebnispapier des kooperativen Beteiligungsprozesses zum Bebauungsplan Nr. 380.2 ‘Grüner Bahnhof Plagwitz – Nordteil/West’“ akzeptiert und die Verwaltung nun die darin formulierten nächsten Schritte angehen kann.

Und mit 35:0 Stimmen bei 21 Enthaltungen war das Ergebnis dennoch deutlich. Und zeigt, dass Bürgerbeteiligung Erfolg haben kann, wenn die Beteiligten nicht entmutigt werden und am Ende nur wieder das Geld entscheidet darüber, was aus einem Stückchen Stadt künftig werden soll.

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