Nur scheinbar endet der Rietzschke-Wanderweg, wenn man vom Arthur-Bretschneider-Park kommt, auf einmal an der Max-Liebermann-Straße. Natürlich gibt es auch hier keine Schilder, die auf den Wanderweg verweisen. Auch wenn man weiß: Auf der anderen Seite der Max-Liebermann-Straße muss es weitergehen. Also bleibt nichts anderes übrig, als erst einmal ein ganzes Stück auf der Max-Liebermann-Straße zu laufen, um an der Kreuzung mit der Virchowstraße die Ampel zu benutzen.

Hier gibt es auch eine kleine Möglichkeit der Stärkung, falls sich die Wandersleute nicht genug Verpflegung in den Rucksack gesteckt haben – einen Asia Food Express. Der so wohl heißt, weil nebenan die Wendeschleife der Straßenbahn ist und alle Leute es hier irgendwie eilig haben. Kann ja sein.

Aber wer wandert, hat keine Eile. Sollte sie eigentlich nicht haben, sonst hat das Wandern ja keinen Sinn. Gerade das Wandern ist ja eine Möglichkeit, einmal herunterzukommen vom eiligen Level, wieder Mensch zu werden. Offen für alles, was einem begegnet. Auch wenn man hier erst einmal eine Weile an der Baustellenampel wartet. Denn an der Kreuzung wird gebaut.

Es sind die Wasserwerke, die hier bauen und die Fahrbahn entsprechend einengen, so dass die Fahrzeuge nur dosiert durch die Kreuzung kommen. Die Fußgänger sowieso. Aber das lernt man ja in Leipzig irgendwann: Lieber genießt man das Warten auf die grüne Phase, als das unberechenbare Risiko einzugehen, unterm Auto eines gestressten Berufspendlers zu landen.

Oder einer Ich-hol-mal-schnell-das-Kind-ab-Mutter. Oder eines Paketboten, der sowieso Druck hat, die Wagenladung Pakete noch bis Sonnenuntergang irgendwie zu den Leuten zu bringen, die sich heute jeden Klimbim im Online-Shop bestellen.

Das Schild zum Hundesportverein weist an der Max-Liebermann-Straße den Weg: Hier geht's zum Rietzschke-Wanderweg. Foto: Ralf Julke
Das Schild zum Hundesportverein weist an der Max-Liebermann-Straße den Weg: Hier geht’s zum Rietzschke-Wanderweg. Foto: Ralf Julke

Aber wir warten ja auf Grün und bekommen es auch, um uns zwischen Bauzäunen auf die andere Seite der Max-Liebermann-Straße zu schlängeln. Da wartet eine Bushaltestelle auf uns. Aber wir wollen in keinen Bus steigen, sondern laufen die Straße ein ganzes Stück zurück, bis sich linkerhand ein Weg auftut.

Natürlich auch wieder ohne Hinweis auf einen Wanderweg. Nur ein großes Schild weist auf den Hundesportverein Leipzig-Wiederitzsch e.V. hin. Zu dem führt dieser Weg. Und wir sind richtig. Auch wenn die nördliche Rietzschke die Max-Liebermann-Straße noch ein ganzes Stück weiter östlich unterquert. Wir bekommen sie noch zu Gesicht. Aber nicht gleich.

Ein Sperrzaun auf dem Weg neben dem Hundesportverein. Foto: Ralf Julke
Sperrzaun auf dem Weg neben dem Hundesportverein. Foto: Ralf Julke

Denn der Weg zum Hundesportverein ist eigentlich eine Obstbaumallee. Das merkt man schnell. Unter den Bäumen, die hier dicht mit Büschen und Klettergewächsen zugewachsen sind, liegen nämlich kleine Meere aus blauen und gelben Früchten. Zwetschgen und Mirabellen.

Für die sich ganz offensichtlich niemand zu interessieren scheint: Niemand schneidet die Obstbäume aus. Niemand erntet sie ab. Wir leben in einer Überflussgesellschaft und kaufen alles im Laden. Das, was vor unserer Nase wächst, lassen wir achtlos stehen und liegen.

Eigentlich müsste es hier auch summen und brummen. Die Früchte sind süß und lecker. Hier müssten ganze Schwärme von Wespen und Fliegen zu Gange sein, die reiche Ernte auf ihre Weise zu genießen. Doch an solchen Stellen merkt man, wie sehr uns die Insekten inzwischen verloren gegangen sind. Es summt und brummt nicht mehr, obwohl es summen und brummen müsste.

So müssen wir zwar auch keinen Wespenstich riskieren. Es ist still. Aber nicht zauberhaft still. Nur ein paar Kohlweißlinge flattern von Baum zu Baum. Wenigstens die.

Mirabellen, Mirabellen, Mirabellen ... Foto: Ralf Julke
Mirabellen, Mirabellen, Mirabellen … Foto: Ralf Julke

Ansonsten ist es still. Wenn man hier in der Gruppe unterwegs ist, kann man sich gut unterhalten. Es gibt auch keinen Verkehr, denn auf der Wiese des Hundesportvereins ist heute noch kein Betrieb. Kein Hund, der lernen muss, auf Befehl zu gehorchen. Keine neugierigen Zaungäste. Dafür ein rot-weißer Sperrzaun. Den wir eigentlich schon erwartet haben. Als wir den Findling für Wolfgang Grundmann, den „Erfinder“ des Rietzschke-Wanderwegs, an der verlängerten Virchowstraße entdeckt haben, war die Straße abgesperrt. Auch da waren die Wasserwerke zugange, da ging es um die Wasserversorgung für das Klinikum St. Georg, die erneuert wird. Dafür wurde auch der Wanderweg gekappt.

Aber das wollen wir natürlich von Nahem betrachten. Ein Trampelpfad verrät, dass wir nicht die Ersten sind, die wissen wollen, was hinter dem Absperrzaun kommt. Und was kommt, überrascht nicht: Auch hier säumen Obstbäume den Weg.

Wieder Mirabellen und Zwetschgen und ein paar Haselnussbäume. Der Weg ist jetzt schmaler. Er lädt tatsächlich ein, hier in den Schlendergang zu fallen, wie sich das für einen Wanderweg gehört. Und hier stoßen wir tatsächlich auch wieder auf die Nördliche Rietzschke, die rechts vom Weg fließt.

Rietzschke-Wanderweg kurz vor der Brücke an der verlängerten Virchowstraße. Foto: Ralf Julke
Rietzschke-Wanderweg kurz vor der Brücke an der verlängerten Virchowstraße. Foto: Ralf Julke

Wir sind also richtig. Und genauso richtig kommen wir auch an die Baustelle der Wasserwerke, sehen die kleine Brücke, die hier normalerweise über die Nördliche Rietzschke führt, die jetzt aber hinter Bauzäunen gefangen ist. Kein Weg führt darüber. Aus gutem Grund.

Aber der Blick in den Bach lohnt sich, denn das Wasser der Rietzschke wird in Schläuchen um die Baustelle herumgeführt und plätschert hier schön kühl und klar in den Bachlauf östlich der Brücke. Wir haben also gefunden, was wir suchten. Und sehen bestätigt, was wir vermuteten: Wenn wir auf den dritten Teil des Rietzschke-Wanderweges wollen, müssen wir zurück.

Brombeeren am Rietzschke-Wanderweg. Foto: Ralf Julke
Brombeeren am Rietzschke-Wanderweg. Foto: Ralf Julke

Dorthin kommen wir derzeit nur über die verlängerte Virchowstraße. Aber wer zum Wandern unterwegs ist, den treibt keine Uhr, der freut sich eher, dass er noch ein Stück laufen kann: wieder zwischen Mirabellen und Zwetschgen und Brombeeren, die sich überall ausbreiten, wo niemand mehr mit der Heckenschere zugange ist. Und mittendrin lauter tanzende Kohlweißlinge.

Wer den Rietzschke-Wanderweg ohne Umweg laufen möchte, muss noch bis November warten, denn die Baustelle der Wasserwerke an der Max-Liebermann-Straße und in der verlängerten Virchowstraße ist bis zum 29. Oktober terminiert. Nur wird es dann keine Mirabellen mehr geben. Und keine Schmetterlinge.

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