Wie sollte es anders sein: Beim IHK-Wahlforum am 13. Januar waren natürlich auch die Ereignisse zu Silvester in Connewitz Thema. Freilich unter der Fragestellung: Schaden die Bilder von solchen Ereignissen dem Image des Wirtschaftsstandorts Leipzig? Eine Frage, die dann auch Moderator Björn Meine, Ressortleiter Lokales der LVZ, versehentlich auf die Füße fiel. Und Marcus Viefeld, OB-Kandidat der FDP, nutzte die Gelegenheit, tags drauf gleich noch eine eigene Pressemitteilung zum Thema zu formulieren.

„Die Debatte um die Ereignisse Connewitz ist ein Scheingefecht aus den ewigen Schützengräben links wie rechts wie konservativ“, formulierte Marcus Viefeld seine Sicht auf die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Dabei sei diese Art der Silvesterfeierlichkeiten in Connewitz fast schon Ritual. „Allerdings blieben die Ausschreitungen unter dem ehemaligen Polizeipräsidenten Merbitz längere Zeit in einem Rahmen.“

Die Fragen, die er dann formulierte, wurden so freilich beim IHK-Wahlforum gar nicht gestellt und auch nicht diskutiert: „Wie entwickelt sich angesichts solcher verbalen Grabenkämpfe das Sicherheitsgefühl der Bürger? Was ändert sich an der Leistungsfähigkeit der Sicherheitskräfte? Und wie fühlen sich die Menschen in anderen Stadtteilen?“

Aber die gewaltige Diskrepanz zwischen dem, was am 1. Januar im Connewitz wirklich geschehen ist und was einige Medien daraus gemacht haben, ist auch für ihn offensichtlich: „Wenn man den Menschen nur lange genug erzählt, dass alles ganz furchtbar ist, werden sie es irgendwann glauben – auch weit außerhalb von Connewitz.“

Ein Thema, das zum IHK-Wahlforum Katharina Subat ansprach, die für Die PARTEI an der OBM-Wahl teilnimmt und im IHK-Wahlforum durchaus auch mit den witzigen Pointen brillierte, mit denen Die PARTEI Politik auch mal völlig gegen den Strich bürstet.

Aber die Berichterstattung der LVZ zu den Ereignissen in Connewitz fand sie ganz und gar nicht mehr witzig und stellte die durchaus berechtigte Frage: „Berichtet die LVZ interessengesteuert?“

Und dieses Interesse wurde durchaus sichtbar, als Sebastian Gemkow, derzeit Wissenschaftsminister in Dresden und OBM-Kandidat der CDU, meinte, die „Anwesenheit der Polizei dürfte in einem Rechtsstaat eigentlich kein Problem sein“.

Doch dass die Polizei und ihre letztlich desaströse Einsatzstrategie in Connewitz sehr wohl ein Problem waren, belegen mittlerweile einige Zeugenaussagen und Videosequenzen im Netz. Auch von völlig unpolitischen Menschen, die sich hüten werden, bei einer derart rabiat agierenden Polizei auch noch Anzeige zu erstatten.

Und so wurde – abseits von Gemkows „staatlicher“ Sicht auf das Ganze und der „harten Linie“, die der AfD-Mann Christoph Neumann bevorzugt – in der Diskussionsrunde zum IHK-Wahlforum wurde viel mehr deutlich, dass Leipzig ein ganz anders Polizei-Problem hat – und dass auch die Überreaktionen in Connewitz möglicherweise genau damit zu tun haben: mit einem über Jahre durch sächsische Regierungspolitik (Stichwort: „Polizeireform 2020“) verursachten Personalmangel bei der Leipziger Polizei.

Und während Sebastian Gemkow beim LVZ-Wahlpodium wenige Tage zuvor noch behauptet hatte, Leipzig habe 300 zusätzliche Polizisten bekommen (und die Leipziger CDU-Fraktion das auf ihrer Homepage bis heute behauptet), diskutierten die ernsthaften Kandidat/-innen im IHK-Wahlforum darüber, wie Leipzig damit umgeht, dass zu wenige Polizisten auf der Straße sind.

Irreführungen

Die Aussage auf der Homepage der CDU Leipzig: „Seit 2016 sind 300 neue Dienstposten geschaffen worden. Die Leipziger Polizeidirektion verfügt damit aktuell über 3.220 Dienstposten. Durch das 1.000-zusätzliche-Polizisten-Programm der Staatsregierung erhält Leipzig erneut über 200 zusätzliche Dienstposten.“

Die Formulierung „Dienstposten“ ist die Irreführung. Denn tatsächlich hat erst die „Polizeireform 2020“ dazu geführt, dass die Zahl dieser Dienstposten (Soll-Stärke) von 3.200 auf unter 3.000 abgebaut wurde. Mittlerweile hat die Landesregierung die Soll-Stärke auch nach den heftigen Diskussionen im Landtag wieder auf 3.118 (2019) heraufgesetzt.

Dumm nur, dass dafür die Leute fehlen, wie die Anfrage des grünen Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann im Juni ergab: Da waren erst 2.975 Stellen bei der Polizeidirektion Leipzig tatsächlich besetzt, genau sechs mehr als ein Jahr zuvor.

Ein Thema, das kurz nach den Ereignissen in Connewitz natürlich auch OBM Burkhard Jung ansprach. Und er sprach es auch zum IHK-Wahlforum an. Denn ein Großteil des Sicherheitsempfindens der Leipziger hängt natürlich davon ab, ob die Polizei auch im Alltag Präsenz zeigt in der Stadt und nicht nur – „mit Helm und Schutzschild bepackt“ – zu Silvester am Connewitzer Kreuz.

Marcus Viefeld fordert nun, dass Polizei und Ordnungsamt wieder mehr Präsenz auf Leipzigs Straßen zeigen.

„Die Polizeikräfte müssen raus aus ihren Streifenwagen und wieder mit den Bürgern ins Gespräch kommen, ansprechbar sein. Beim Kaffee beim Bäcker, bei der Fahrt in Bus und Bimmel oder beim spontanen ,Guten Tag, bei Ihnen alles in Ordnung‘ in Geschäften auch außerhalb der City.“ Für diese Präsenzoffensive müssten entsprechende Weichen gestellt werden.

„Nur durch Reden ändert sich nichts. Polizei und Ordnungsamt brauchen dafür beste Ausrüstung, ausreichend Personal und politische Rückendeckung.“ Außerdem müssten Oberbürgermeister und Stadtrat die ganze Stadt im Blick behalten, so Viefeld. „Es kann nicht sein, dass ein Stadtviertel die ganze Aufmerksamkeit bekommt, während es Ortsteile gibt, in denen gefühlt einmal die Woche für drei Minuten eine Streife durchhuscht.“

Fehlende Prävention

Ganz ähnlich äußerte sich ja auch Jung, der sehr vorsichtig wurde bei der Wortwahl, als es um die Sicherheitspartnerschaft der Stadt Leipzig mit der Leipziger Polizei ging. Denn die hat unter Polizeipräsident Bernd Merbitz tatsächlich zu fruchtbaren Ergebnissen und einer erfolgreichen Deeskalationsstrategie auch in Connewitz geführt.

Seit einem Jahr aber ist sichtlich wieder der Wurm drin, wird eben nicht mehr kommuniziert, wie das Katharina Krefft (Grüne), Franziska Riekewald (Linke) und Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten) kritisierten. Wenn aber nicht miteinander geredet wird, gewinnen die Scharfmacher Raum.

Und Burkhard Jung (SPD) erzählte gleich noch eine Anekdote zum Silvesterabend, wo er nur zu gern 21 Mitarbeiter/-innen der Leipziger Ordnungsbehörde in gemeinsamen Streifen mit der Polizei losgeschickt hätte. „Aber die Polizei hat abgelehnt – wegen Personalmangel.“

Das ist das Faktum, das wirklich als einziges feststeht in der ganzen Debatte: Der durch falsche Personalpolitik in Dresden verursachte Personalmangel bei der Leipziger Polizei ist bis heute nicht behoben. Alle Versprechen von 200 oder 300 Polizisten mehr sind bislang nichts als Versprechen.

Wenn aber hunderte Polizisten fehlen, bedeutet das für die Diensttuenden immer mehr Belastung und Stress. Wer aber permanent das Gefühl hat, der reagiert auch als Polizist nicht mehr überlegt und distanziert. Da liegen dann die Nerven blank. Und manches deutet darauf hin, dass auch die Einsatzleitung im Kreuz falsch geplant hat.

Das wird – wenn sich die Staatsregierung dazu durchringt – dann wohl eine unabhängige Untersuchung ergründen.

Die Debatte beim IHK-Wahlforum am 13. Januar 2020

Am 2. Februar und (vorr.) am 1. März 2020 (2. Runde) finden in der größten ostdeutschen Stadt (nach Berlin) Oberbürgermeisterwahlen statt. Dazu lud am 13. Januar 2020 die IHK zu Leipzig alle Kandidat/-innen zur Podiumsdebatte rings um das Thema Wirtschaft in die „Alte Hauptpost“ an den Augustusplatz.

Auf dem Podium (vlnr.) Katharina Krefft (Bündnis 90/Die Grünen), Christoph Neumann (AfD), Franziska Riekewald (Die Linke), Sebastian Gemkow (CDU), Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten, Humanisten, ÖDP & Demokratie in Bewegung), Burkhard Jung (SPD), Katharina Subat (PARTEI) & Marcus Viefeld (FDP).

Moderation: Björn Meine (Journalist), Vorwort: Kristian Kirpal, Leipziger IHK-Präsident

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Bei Wirtschaft und Verkehr zeigt sich die Lokal-Kompetenz der Leipziger OBM-Kandidat/-innen

Bei Wirtschaft und Verkehr zeigt sich die Lokal-Kompetenz der Leipziger OBM-Kandidat/-innen +Video

 

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