Es soll einen neuen Forstwirtschaftsplan 2021 geben. Das kündigte das Dezernat Umwelt, Klima, Ordnung und Sport am Montag, 22. Februar, an. Darin gehe es vor allem um junge Waldbestände. Aber die Begründung liest sich zumindest seltsam. „Mit unserer behutsam steuernden Waldbewirtschaftung verfolgen wir das Ziel, artenreiche und langlebige Waldgesellschaften zu erhalten und zu entwickeln“, meint Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal. „Wir brauchen stabile Ökosysteme, die sich an veränderte Klimabedingungen anpassen können und unsere Lebensgrundlage sichern.“

Ganz wesentlich sei dabei der Erhalt des Leipziger Auwalds mit seinen großflächigen europäischen Schutzgebieten nach der Flora-Fauna-Habitat (FFH-) und Vogelschutzrichtlinie. Da der Großteil der Leipziger Wälder inmitten des dicht besiedelten Stadtgebietes liegt, seien die Naturschutzbelange auch mit der Funktion des Waldes als bedeutender Erholungs-, Naturerlebnis- und Bewegungsraum für die Stadtgesellschaft in Einklang zu bringen.

Rüdiger Dittmar, Leiter des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, erklärte am Montag: „In diesem Jahr konzentrieren wir uns mit unseren forstlichen Pflegemaßnahmen auf die Entwicklung jüngerer Waldbestände. Die jungen Bäume stammen häufig aus Erstaufforstungen und haben sich zu geschlossenen Waldbeständen entwickelt. Durch die Entnahme benachteiligter Bäume, wird der verbleibende Baumbestand insgesamt in seiner Vitalität, Entwicklungs- und Anpassungsfähigkeit sowie seinem Artenreichtum gestärkt.“

Der Forstwirtschaftsplan sieht wieder konkrete flächenbezogene Pflegemaßnahmen im Kalenderjahr vor. Er sei Grundlage für die langfristige Sicherung der Umwelt-, Klima- und auch Erholungsfunktion des Stadtwaldes mit dem Schwerpunkt einer gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Waldbewirtschaftung, meint das Forstdezernat. Besondere Herausforderung dabei ist natürlich: Nach dem dritten Dürresommer in Folge zeigen sich auch im Leipziger Stadtwald erhebliche Trockenschäden und Krankheitsbefall im Baumbestand.

Die betreffenden Bäume sollen vor einer Fällung von Fachleuten geprüft werden. Dienen sie als Lebensstätte seltener oder geschützter Arten, werden diese selbstverständlich nicht gefällt, meint das Dezernat.

„Bei allen Pflegemaßnahmen im Leipziger Stadtwald achten wir als zuständiger Forstbetrieb darauf, dass Biotopbäume erhalten bleiben und möglichst viel abgestorbenes Holz im Wald verbleibt, ohne dass davon eine Gefahr für Waldbesucher ausgeht“, sagt Andreas Sickert, Leiter der Abteilung Stadtforsten im Amt für Stadtgrün und Gewässer. „Die Erhöhung des sogenannten Totholzanteils schafft vielfältige Strukturen sowie Licht-, Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse und fördert damit die Artenvielfalt.“

Aber der Widerspruch, der vor drei Jahren zur Klage der Grünen Liga gegen die Leipziger Forstwirtschaftspläne geführt hat, wird nicht ausgeräumt. Denn um solche forstlichen Maßnahmen zu ermöglichen, hat das OVG Bautzen betont, brauche es zwingend eine Verträglichkeitsprüfung.

Das Waldgesetz allein genügt hier nicht als Begründung. Doch genau auf das verweist das Forstdezernat: „Aufgrund des Waldgesetzes für den Freistaat Sachsen ist der Leipziger Stadtwald auf der Basis der Forsteinrichtung und jährlicher Wirtschaftspläne zu bewirtschaften. Die Forsteinrichtung für den Stadtwald Leipzig war im Oktober 2015 von der Ratsversammlung der Stadt Leipzig beschlossen worden. Der Forstwirtschaftsplan ist das Ergebnis eines umfangreichen Abstimmungsprozesses, an dem anerkannte Naturschutzverbände und die Untere Naturschutzbehörde der Stadt Leipzig beteiligt sind.“

Das hat nur nichts geholfen, um die Forstwirtschaftspläne 2018 ff. rechtssicher zu machen. Ihnen fehlte schlicht die naturschutzfachliche Grundlage.

2020 war erst gar kein Forstwirtschaftsplan aufgestellt worden. Somit gab es auch keine forstlichen Maßnahmen. Lediglich akute Maßnahmen zur Herstellung der Verkehrssicherheit wurden in 2020 vorgenommen.

Und der Grund dafür war natürlich der Rechtsstreit zum Forstwirtschaftsplan aus dem Jahr 2018. „Mit Beschluss vom 9. Juni 2020 hatte das Sächsische Oberverwaltungsgericht angemahnt, dass im Unterschied zu den sonstigen geplanten Bewirtschaftungsmaßnahmen die sogenannten Sanitärhiebe, also Maßnahmen zur Verkehrssicherung, nicht vorrangig auf die Erreichung der Erhaltungsziele der betroffenen Natura-2000-Gebiete abzielten. Kritisiert wurde also, dass nicht nur gebietserhaltende Pflegemaßnahmen, sondern auch Maßnahmen zur Verkehrssicherung im Forstwirtschaftsplan 2018 enthalten waren. Der aktuelle Forstwirtschaftsplan berücksichtigt den OVG-Beschluss“, behauptet das Dezernat.

Was schlicht die falsche Interpretation von 2020 wiederholt.

Die sogenannten Sanitärhiebe haben nichts mit Verkehrssicherung zu tun, sondern sind forstliche Eingriffe in gewachsene Waldbestände. Verkehrssicherung passiert an Waldwegen, damit umstürzende Bäume die Waldbesucher nicht gefährden.

Genau die Sanitärhiebe aber dürfen ohne Verträglichkeitsprüfung nicht erfolgen.

Das Forstdezernat aber legt sich die Sache weiter in seinem Sinne aus: „Sollten künftig in größerem Umfang im Wald Verkehrssicherungsmaßnahmen an öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, Eisenbahnlinien geplant werden, wird vorab eine FFH-Verträglichkeitsprüfung unter Beteiligung der anerkannten Naturschutzverbände erforderlich.“

Das ist schlicht falsch, denn gerade die Verkehrssicherungsmaßnahmen brauchen keine Verträglichkeitsprüfung. Die ist für alle forstlichen Eingriffe im streng geschützten FFH-Gebiet nötig.

Es wäre schon erstaunlich, wenn der Stadtrat diesem seltsamen Anliegen wieder zustimmen sollte. Das Forstdezernat jedenfalls versucht in der Begründung regelrecht den Purzelbaum: „Notwendige Sofortmaßnahmen, also bei unmittelbarer Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Bürgerinnen und Bürger, sind nach den richterlichen Ausführungen auch weiterhin ohne Prüfpflicht durchführbar. Das heißt, sie werden nach Feststellung im Rahmen der regelmäßigen Baumkontrollen des Fachpersonals ohne Verträglichkeitsprüfung umgehend beseitigt. Aufgrund der nunmehr an vielen Stellen sichtbar werdenden Schadsituation im Wald, die auf die drei Dürre- und Hitzesommer zurückzuführen ist, wird sich die Notwendigkeit akuter Maßnahmen zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit auch im Jahr 2021 weiterhin auf einem hohen Niveau bewegen.“

Das Dezernat verweist dann noch auf die Internetseite zum Stadtwald. Und den OVG-Beschluss.

Aber in dem steht eindeutig: „Der Antragsgegnerin (Stadt Leipzig, d. Red.) wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, es zu unterlassen, den Forstwirtschaftsplan 2018 zu vollziehen soweit dieser Sanitärhiebe, Femelhiebe/Femelungen, Schirmhiebe und Altdurchforstungen innerhalb des FFH-Gebiets ,Leipziger Auensystem‘ und des Vogelschutzgebiets ,Leipziger Auwald‘ vorsieht…” Denn die sind nur zulässig, wenn es vorher eine umfassende FFH-Verträglichkeitsprüfung gab – und zwar unter Einbeziehung aller relevanten Naturschutzverbände, auch der Grünen Liga.

Das Ganze sieht wieder nach einem neuen Rechtsstreit aus, nicht nach einem gangbaren Weg, die Schutzgüter des FFH-Gebietes zu bewahren.

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Es gibt 3 Kommentare

Also ich hab mir diesen Plan mal durchgelesen. Was Leipziger Behörden so unter Naturschutz verstehen, ist schon recht speziell. Ungefähr so speziell, wie das, was Leipziger Behörden so unter Bürgerbeteiligung verstehen, oder unter Förderung des Radverkehrs. Man möchte fast meinen, Leipziger Behörden wären generell etwas speziell. Mich würde es nicht mal überraschen, wenn demnächst eine Leipziger Behörde die Schwerkraft komplett umdeuten würde und behaupten würde, die Dinge fallen nicht nach unten, sondern nach oben – nur stehen eben alle anderen einfach falsch herum, auf dem Kopf!

Prinzipiell ist das alles in seiner Dreistigkeit fast schon genial. Was man anderswo als üble Zerstörung von Wald begreift, wird hier zur Maßnahme zur Förderung der Artenvielfalt. Die Beteiligten an diesem Plane sollten dringend Bewerbungen nach Brasilien schicken, Herr Bolsonaro würde sie sicher fürstlich entlohnen. Jemand, der sowas zustande bringt, vermag auch die Abholzung des Regenwaldes als Förderung der Artenvielfalt und Maßnahme zum Klimaschutz zu verkaufen. Vielleicht sollten wir ein paar Headhuntern Bescheid sagen? Und so diesen Leipziger Sprachkünstlern zu Reichtum, Ruhm und Ehre in Südamerika verhelfen? Andererseits, der arme Regenwald hätte dies auch nicht verdient, auch wenn ich diesen Leipziger Meistern die Villa und ein Leben an der Copacabana mit viel Rum und Sonnenschein sofort gönnen würde.

Nur was wird all dies für den Auwald bedeuten? Kurfristig, jajajaaaaa… will man nur ein bisschen was an den jungen Kulturen arbeiten. Aber langfristig stellt man die Weichen auf ein “einfach weiter so mit den Harvestern und Forwardern”, wie sie auch so stolz in den Broschüren der Abteilung Stadtforsten präsentiert werden (Stadtforst Leipzig in 3d, S. 150 – findet man ganz leicht im Internet! Gefördert durch die Firma Timbercut! Die haben auch die 3-D-Brillen gesponsort!).

Und irgendwie sieht das, was man dann in Leipzig so förstert, genauso aus wie sonstwo auch, nur überall nennt man es einfach reguläre Forstwirtschaft – und hier Förderung der Artenvielfalt – genial eigentlich, nur traurig, weil hinterher sieht es dann so trist aus wie bei dem großen Femelloch in der Nonne, wo im Sommer die gepflanzten kleinen Eichen trübe vor sich hin vegetieren und die stehen gelassenen Bäume nach und nach absterben (und regelmäßig kommt dann einer zum Rasenmähen zwischen den Reihen – so naturnah wie ein Golfplatz!). Oder dieses Landart-Projekt in der Burgaue, wo man versucht, die Naturverjüngung von Ahorn zu befördern (Christo ist ja nun gestorben, ansonsten hätte man den doch nach Leipzig holen können zum Verpacken des “Mittelwaldes” – das wär es doch gewesen! Ein Knüller, und die Welt hätte auf Leipzig und seine Stadtförster gesehen…). Vielleicht will die Welt ja belogen werden? Die Nachwelt wird jedenfalls über uns und unsere Zeit staunen, so die Nachwelt noch Kapazitäten dafür haben wird.

Ich finde es für eine Regierung einer Großstadt auch befremdlich, wenn man auf sog. “biologische” Lösungen (d.h. Erreichen des Ruhestandsalters) setzen muss, damit sich etwas ändert.

Ich warte also auf den Ruhestand einiger Amtsleiter im VTA, gewisser Geschäftsführer bei den LVB und von jemandem oben an der Spitze.

Kann ja nicht sein, dass Stadtpolitik gerontokratisch geführt wird. Selbst China ist da schon sehr lange darüber hinweg (wer sich noch erinnern kann…).

Die LVZ berichtete heute ebenfalls über den neuen Forstwirtschaftsplan. Es ist leider nicht überraschend, dass sich das städtische Forstamt und sein Leiter immer noch als völlig erstarrt und ignorant erweisen. Selbst den eindeutigen Tenor des OVG-Urteils wollte man von Anfang an unbedingt missverstehen… Für Herrn Sickert dürfte es ja durchaus auch schwer sein, anzuerkennen, dass er seit langem auf einem Holzweg unterwegs war, der den Leipziger Auwald nach und nach entwertete. Psychologisch verständlich. In wenigen Jahren wird er seinen wohlverdienten Ruhestand antreten. Bis dahin wird er dank des OVG-Urteils (FFH-Verträglichkeitsprüfung unter Beteiligung der Grünen Liga) den Wald sicherlich nicht mehr mit seinen intensivforstwirtschaftlichen Durchforstungen, Schirm- und Kahlhieben “beglücken” dürfen, und es bleibt zu hoffen, dass sich im Zuge einer Waldwende ein Nachfolger finden wird, der etwas mit dem Begriff Waldökologie anfangen kann.

Die Aussagen des Amtsleiters und des WTNK-Bürgermeisters bedürfen keiner Kommentierung, denn die sind ihnen sicherlich wie üblich vorher aufgeschrieben worden… Es ist hinlänglich bekannt, dass die beiden Herren typische Marionetten und Lobbyisten derer sind, die das eigentliche Sagen haben (z.B. Profiteure des Massentourismus, Immobilien”haie” und Baubranche, Autoindustrie oder halt die Holzindustrie); das ist ja auch nicht wirklich untypisch in den Bürokratien des Kapitalismus und Neoliberalismus.

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