Der Schuss saß, auch wenn der Antrag aus dem Beirat für Gleichstellung beinahe harmlos klang: „Die Perspektiven von Geschlechtergerechtigkeit sowie eine erweiterte Sichtweise auf Demokratie werden bei der weiteren Planung des ,Forums für Freiheit und Bürgerrechte‘ angemessen und in allen Bereichen berücksichtigt.“ Aber er machte auf freundliche Weise mehr als klar, dass man auch bei der Friedlichen Revolution mal wieder die Hälfte der Beteiligten ignoriert hatte.

Denn auch wenn das Forum künftig „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ heißen soll, wissen alle Beteiligten, dass im Zentrum immer die Friedliche Revolution stehen wird, jener atemberaubende Prozess, in dem sich die Leipziger/-innen das Recht zum Sprechen und Mitgestalten friedlich erobert haben. Und dass es friedlich blieb, hat eine Menge damit zu tun, dass dieser Herbst ’89 von Frauen gleichberechtigt und gleichbeteiligt mitgestaltet wurde.Sie wagten sich mit Transparenten auf die Straßen, organisierten Friedensgebete, wurden verhaftet, meldeten sich in den Debatten zu Wort – auch dann, wenn vorn im Podium wieder nur lauter Männer in langweiligen Anzügen saßen. Und spätestens an den Runden Tischen wurden sie zur gestaltenden Kraft.

Und alles, was bislang zum „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ diskutiert wurde, kam mal wieder aus von Männern besetzten Büros und Führungspositionen. Vom Herbst 1989 aus betrachtet wirkt unsere Gegenwart noch immer so männerdominiert wie das ZK der SED. Aber Frauen werden eher nicht wütend. Sie arbeiten lieber beharrlich, bis die Herren mit den höheren Posten so gnädig sind, mal zuzuhören.

Und im Kulturdezernat wurde das Anliegen des Gleichstellungsbeirats durchaus verstanden. Auch wenn das in der Formulierung eines Alternativstandpunktes erst einmal noch sehr zurückhaltend klingt:

„Das übergeordnete Anliegen des Antrags, die Perspektiven von Geschlechtergerechtigkeit und eine vielfältige Sicht auf Demokratie im Sinne einer Diversität angemessen zu berücksichtigen, wird durch die Stadtverwaltung ausdrücklich befürwortet. Da der inhaltliche Entwicklungsprozess hin zu einer tragfähigen Vision mit dem derzeitigen Akteurskreis noch nicht abgeschlossen ist und der Umgang mit einer hohen Anzahl an Interessensgruppen eine entsprechende Evaluierung bedarf, soll ein durch den Wissenschaftlichen Beirat des ,Forum für Freiheit und Bürgerrechte‘ empfohlener Kriterienkatalog die Richtlinien zur Teilnahme an der Ausgestaltung definieren. Eine strukturelle Überarbeitung des Prozesses ist nötig und lässt derzeit keine Änderungen im Akteurskreis zu.“

Warum hat man bei dem Satz nur das eigenartige Gefühl, dass das lauter Ausreden sind? Und dass auch das Kulturdezernat mit diesem Herumgeeier nicht wirklich glücklich ist?

Denn im konkreten Eingehen auf die Antragspunkte des Gleichstellungsbeirats wird das Dezernat deutlich konkreter und formuliert: „Die Ergänzung der Arbeitsgruppe um weitere Akteure wird für die Zukunft angestrebt. Eine Änderung zum jetzigen Zeitpunkt ist jedoch, aufgrund eines intensiven und mehrteiligen Abstimmungsprozesses, wie mit der inhaltlichen Arbeit, die bisher keine tragfähigen Visionen hervorbrachte weiter verfahren wird, nicht möglich. Eine strukturelle Veränderung des Prozesses ist nötig. Auf Festlegung des Wissenschaftliche Beirat ,Forum für Freiheit und Bürgerrechte‘ werden Kriterien zur Teilnahme festgelegt und die Frage beantwortet, wie heute Repräsentanz organisiert werden kann.‘

Kann es sein, dass eine Menge sehr interessierter Männer den Prozess gerade mit all ihren Möglichkeiten blockieren? Und dass man die Hälfte dieser Männer schon längst hätte vor die Tür komplimentieren müssen, um einfach das herzustellen, was bei einem solchen Gremium, im Jahr 2021 längst selbstverständlich sein müsste: eine Gleichverteilung von Frauen und Männern?

Natürlich.

Denn jeder Blick auf all die Hahnenkämpfe um das Forum, seine Deutung und die künftige Platzierung mit eigenen Prestigeprojekten zeigt kampflustige Männer, die wieder mal eine Domäne gefunden haben, wo sie sich breitmachen können.

Da waren wir vor 31 Jahren schon mal weiter. Da war wenigstens für einen historischen Moment klar, dass die Hälfte der Gesellschaft nicht nur aus Frauen besteht, sondern Frauen auch ein gleiches Recht auf politisches Mitgestalten haben sollten.

Jetzt kann man gespannt sein, welche Vorschläge der Wissenschaftliche Beirat machen wird. In der Vorlage des Kulturdezernats heißt es dazu: „Die Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats soll in seiner nächsten geplanten Sitzung (Juli 2021) besprochen, der Kriterienkatalog bis zum Herbst 2021 erstellt und bis Ende des Jahres 2021 umgesetzt werden.“

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Lasst doch endlich mal wenigstens alte weiße Frauen ran…

und immer noch die Frage: Welche Konzernzentrale stellt seinen Phallus dorthin und verschattet die Nordwestecke?

Wenn jetzt die alten weißen Männer meinen: Aber, aber das Erdgeschoss der Konzernzentrale wird quasi öffentlich für Restaurants oder Kleingewerbe… Das funktioniert nicht.

Sieht man sehr schön an dem kommerziellen Durchgang zwischen Markgrafenstraße und Ratsfreischulstraße. Gibts schon Jahrzehnte, wurde nicht angenommen.

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