Immer wieder haben in den letzten Wochen Baumfällungen mitten in der beginnenden Brutsaison für Aufsehen gesorgt, auch städtische. Als hätte man die nötigen Fällungen nicht vor dem 1. März organisiert bekommen. Und es scheint immer öfter vorzukommen. Was die Grünen-Fraktion zu einer etwas deutlichen Anfrage an die Verwaltung brachte. Aber die hat (fast) keine Zahlen.

Letzter Auslöser waren die Baumfällungen zur Vorbereitung der Schulbaumaßnahme für die Astrid-Lindgren-Schule in Schönefeld.

Grüne kritisieren: Fällsaison ist beendet

„An der Astrid-Lindgren-Schule in Leipzig/Schönefeld wurden im Zuge der Vorbereitung der Modernisierung des Schulstandortes Volksgartenstraße / Löbauer Straße und der Errichtung eines verbindenden Mehrzweckgebäudes Baumfällungen außerhalb der Fällsaison vorgenommen und damit entgegen der Bestimmungen des Bundes-Naturschutzgesetzes“, stellte die Grünen-Fraktion in ihrer Anfrage fest.

„So unbestritten wichtig unserer Fraktion die Sanierung und Entwicklung des Schulstandortes ist: Die Fällsaison ist seit 1.3. beendet. Auch in §5 (4) der seit 1.3.2021 gültigen Leipziger Baumschutzsatzung steht geschrieben:

‚Vom 01.03. bis 30.09. können genehmigte Beseitigungen sowie weitere Eingriffe nur im Ausnahmefall (z.B. Verkehrssicherungspflicht) erfolgen, um die Habitatfunktion der Gehölze vor allem während der Vegetationsperiode zu garantieren.‘

Dennoch wurde seitens des Amtes für Stadtgrün und Gewässer / SG Stadtbäume – Baumschutz eine Genehmigung mit dem Aktenzeichen: 63-2021-006099-SB-02.61-CBU sowie auch eine Befreiung vom Verbot des § 39 (5) Nr. 2 BNatSchG für die Fällung / Kronenschnitt und Beseitigung von Bewuchs in der Zeit vom 01. März bis 29.04.2022 mit dem Aktenzeichen: 36.11-36.45.13.06-2022/004013 des Amtes für Umweltschutz der Stadt Leipzig erteilt.“

Dass es einmal Ausnahmen geben kann, wenn bei städtischen Bauvorhaben Zeitdruck besteht, ist den Grünen durchaus bewusst: „Erfahrungsgemäß gibt es bei städtischen Bauvorhaben regelmäßig viele Einflussfaktoren wie die Bereitstellung finanzieller Mittel, Abstimmungsverfahren bis hin zu den Beschlussfassungen und dem Vergabeprozess, die zur zeitlichen Verzögerung im baulichen Ablauf führen. Dennoch gelten für kommunale Bauvorhaben die gleichen gesetzlichen Grundlagen des Umwelt- und Naturschutzes und Verpflichtungen wie für private Vorhabenträger.“

Ein unzumutbarer Rechercheaufwand?

Aber die ganze Frageliste der Grünen war letztlich fast für die Katz. Denn mit geradezu verblüffender Kaltschnäuzigkeit antwortet das Amt für Umweltschutz auf die Fragen zu den gewährten Ausnahmegenehmigungen jedes Mal: „Ein Zeitraum für die begehrte Auskunft wurde nicht mitgeteilt. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit war eine auf die Jahre 2022 und 2021 begrenzte Recherche leider nicht möglich.“

Da reicht ein Amt Ausnahmegenehmigungen aus und kann nicht mal sagen, wie viele es sind? Das wirkt dann schon wie eine geruhsame Auskunftsverweigerung. Oder wie eine Nebelkerze, weil man den Stadträten einfach nicht mitteilen will, wie freizügig im zuständigen Amt mit Ausnahmegenehmigungen fürs Fällen von Bäumen umgegangen wird.

Steht das wirklich so im Bundes-Naturschutzgesetz?

Besonders verwirrend wird es, wenn die Verwaltung auf die Frage „Wie viele Ausnahmegenehmigungen erteilt die Stadt sich bei Bauvorhaben selbst und warum ist es der Stadt offenbar nicht möglich, erforderliche Zeitabläufe einzuhalten?“ erklärt: „Den gesetzlichen Rahmen für die Verwirklichung städtischer Bauvorhaben während der Brutsaison setzt § 39 Abs. 5 S. 2 BNatSchG. In den aufgeführten Fällen ist für die Durchführung von Bauvorhaben während der Brutsaison keine Genehmigung der unteren Naturschutzbehörde der Stadt Leipzig erforderlich bzw. kann eine solche auch nicht eingefordert werden (z. B. bei allen behördlich durchgeführten oder behördlich zugelassenen Maßnahmen, die im öffentlichen Interesse nicht auf andere Weise oder zu anderer Zeit durchgeführt werden können).“

Dieser Satz im Bundes-Naturschutzgesetz lautet aber: „Es ist verboten, Bäume, die außerhalb des Waldes, von Kurzumtriebsplantagen oder gärtnerisch genutzten Grundflächen stehen, Hecken, lebende Zäune, Gebüsche und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden, auf den Stock zu setzen oder zu beseitigen; zulässig sind schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen oder zur Gesunderhaltung von Bäumen (…). Liegen die Voraussetzungen aus § 39 Abs. 5 S. 2 BNatSchG bzw. § 67 BNatSchG nicht vor, werden Eingriffe im Zusammenhang mit städtischen Bauvorhaben während der Brutsaison von der unteren Naturschutzbehörde der Stadt Leipzig auch nicht genehmigt.“

Was ja so klingt, als hätte es für das Fällen der Bäume gar keine Ausnahmegenehmigung gegeben.

Wobei ein anderer Satz aus der Antwort darauf hindeutet, dass man im Amt sowieso nicht weiß, was da draußen vor sich geht, wenn nicht die Bürger selbst eine Anzeige stellen: „Hinweisen aus der Bürgerschaft wird regelmäßig durch Mitarbeiter des Amtes für Umweltschutz, des Amtes für Stadtgrün und Gewässer und des Stadtordnungsdienstes nachgegangen. Eine flächendeckende und vollumfängliche Überwachung des privaten Baumbestandes ist mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht möglich.“

Dabei hatten die Grünen an der Stelle keineswegs nur nach dem privaten Baumbestand gefragt, sondern nach „Einschlägen ohne ausreichende Genehmigung nach Baumschutzsatzung“.

Stillschweigende Ausnahmen für städtische Bauvorhaben?

Die ganze Antwort liest sich wie ein Eiertanz um den Kern der Fragen herum, um nur ja nicht zu thematisieren, warum ausgerechnet bei städtischen Bauprojekten so oft auch nach dem 1. März Bäume gefällt werden.

Ein paar wenige Zahlen hat das Amt für Umweltschutz dann doch noch, denn wenn es formgerechte Anzeigen von Bürgern gibt, muss das Amt tätig werden. „Bei nicht genehmigten Eingriffen in den geschützten Gehölzbestand werden Ordnungswidrigkeitsverfahren eröffnet. Im Jahr 2021 waren es 19 Verfahren. Im Jahr 2022 sind es bisher 8 Verfahren. Dabei wurden im Jahr 2021 neun Fälle von Einschlägen innerhalb der Brutsaison ohne Genehmigung der unteren Naturschutzbehörde registriert, im Jahr 2022 bislang vierzehn Fälle (wobei einige Fälle mehrfach angezeigt wurden).“

Dass die Ordnungsgelder für die Baumfäller dann meistens eher lächerlich sind, betont das Amt für Umweltschutz auch: „Die Konsequenzen illegaler Baumfällungen sind vor allem finanzieller Art. Für Bauherren oder Grundstückseigentümer, die auf Erlöse spekulieren, sind die im Verhältnis zu heutigen Baukosten relativ geringen Bußgelder nicht von ausschlaggebender Bedeutung.“

Aber wo niemand mit dem scharfen Auge des zuständigen Amtes rechnen muss und die Stadt selbst kein Vorbild ist, scheint das dann eher ein Kavaliersdelikt zu sein.

Denn dass die amtlichen Umweltschützer ganz von allein auftauchen, ist nicht zu erwarten, wie man der Antwort entnehmen kann: „Die Kontrolltätigkeiten können aufgrund der personellen Kapazitäten nur anlassbezogen erfolgen.“

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