Leipzig bekommt eine Bücherspur. Aber nicht bis 2024, wie von den Grünen gewünscht, sondern erst 2025. Auch nicht in Form sichtbarer Zeichen in öffentlichen Raum. Leipzigs Bücherspur wird digital. Obwohl man sich nach der Rede von Bert Sander im Leipziger Stadtrat am 12. Oktober sogar vorstellen kann, dass sie sogar ein Denkmal bekommt. Ein ganz besonderes.

Denn in seiner Rede zur Einbringung des Grünen-Antrages wich er erheblich vom Begründungstext ab, den der Antrag geboten hatte. Grund dafür war das Wunschjahr, das die Grünen ursprünglich beantragt hatten: das Jahr 2024, der 35. Jahrestag der Friedliche Revolution.

Denn friedlich blieb diese Revolution auch deshalb, so Sander, weil sie von der Buchstadt Leipzig ausging. Und das hatte auch zu tun mit der Rolle Leipziger Verlage, die schon vor den Montagsdemonstrationen Bücher veröffentlicht hätten, die so unter der strengen Kontrolle in Berlin nicht erschienen wären.

Insbesondere den Reclam Verlag nannte er, der in Zehntausender-Auflagen Titel herausbrachte, die den Kanon des Akzeptierten und Erlaubten immer wieder sprengten.

Was sicher nur nachvollziehen kann, wer damals noch jung war und tatsächlich noch all die zerlesenen Bände von Reclam Leipzig im Regal stehen hat. Einige dieser Veröffentlichungen findet man in dem 2008 von Siegfried Lokatis und Simone Barck veröffentlichten Buch „Zensurspiele“. Wobei sich diese Unterwanderungen der DDR-Zensur nicht nur auf Leipzig beschränkten.

Sie erzählen trotzdem von einem Sprengstoff, der zwingend zur Friedlichen Revolution gehörte, auch wenn das selten bis nie thematisiert wird: Die Wirkung von subversiver und kritischer Literatur im „Leseland“ DDR, wo die Leserinnen und Leser gelernt hatten, zwischen den Zeilen zu lesen und über die Literatur jene Diskussionen auszutragen, die in den Parteizeitungen des Landes nicht erwünscht waren.

Jetzt oder nie: Demokratie!

Wie enorm der Bedarf und der Hunger der Leserinnen im Land nach authentischer und ehrlicher Lektüre zu ihrem Land war, machte Sander an einem Beispiel deutlicher: jenem legendären 3. März 1990, als der frisch gegründete Forum Verlag auf dem Karl-Marx-Platz (heute wieder Augustusplatz) vom Lkw herab die frisch gedruckten Bände seines ersten Titels verkaufte: „Jetzt oder nie: Demokratie!“ Innerhalb von vier Stunden waren 6.500 Exemplare verkauft. Die Käuferschlange stand zeitweise bis zum Alten Rathaus.

Wäre das nicht ein Denkmal, das zu denken gäbe: nach authentischer Literatur hungrige Leser in einer Warteschlange?

Es gibt genug Gründe, an die Rolle von Büchern, Verlagen und Autoren in autoritären Gesellschaften zu erinnern. Aber die Bücherspur soll ja mehr zeigen – im Grunde die ganze Buchstadt, von der Bert Sander überzeugt ist, dass sie nicht nur der Vergangenheit angehört, sondern mit Dutzenden Verlagen und Institutionen noch heute die Stadt prägt – vom Haus des Buches über die Deutsche Nationalbibliothek bis zum Literaturinstitut.

Weshalb das Dezernat Kultur in seiner Stellungnahme auf eine digitale Karte verwies, die diese Buchstadt in gewisser Weise schon abbildet:

„Tatsächlich existiert bereits ein digitaler Stadtplan zur Buchstadt Leipzig, der die Dichte und die Verteilung der buchgewerblichen Betriebe sichtbar macht – dies exemplarisch zum Zeitpunkt einer beispiellosen ‚Blütezeit‘ des Buchgewerbes in Leipzig im Jahr 1913.

Dazu wurden vom Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek alle entsprechenden Betriebe in eine Datenbank übertragen und nach Gewerbetypen sortiert. Das Amt für Geoinformation und Bodenordnung der Stadt Leipzig recherchierte die heutigen Entsprechungen der historischen Adressen und ergänzte die Geokoordinaten.

Die Daten, die dem digitalen Stadtplan zugrunde liegen, sind frei verfügbar und können von allen Interessierten auch für eigene Projekte weiterverwendet werden.“

Schon das eine Karte, die mit ihrer Fülle von Einträgen regelrecht erschlägt.

Ein digitaler Audiowalk

„Weiterhin wurde bereits von der Universitätsbibliothek Leipzig die Website buchbewegt-leipzig.de initiiert, die die Literatur- und Buchakteure Leipzigs bündeln soll – das Projekt fand in den Jahren 2014 bis 2019 statt. Die Website wird gegenwärtig nicht mehr gepflegt.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass Websites immer mit der Frage der Aktualisierung des Contents einhergehen. Da dies kaum von der Stadtverwaltung nachgehalten werden kann, wird folgender Vorschlag entwickelt:

Die Stadtverwaltung schlägt eine digitale Umsetzung vor und prüft die Entwicklung eines ‘literarischen Audiowalks’ oder ‚Podcasts‘ unter Berücksichtigung bereits erfasster Datensätze (Geokoordinaten, Literatur- und Buchakteursdaten), der gezielt ein junges Publikum anspricht. Inhalt soll die Buch- und Literaturstadt Leipzig sein, die entlang von Stationen durch den öffentlichen Raum vorgestellt wird. Historische Wegmarken wären dabei ebenso wie junge Verlage oder Leseorte vertreten.“

Was ja durchaus funktionieren kann. Die digitale Welt entwickelt sich weiter. Und wenn man sich mit seinem Smartphone beim Spaziergang durch Leipzig einfach in die Buchstadt einklinkt, kann man an den heute existierenden Orten direkt eintauchen in die Geschichte.

Bert Sander jedenfalls fand den Vorschlag gut und auch die Verschiebung ins Jahr 2025 akzeptabel, denn die hat das Kulturdezernat auch begründet: „Für das Projekt soll zunächst ein Konzept beauftragt werden (Dezernat Kultur), das bereits bestehendes Material sichtet, erste Vorschläge zur Routenführung entwickelt und finanzielle Eckdaten festhält. Sollte sich das Projekt als umsetzbar erweisen, wird eine Realisierung innerhalb des Themenjahres ‚Buchstadt Leipzig‘ (Arbeitstitel) im Jahr 2025 vorgeschlagen und eine entsprechende Vorlage erarbeitet.“

Und so stellte Sander dann kurzerhand den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung, der dann auch die volle Zustimmung der Ratsversammlung bekam.

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