Es ist wohl tatsächlich der Haushalt mit den größten Risiken seit Jahren, den der Leipziger Stadtrat am 8. Februar beschlossen hat. Weniger wegen der 44 Millionen Euro, die mit den Beschlüssen am 8. Februar „noch oben drauf gepackt wurden“, wie sich FDP-Stadtrat Sven Morlok ausdrückte. Sondern wegen der zusätzlich drohenden Kosten, die noch gar nicht eingepreist sind. Obwohl 2,38 Milliarden Euro jeweils 2023 und 2023 neue Höchstwerte sind. Die Stadt wächst. Und so auch ihre Ausgaben.

Aber in seiner Rede benannte Finanzbürgermeister Torsten Bonew auch die Risiken, die Leipzig in keiner Weise beeinflussen kann. Besonders deutlich hob er die Bundesentscheidung für das 49-Euro-Ticket hervor, das nun wahrscheinlich im Frühjahr eingeführt werden soll. Doch vergessen habe der Bund dabei, dass der ÖPNV im Bestand überhaupt nicht ausfinanziert ist und die dort wachsenden Kosten dann doch wieder bei der Kommune hängen bleiben.

Zu diesem Bestandserhalt gehören natürlich auch die Löhne und Gehälter bei den LVB. Insbesondere das Fahrpersonal kämpft ja seit einigen Wochen um 10,5 Prozent Lohnerhöhung. Einen Warnstreik, um die Forderungen der Gewerkschaft durchzusetzen, kann es jederzeit geben.

Risiko Tariferhöhung

Aber ver.di streikt ja nicht nur für die LVB, sondern will im gesamten öffentlichen Dienst deutliche Tarifsteigerungen durchsetzen. Und das setzt auch ein dickes Fragezeichen über den Leipziger Haushalt 2023. Denn geplant hat ihn Finanzbürgermeister Torsten Bonew nur mit 2 Prozent steigenden Personalkosten. Jedes Prozent mehr, welches die Gewerkschaften durchsetzen können, bedeutet für den Leipziger Haushalt bei über 500 Millionen Euro Personalkosten, die Sven Morlok in seiner Rede im Stadtrat nannte, 5 Millionen Euro zusätzliche Ausgaben.

Bei 5 Prozent also schon 16,5 Millionen. Dass ver.di wahrscheinlich den hohen Inflationssatz von 10,5 Prozent nicht komplett wird durchsetzen können, dürfte Torsten Bonew trotzdem nicht ruhiger schlafen lassen.

Denn gleichzeitig hat sich auch die Lage am Energiemarkt nicht wirklich entspannt. Gas- und Strompreise sind weiterhin hoch – was wieder die Stadtwerke Leipzig belastet, aber auch den Ausgabentopf der Stadt Leipzig. Und besonders besorgt schaut Bonew auf das Städtische Klinikum St. Georg, das – wie hunderte andere Kliniken in Deutschland – auf ein Minus im zweistelligen Millionenbereich zusteuert, weil die Gesundheitspolitik der Bundesrepublik ausgerechnet die Kliniken auf horrenden Kosten sitzen lässt. Auch da müsste wieder die Stadt einspringen, um den Fehlbedarf auszugleichen.

Wie das geschehen könnte, deutete Bonew schon an. Denn mit dem Haushaltsbeschluss habe ihm die Ratsversammlung auch die Aufgabe mitgegeben, die Haushaltsausgaben im Jahre 2023 pauschal um 32 Millionen Euro zu kürzen. Das ist der Spielraum für seine unterjährige Haushaltssteuerung, um weitere Defizite zu vermeiden.

Retten die Leipziger Autobauer den Leipziger Haushalt?

Andererseits wurden beide Haushalte 2023 und 2024 vor allem dadurch erst genehmigungsfähig, weil der Ansatz für die Gewerbesteuereinnahmen um 55 Millionen Euro erhöht wurde. Schon im Vorfeld hatte insbesondere die Grünen-Fraktion moniert, dass die Gewerbesteuereinnahmen viel zu niedrig geplant wurden. Auch für 2022 gehen sie davon aus, dass mit rund 100 Millionen Euro zu wenig geplant wurde. Aber wie hoch die Steuereinnahmen 2022 tatsächlich waren, ist noch nicht abschließend berechnet.

Dass sie deutlich höher ausfallen dürften, stellte auch Bonew fest und verwies dabei auf das vor allem beitragende produzierende Gewerbe und vor allem die Leipziger Autobauer, die einen Löwenanteil zum Leipziger Gewerbesteueraufkommen beitragen.

Was dann am 8. Februar einige Spitzen vornehmlich gegen Linke und Grüne nach sich zog, denn wenn man die Sache so betrachtet, werden grüne und linke Vorhaben in Leipzig vor allem deshalb finanzierbar, weil die Automobilindustrie ordentlich Gewerbesteuer zahlt.

Nachprüfen kann man das nicht. Es gibt keine öffentliche Übersicht zu den Gewerbesteuereinnahmen nach Lieferadresse.

Der FDP-Stadtrat Sven Morlok am 8. Februar im Stadtrat. Foto. Jan Kaefer
FDP-Stadtrat Sven Morlok am 8. Februar im Stadtrat. Foto. Jan Kaefer

Aber auch FDP-Stadtrat Sven Morlok ließ es sich nicht nehmen, zu betonen: „Die Leipziger Gewerbesteuer ist nicht gleichmäßig auf viele Zahler verteilt, sondern stammt von einzelnen, besonders ertragsstarken Unternehmen aus der Automobilindustrie. Dieses sogenannte ‚Klumpenrisiko‘ bedeutet letztlich: Die Umsetzung der grünen Ideen hängt am Erfolg des Verbrennungsmotors. Die linken Blütenträume gehen nur in Erfüllung, wenn es genug Menschen gibt, die sich Luxuskarren leisten können. Wie verlogen ist denn das?“

Und wirklich zufrieden war er damit, wie die beiden Haushalte dann beschlossen wurden, auch nicht. Auch wenn die Freibeuter trotzdem zustimmten. Der diesjährige Haushalt halte nur aufgrund einer Ausnahmeregelung, sagte Morlok. Zehn Millionen Euro fehlten, um regulär genehmigungsfähig zu sein. 50 Millionen Euro Mehrausgaben gingen direkt auf das Konto des Stadtrats aufgrund von beschlossenen Änderungsanträgen.

Auch das berge laut Morlok Risiken: „Wer bei seinen vielen Sonderwünschen auf die Spitzenzahler der Gewerbesteuer vertraut, begibt sich aber über kurz oder lang in große Abhängigkeit. Wenn zahlungskräftige Gewerbe plötzlich ausfallen, können soziale Zusatzangebote nicht weitergeführt werden. Über den Haushalt entscheidet zwar der Stadtrat. Über Haushaltssperren jedoch entscheidet der Kämmerer. Dessen Rotstift wird dann richtig wehtun.“

Steigende Beschäftigung bringt steigende Einkommenssteuer

Wenn Bonew denn in diesem Ausmaß kürzen muss. Denn auch er erwähnte nicht nur die Unternehmen und risikobereiten Unternehmen, die Leipzig überhaupt Gewerbesteuereinnahmen ermöglichen. Er erwähnte auch die steigende Zahl von Beschäftigten in sozialversicherungspflichtiger Anstellung, die ja allesamt Einkommenssteuer zahlen. Auch das war ja ein Effekt, der 2022 zu höheren Steuereinnahmen beitrug.

Weshalb der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Tobias Peter, völlig andere Spielräume bei der Haushaltsplanung sieht: „Wir leben in krisenhaften Zeiten, die auch unsere Haushalte unter Druck setzen. Entscheidend ist, wie wir mit dieser Krise, wie wir mit Krisen generell umgehen. Unsere Fraktion wurde bei der Haushaltseinbringung für unser ambitioniertes Paket an Änderungsanträgen belächelt.

Die Realität zeigt hingegen, dass unsere damaligen Prognosen eingetroffen sind. Alle wirtschaftlichen Indikatoren zeigen nach oben, die Gewerbesteuereinnahmen steigen auf Rekordniveau! Finanzen, Wirtschaft und Gesellschaft erholen sich nicht von allein, sondern ein aktives Handeln der öffentlichen Hand ist Grundlage dafür. Es ist eben kein Glück oder Zufall, sondern harte Arbeit auf allen politischen Ebenen, das dafür sorgt, dass wir gut aus der Krise kommen. Weder bei der Corona-Krise noch in der Krise infolge des Ukraine-Kriegs haben EU, Bund, Land, und auch nicht wir als Stadt, der Krise hinterhergespart, sondern aktiv gegengesteuert.“

Hier prallen also zwei völlig unterschiedliche finanzpolitische Philosophien aufeinander – die konservative, die am liebsten schon von vornherein jedes finanzielle Risiko ausschließen möchte. Und die investitionsorientierte Finanzpolitik, welche die Stadt auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten möchte.

Superthema: Klimaneutralität

So wie es die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft ausdrückt: „Unsere Initiativen waren erfolgreich und wir haben die Debatte angestoßen: Was ist jetzt wichtig und wie machen wir unsere Stadt krisenfest? Wichtig ist, unsere Stadt hin zur Klimaneutralität zu führen und an den Klimawandel anzupassen. Denn das spart in Zukunft Ressourcen, also auch Geld.

Leipzig als grüne Stadt, gesund, lebenswert und lebendig, ist unser Auftrag. Deshalb müssen und können wir konsequent investieren in Stellen und Mittel für Erhalt, Kontrolle und Planung von Stadtgrün und Artenvielfalt, wir bringen das nachhaltige und bezahlbare Bauen voran, sorgen für klimaangepasste Qualität im öffentlichen Raum.“

Wie Leipzig das Jahr 2022 überstanden hat, weiß übrigens noch niemand. Noch gibt es keine Abrechnung für die Steuereinnahmen. Und damit auch nicht für den Haushaltsabschluss. Geplant war er – coronabedingt – mal mit einem Minus von 100 Millionen Euro. Im Herbst hatte sich das Minus – trotz erheblicher Kosten für die Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge – auf 55 Millionen Euro fast halbiert. Eigentlich so langsam typisch für Leipzig, dass unterjährig nie so viel Geld ausgegeben wird wie ursprünglich geplant. Und die Steuereinnahmen dann doch höher lagen als geplant.

Zum Nicht-Geldausgeben gehören nun einmal auch die Investitionen. OBM Burkhard Jung schwärmte zwar von den neuen Rekordansätzen für Investitionen von 456 Millionen Euro im Jahr 2023 und rund 493 Millionen Euro für 2024. Aber am 8. Februar wies Torsten Bonew auch wieder trocken darauf hin, dass er wieder Haushaltsausgabenreste in Höhe von 320 Millionen Euro von 2022 ins Jahr 2023 verschieben musste. Leipzig bekommt seine geplanten Investitionen einfach nicht verbaut. Rund 344 Millionen Euro hat Leipzig 2022 verbauen können.

Für 2023 stehen jetzt theoretisch 786 Millionen Euro zur Verfügung. Aber man kann jetzt schon Wetten darauf abschließen, dass Leipzig auch davon nur weniger als die Hälfte wird umsetzen können. Aber wie heißt es in England so schön? Wie gut der Pudding ist, erweist sich beim Essen.

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