Kaum wühlen sich die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) so langsam aus dem Pandemie-Tief, schon gibt es den nächsten Schock durch massive Energiekostensteigerungen, Inflation und absehbar hohe Lohnzuwächse durch Tarifverhandlungen. Im Jahr 2023 kommt so ziemlich alles zusammen, was in den vergangenen 15 Jahren beim Leipziger ÖPNV falsch gemacht wurde.

Denn so lange wurden die LVB als Sparmodell behandelt, wurden die Zuschüsse von zuvor über 60 Millionen Euro auf 45 Millionen Euro pro Jahr abgesenkt, mit der völlig schrägen Erwartung, das könne das Leipziger ÖPNV-Unternehmen dann einfach irgendwo durch Einsparungen abpuffern. Und am Ende hat man – wie das im neoliberalen Sprech so schön heißt – ein „schlankes“ und „effizientes“ Unternehmen.

Bezahlt haben die Leipziger dabei vor allem dadurch, dass der dringend notwendige Netzausbau nicht in den Jahren geplant und begonnen wurde, als er deutlich preiswerter hätte vollzogen werden können. Und müssen. Denn dass die Stadt wuchs, war ja schon länger klar. Es war nicht erst die 2018 endlich beschlossene Mobilitätsstrategie, die das sichtbar machte. Und auch die war ja eher zurückhaltend und eher auf ein langsames Bevölkerungswachstum angelegt.

Doch selbst die darin verankerten Zielzahlen glaubt das Leipziger Verkehrsdezernat nicht mehr erreichen zu können.

Die neue Fahrgastzahlprognose der LVB. Grafik: Stadt Leipzig
Die neue Fahrgastzahlprognose der LVB. Grafik: Stadt Leipzig

„Die im Nachhaltigkeits-Szenario für das Jahr 2030 angenommenen 220 Mio. Fahrgäste sind aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und des Fahrgastrückgangs in Verbindung mit der Coronapandemie nicht mehr erreichbar. Aktuell scheinen 180 Mio. Fahrgäste in 2030 realistisch“, heißt es jetzt in der Vorlage des Dezernats Stadtentwicklung und Bau, mit der die drohenden Finanzierungslücken für 2023 und 2024 und damit die zusätzlichen Zuschüsse für die Stadt beziffert werden.

Die Vorlage „Aktuelle Herausforderungen der ÖPNV-Finanzierung unter dem Nachhaltigkeits-Szenario“.

Wobei man bei der neuen Hochrechnung überrascht ist, denn das Verkehrsdezernat geht davon aus, dass sich der massive Fahrgasteinbruch aus den Corona-Jahren nun bis ins Jahr 2030 fortschreibt. Nach jeweils rund 100 Millionen Fahrgästen in den Corona-Jahren 2020 und 2021 erreichten die LVB 2022 wieder 135 Millionen Fahrgäste. Eine Zahl, die freilich um 40 Millionen unter der Planung von 2020 lag. Danach hätten 174 Millionen erreicht werden sollen.

Langsamerer Wachstumspfad?

Was dann in der Vorlage erstaunlicherweise diese Aussage zur Folge hat: „Aufgrund der aktuell geringeren Fahrgastentwicklung ist es angezeigt, den eingeschlagenen Wachstumspfad zu verlangsamen und mit Augenmaß weiterzuverfolgen. Konkret müssen Angebotserweiterungen einer unternehmerischen Bewertung unterzogen und die Komplexmaßnahmen des

‚Basismoduls Modernisierung Hauptachsen‘ zeitlich neu bewertet werden. Folgende Maßnahmen mit Angebotsbezug gilt es in der Positionierung anzupassen:
– Umsetzung von Projekt Netz24 strecken über mehrere Umsetzungsstufen, eine erste Stufe wird für Ende 2024 angestrebt;
– Gleise auf Zufahrt Schlachthofbrücke nicht erneuern (aktuell kein Umleitungs­bedarf zu erwarten).“

Schon da darf man stutzen, denn die Gleise auf der Schlachthofbrücke mussten die LVB nicht nur 2021/2022 auf Beschluss des Stadtrates erneuern. 2023 werden sie sogar dringend benötigt, um die Umleitung für die Baustelle Wiedebachstraße zu ermöglichen.

Dafür werden Prestigeprojekte wie die sogenannte „Südsehne“ jetzt erst einmal auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben: „Die Neueinordnung des ‚Basismoduls Modernisierung Hauptachsen‘ erfolgt in 2023. Der Einsatz 2,40 m breiterer Straßenbahnen ab 2024 hat dabei weiterhin oberste Priorität. Aufgrund des fehlenden bzw. verzögerten Fahrgastwachstums muss die Realisierung von geplanten Netzerweiterungen (Südsehne, Wahren, Thekla) in der strategischen Planung der Leipziger Gruppe zeitlich verschoben abgebildet werden. Die aktuellen Planungsaktivitäten sind hiervon jedoch nicht betroffen, Machbarkeitsstudien und ähnliche vorbereitende Planungen laufen unverändert weiter.“

Man konzentriert sich afolglich erst einmal darauf, die Hauptlinien (zu Anfang die Linien 15 und 16) ab 2024 für die neuen, etwas breiteren Straßenbahnen befahrbar zu machen.

Das Nadelöhr heißt Innenstadtring

Wobei die Projekte Südsehne, Wahren und Thekla gar nicht die wirklich drängenden sind. Das eigentliche Problem heißt Innenstadtring. Der begrenzt die Taktzeiten sämtlicher Hauptlinien so sehr, dass die LVB allein hier mehrere Millionen Fahrgäste einbüßen, weil von einem zügigen Umfahren der City schlicht keine Rede sein kann. Doch das Innenstadtkonzept der Verwaltung, das eigentlich schon 2021 vorliegen sollte, steht immer noch aus.

Die Vorlage versucht den Stadträtinnen und Stadträten nun zwar irgendwie zu erklären, warum man auf einmal das Wachstum im ÖPNV drosseln will. Aber eigentlich geht es darum, dass 2023 und 2024 schon Geld fehlt, um den Fahrbetrieb aufrechterhalten zu können.

„Aufgrund geänderter Rahmenbedingungen, aktueller Unsicherheiten und der Kostenentwick­lung für die ÖPNV-Branche in ganz Deutschland, müssen die Stadt und ihre Unternehmen LVV und LVB zeitnah reagieren, um weiterhin eine nachhaltige Entwicklung des ÖPNV abzusichern“, heißt es in der Vorlage. „Aufgrund der Auswirkungen auf den ÖPNV sollten aber einerseits haushaltswirksame Zuschüsse (9 Mio. € in 2023, 11,5 Mio. € in 2024) an die LVB ausgezahlt sowie der avisierte Wachstumskurs verlangsamt werden.“

Das dürfte für einige Diskussionen im Stadtrat sorgen, denn diese Gelder hat man natürlich noch nicht mit eingeplant.

Dabei hat der Stadtrat schon 15 Millionen Euro bereitgestellt: „Der Stadtrat hat in seiner Sitzung am 14.09.2022 bereits den Ausgleich pandemie­bedingter, nicht durch Zahlungen von Bund und Land gedeckter Einnahmeverluste in Höhe von jeweils 15 Mio. € zusätzlich an die Leipziger Verkehrsbetriebe für das Haushaltsjahr 2024 beschlossen. Auch im Haushaltsjahr 2023 erhält die LVB zusätzlich einen Ausgleich i. H. v. 15 Mio. € …“

Rätsel 49-Euro-Ticket

Die waren sogar an ein Tarifmoratorium gekoppelt, also ein Aussetzen der üblichen Preissteigerung im August.

Nun aber kommt sogar das 49-Euro-Ticket, das weitere finanzielle Unsicherheiten für die LVB mit sich bringt. Was aber noch nicht berechenbar ist. Während die Rechnungen für Strom, Diesel, Material und Personal zumindest schon mal kalkulierbar sind: „Die aus diesen aktuellen Entwicklungen erwartete Steigerung der Betriebskosten über den Wirtschaftsplanansatz hinaus beträgt in 2023 allein 16,5 Mio. €.

Anteilig können diese Mehraufwendungen durch einmalig fließende Mittel aus Ausschüttung der für das Jahr 2022 erhöhten Regionalisierungsmittel für Mehrkosten, Fahr­strom und Diesel sowie der aufgrund der sich aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation verzögernden Rekrutierung von Fahrpersonal und der beschriebenen reduzierten Fahrplanleistung gedeckt werden.

Für 2023 verbleibt nach diesen Anpassungen ein offener Finanzierungsanteil von 9 Mio. € und für 2024 von 11,5 Mio. €, der nicht durch bestehende, geplante oder erwartete Mittel gedeckt werden kann und somit aus dem städtischen Haushalt gedeckt wird. Ohne diese weiteren Mittel würden – zusätzlich zu den personalbedingten – auch finanziell bedingte temporäre Leistungs­reduzierungen drohen.“

Also statt Wachstum könnten Ausdünnungen im Fahrplan die Folge sein. Was dann für den Zuspruch zum ÖPNV ziemlich kontraproduktiv sein dürfte.

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