„Sorgen der Anwohner ernst nehmen“ lautete der Titel einer Petition, die am Mittwoch im Stadtrat zur Abstimmung stand. Sie forderte ein Sicherheitskonzept für das Umfeld der Notunterkunft für Geflüchtete in Leipzig-Stötteritz. Viele Menschen in Deutschland scheinen momentan von Sorgen geplagt zu werden, die sich auf eine wirklich heterogene Gruppe von Menschen beziehen, die überproportional kriminell sein soll.

Auch eine weitere Anfrage an den Stadtrat widmete sich dem Thema Sicherheit für die Nachbar*innen der sogenannten „Zeltstädte.“ Da fragt man sich: Warum tut die Stadt nichts, wenn tatsächlich eine so große Gefahr bestehen sollte? Warum lautet die Antwort der Verwaltung, dass das bisherige Sicherheitskonzept für die Unterkünfte ausreichend sei? Und dass „das subjektive Sicherheitsempfinden der Anwohnerschaft verbessert werden (kann), indem Kontakte zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern der Unterkunft und Menschen in der Nachbarschaft (…) hergestellt werden“?

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es sich hier tatsächlich um subjektive Ängste handelt anstatt um ein faktenbasiertes Bild der Realität. Vielleicht könnte das dadurch entstehen, dass die AfD eine Liste der Straftaten durch Ausländer führt. Mit Ausländer ist jedoch nicht der weiße Franzose oder Österreicher gemeint.

Der Blick auf die trockenen Zahlen liest sich dann doch eher wie ein Krimi.

Straftaten gegen Geflüchtete

Bevor die sogenannten Ängste näher beleuchtet werden, muss der Spieß, der Fairness halber, kurz umgedreht werden. Denn die Sorgen der beiden Herren, die sich politisch engagieren wollen, haben eine große Lobby namens AfD. Die Sorgen der Bewohner*innen der sogenannten „Zeltstädte“ sind jedoch wenigen bekannt.

Eine Anfrage der Partei Die Linke im Bundestag ergab, dass es 2023 im ersten Quartal 408 Angriffe gegen Geflüchtete in Deutschland gab. Das sind mehr als vier pro Tag. Auch 45 Angriffe auf Unterkünfte wurden verzeichnet. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Laut Bundeskriminalamt waren im Jahr 2022 von 1,2 Millionen Betroffenen von Straftaten 55 929 Zuwanderer*innen.

Grund für diese Taten ist zum Großteil eine ideologische, rechte Motivation. Weitere Auswertungen und Recherchen zeigen, dass Angriffe gegen Geflüchtete unzureichend registriert und geahndet werden. Das führt zu einer Verharmlosung des Problems.

Von den Ängsten der Zuwanderer*innen hört man jedoch wenig. Das hat eine Reihe von Gründen. Eine unvollständige Liste: Es mangelt an leicht zugänglichen Möglichkeiten, die Ängste zu äußern. Es gibt Sprachbarrieren. Ängste werden nicht gehört oder nicht ernst genommen, aufgrund rassistischer Stereotype. Es erfolgt Täter-Opfer-Umkehr, wie zum Beispiel beim NSU-Prozess.

Straftaten durch Geflüchtete

Die Frage, die hier gestellt wird, lautet: Begehen Menschen mit Migrationshintergrund häufiger Straftaten als Menschen ohne Migrationshintergrund? Es ist rassistisch, diese Frage zu stellen, doch zuerst die Fakten.

In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen unterschieden. Auf diese Kategorie stützt sich auch die zur Frage stehende Petition. Sie ist allerdings wenig aussagekräftig für die Ausgangsfrage, denn auch ein weißer Franzose oder ein Österreicher sind Nicht-Deutsche. Auch erfasst die PKS nicht, ob die Täter*innen tatsächlich in Deutschland leben.

Nur bei den Tatverdächtigen wird differenziert. Demnach waren im Jahr 2022 ein Drittel der Tatverdächtigen Nicht-Deutsche, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur knapp 13 Prozent beträgt. 12 Prozent der Tatverdächtigen waren Zuwanderer*innen.

In Sachsen meldete das Innenministerium 2022 vier Prozent weniger Straftaten durch Zuwanderer*innen als im Vorjahr. Ladendiebstähle, Körperverletzungen und Schwarzfahren bildeten den Schwerpunkt. Dabei wurden 38 Prozent der Straftaten durch sogenannte Mehrfach-Täter*innen begangen, die einen Anteil von 1,5 Prozent aller Zuwanderer ausmachen.

Auch hier muss auf die Gründe für die Taten geschaut werden: Oft sind der Grund für die Straftaten schwierige Lebensbedingungen, zum Beispiel ein erschwerter Zugang zum Arbeits- oder Wohnungsmarkt. Dies erhöht unabhängig von der Herkunft das Risiko für Straftaten. Viele Asylbewerber*innen sind ebendiesen Schwierigkeiten ausgesetzt. Das macht sie nicht weniger verantwortlich für die Taten, verschiebt jedoch den Fokus: Personen sind nicht kriminell, weil sie Asyl in Deutschland beantragen, sondern weil sie unter erschwerten Bedingungen leben müssen.

Damit verschieben sich auch die nötigen Lösungsansätze: Weitere Einschränkungen der (Grund)Rechte wären nicht nur menschenunwürdig, sie würden auch die Kriminalität nicht senken. Erleichterter Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt oder mehr Geld, damit Menschen nicht Klauen und Schwarzfahren müssen, sollten hier die Ansätze sein.

Junge Männer, deutsche wie nicht-deutsche, werden laut Statistik häufiger straffällig als andere Bevölkerungsgruppen. Die ausländische Bevölkerung ist im Durchschnitt jünger und männlicher als diejenigen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Auch gibt es Hinweise darauf, dass Angehörige von Minderheiten öfter von der Polizei kontrolliert werden.

Alle Zahlen wurden ohne die ausländerrechtlichen Verstöße verwendet. Dieser sogenannten Straftaten, zum Beispiel des unerlaubten Aufenthalts, können sich nur Nicht-EU-Ausländer schuldig machen. Zum Beispiel, indem sie einen Asylantrag nicht sofort nach der Einreise stellen. Einige Anschuldigungen finden auch statt, weil sich die Beschuldigten aufgrund fehlender juristischer Ressourcen nicht gegen die Anschuldigungen wehren können.

Die ideologische Grundlage

Vorliegende Petition an den Stadtrat wurde vor Einzug der Bewohner*innen in der Notunterkunft in Stötteritz gestellt. Seitdem wurden durch das zuständige Polizeirevier keinerlei Störungen oder Bedrohungslagen festgestellt, so der Verwaltungsstandpunkt. Die in der Petition geforderten Grundrechtsbeschränkung von Ausgangszeiten hätten keine rechtliche Grundlage. Und das, obwohl Grundrechtsbeschränkungen bei Geflüchteten oft schnell von der Hand gehen.

In der Petition wird Bezug genommen auf die Nationalitäten, Weltanschauungen, Religionen und „kriminellen Vorgeschichten“ der zukünftigen Bewohner*innen. Auch die AfD übernahm diese Formulierung in ihrem Änderungsantrag zu der Petition. Die Gründe für Kriminalität scheinen den Petent*innen und der Fraktion nicht bekannt zu sein. Das führt dazu, dass anstatt wirkungsvoller gesellschaftlicher Teilhabe Beschränkungen und Regeln als Lösung erscheinen. Die Verwaltung antwortete, dass die bestehenden Konzepte ausreichend seien.

Dass sich Diskurse anstatt Fakten durchsetzen, zieht sich durch alle Bereiche der Öffentlichkeit. Diese Diskurse befeuern Vorurteile, die schlussendlich Menschenleben kosten, wie der NSU, die Anschläge unter anderem in Hanau oder Halle und diverse sogenannte Einzelfälle rassistischer Gewalt zeigen. Rassismus durch die Polizei wird auch in Deutschland thematisiert.

Die Frage nach der Kriminalität unter Asylbewerber*innen entsteht aus einem subjektiven Unsicherheitsgefühl heraus. Dieses Gefühl wird selten von Menschen beschrieben, die täglich mit Geflüchteten arbeiten, zum Beispiel als Sozialarbeiter*innen oder als Kolleg*innen im Betrieb. Außerdem spielt in diesen Diskursen meist nicht die tatsächliche Herkunft, sondern die zugeschriebene Herkunft eine Rolle. So werden auch schwarze Deutsche mitgemeint, venezolanische Geflüchtete jedoch viel weniger.

Was hinter der Frage nach dem Zusammenhang von Kriminalität und nicht-deutscher Staatsbürgerschaft steht, ist eine kulturelle Zuschreibung. Anstatt auf die tatsächlichen Gründe für die Straftaten zu blicken, werden Religion oder Ethnie für den kulturellen Unterschied, der angeblich zu Straffälligkeit führen soll, verantwortlich gemacht.

Der Fachbegriff ist kultureller Rassismus. Nicht mehr ein zugeschriebener „biologischer“ Unterschied, sondern ein zugeschriebener und unüberbrückbarer kultureller Unterschied steht im Mittelpunkt. Die Schlussfolgerungen sind leider sehr ähnlich.

Vor diesem Hintergrund stellen sich die Petition vom Mittwoch und die Anfrage an den Stadtrat eben nicht auf neutralem Terrain, auf vermeintlich ideologiefreien Informationen.

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