2024 wurde der in Leipzig entwickelte CO₂-Rechner „E-Tool Kultur“ sogar mit dem „eku-Zukunftspreis 2024 für Energie, Klima, Umwelt“ ausgezeichnet. Das Kooperationsprojekt der Städte Leipzig und Dresden ist der einzige webbasierte Emissionsrechner in Deutschland, der speziell für die Kultur entwickelt wurde und allen Kultureinrichtungen und -veranstaltern im Bundesgebiet dauerhaft und kostenfrei unter www.e-tool.de zur Verfügung steht. Am 15. Januar sollte im Stadtrat eigentlich die Fortsetzung dieses Projekts, mit dem Kulturbetriebe ihre CO₂-Bilanz ermitteln können, beschlossen werden. Aber dann kam es anders.

Erst sprach Ralf Pannowitsch für die BSW-Fraktion, der sich das Tool zumindest oberflächlich angeschaut hatte, es für kulturelle Großbetriebe ganz nützlich fand, aber meinte, für kleine Kultureinrichtungen sei es zu aufwendig. Dann sprach CDU-Stadtrat Falk Dossin, der in seinem Wahlkreis am Bagger jedes Jahr ein Bürgerfest veranstaltet und dafür auch mal die CO₂-Bilanz der letzten vier Jahre durchgerechnet hat. Was ihm wohl auch gelang. Und trotzdem meinte er, dass das Tool nur für große Betriebe interessant sei. Und empfahl dann seiner Fraktion ebenso die Ablehnung.

Eine zumindest eigenartige Haltung, wenn man doch zumindest für größere Kultureinrichtungen die Funktion des Rechners sieht. Und Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke auch noch erklärte, dass der CO₂-Rechner „E-Tool Kultur“ sogar mit den Akteuren der Freien Szene in Leipzig zusammen erarbeitet wurde, also genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Und außerdem läge dem Tool noch das CO₂-Bilanztool der Handwerkskammer zugrunde, das gerade Falk Dossin ja kennen müsste. Er hätte auch mit der zuständigen Fachfrau im Kulturdezernat sprechen können oder seine Fragen im Kulturausschuss vorbringen können.

Doch darum war es ganz augenscheinlich weder Dossin noch Pannowitsch gegangen. In der Leipziger Ratsversammlung am 15. Januar stimmten die Fraktionen von BSW, CDU und AfD und zwei Einzelstadträte auf einmal geschlossen für ein abruptes Ende der Kooperation zur Entwicklung und Nutzung des CO₂-Rechners „E-Tool Kultur“. Das hatte sich auch im Fachausschuss Kultur nicht abgezeichnet.

Skadi Jennicke (Die Linke), Beigeordnete für Kultur, im Leipziger Stadtrat am 15.01.25. Foto: Jan Kaefer

Wir machen uns lächerlich

Sodass auch die Mitglieder der Grünen-Fraktion regelrecht entsetzt waren über das Abstimmungsergebnis.

„Es ist bedauerlich, dass die Weiterführung eines solch hilfreichen und zukunftsfähigen Instruments keine Mehrheit finden konnte. Vor allem, weil diese Ablehnung nach den Vorberatungen in den Ausschüssen alles andere als absehbar war“, kommentierte Dr. Gesine Märtens, kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und Vorsitzende des Kulturausschusses, das Abstimmungsergebnis. Das mit 32:33 Stimmen wieder sehr knapp ausgefallen war. „Hier scheinen einige Stadträt/-innen aus dem Bauch heraus eine Entscheidung getroffen zu haben, ohne sich deren Tragweite und Konsequenzen bewusst zu sein. Stiege die Stadt Leipzig tatsächlich aus diesem Projekt, was sie selbst maßgeblich als bundesweites Vorbildprojekt aktiv vorangetrieben hat, aus, würde dies nicht nur bei den wichtigen Projektpartnern auf Fassungslosigkeit und völliges Unverständnis stoßen. Wir machen uns gegenüber den engagierten Kooperationspartner/-innen aus der mittelständischen Wirtschaft geradezu lächerlich, ebenso wie gegenüber dem Freistaat als Fördermittelgeber.“

Und sie wies auf etwas hin, was Pannowitsch und Dossin in ihren Reden völlig ausgeblendet haben. Denn wer CO₂ einspart, spart am Ende auch Energiekosten. Der Rechner macht sich also bezahlt, wenn die Kultureinrichtungen mögliche Ansatzpunkte zum Einsparen finden.

„Außerdem werden die Kosten der Kultureinrichtungen durch den absehbar steigenden CO₂-Preis nur durch entsprechende Einsparungen im Energieverbrauch beherrschbar gehalten. Der CO₂-Rechner ermöglicht Kulturinstitutionen und Freier Szene, ihre eigene CO₂-Bilanz zu erstellen, um daraus klimafreundliche Maßnahmen ableiten zu können und für künftige Förderanträge gewappnet zu sein. Wer dies aktiv verhindert, ist im Umkehrschluss auch für die künftigen Kostensteigerungen mitverantwortlich!“, stellt Märtens fest.

Und an die Fraktionen gerichtet, die hier ohne triftige Gründe einfach dagegen gestimmt haben: „Die für diese Misere Verantwortlichen müssen sich bewusst werden, dass eine durch Gegenstimmen symbolisierte Trotzreaktion keines der von ihnen angesprochenen Probleme lösen wird, sondern stattdessen einen großen Imageschaden für die Stadt Leipzig bedeutet und absehbare Kostensteigerungen billigend in Kauf nimmt.“

Von den Kulturbetrieben mit Spannung erwartet

Am 8. November 2023 wurde der webbasierte Leipziger CO₂-Rechner für Kulturbetriebe veröffentlicht – ein deutschlandweit einzigartiges Leuchtturmprojekt. Das Anwendungsinstrument war von kleinen und großen Leipziger Kulturbetrieben mit Spannung erwartet worden. In einem Kooperationsprojekt der Stadt Leipzig mit dem Landesamt für Kultur und Denkmalschutz, der GICON-Großmann Ingenieur Consult GmbH, der WIPS-com GmbH sowie der Mittelstandsinitiative „Energiewende und Klimaschutz“ und Leipziger Kultureinrichtungen war dazu vor zwei Jahren ein eigentlich für die Wirtschaft entwickeltes Tool der Handwerkskammer angepasst worden. Der in Leipzig entwickelte Rechner besitzt bundesweite Strahlkraft, da er auch von Kultureinrichtungen außerhalb Leipzigs kostenlos genutzt werden kann. Umso peinlicher war also das Abstimmungsergebnis vom 15. Januar.

Und die Reden von Pannowitsch und Dossin erklärten die Ablehnung nicht wirklich, nur weil sie die angeblich schwierige Bedienbarkeit des E-Tools als Vorwand nahmen, der gesamten Vorlage der Verwaltung die Zustimmung zu verweigern. Auf das Angebot von Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke, technische Details könnten auch im Nachhinein noch geklärt und optimiert werden und auch kleine Kulturträger und -vereine würden selbstverständlich beim Umgang mit dem Tool unterstützt, erfolgte keine inhaltliche Reaktion der beiden Fraktionen und auch nicht der beiden Redner.

Eher deutet alles darauf hin, dass hier drei „klimaskeptische“ Fraktionen aus Prinzip gegen ein Angebot stimmten, mit dem Kulturbetriebe ihre Klimabelastung ermitteln und damit auch mindern können. Denn genau dafür gibt ihnen der Rechner die richtige Orientierung an die Hand.

Das wollen die Grünen jedenfalls so nicht stehen lassen.

„Wir werden in den kommenden Kulturausschusssitzungen dazu eine Aussprache führen und erwarten, dass ein Ausweg aus dieser Sackgasse aufgezeigt wird. Dies kann letztlich nur darin münden, dass der Stadtrat im Februar die getroffene Entscheidung widerruft und einer Verlängerung der Kooperation zur Entwicklung und Nutzung des CO₂-Rechners ‘E-Tool Kultur’ zustimmt. Hierzu braucht es aber offenkundig einen beiderseits kritischen Austausch im Vorfeld, zu dem wir alle Beteiligten – die Fraktionen wie auch das Dezernat Kultur – aufrufen“, sagt Dr. Gesine Märtens.

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