Da muss man ja mal nachfragen dürften, dachte sich die Grünen-Fraktion, als sie im Leipziger „Kreuzer“ ein Interview mit Finanzbürgermeister Torsten Bonew las, in dem er ziemlich deutlich seine Einstellung zur Arbeitsmotivation der jüngeren Generationen zur Sprache brachte. Das Dezernat Allgemeine Verwaltung hat zwar schriftlich geantwortet. Aber die Grünen-Stadträtin Chantal Schneiß hat auch recht, wenn sie die Antwort als völlig unzureichend bewertete. Respektlos war sie eigentlich auch.
Anders kann man das nicht formulieren, wenn Schneiß im Interview des Finanzbürgermeisters eine Aussage moniert, in der er sagte, er würde beim Wort Work-Life-Balance „Pickel im Gesicht“ bekommen. Das kann er durchaus sagen. Und auch Oberbürgermeister Burkhard Jung sah durchaus das Recht, dass Bonew bei Fragen zu seiner Arbeit als Finanzbürgermeister auch als Stellvertreter des Oberbürgermeisters sachlich antwortet und in anderen Fragen seine persönliche Meinung vertritt. Das würden Leser des „Kreuzers“ wohl auseinander halten können.
Aber so antwortete eben das Dezernat Allgemeine Verwaltung nicht, sondern machte sich selbst noch einen gar nicht witzigen Spaß mit der Aussage: „Ebenso sind keine wissenschaftlichen Studien bekannt, die einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen flexiblen Arbeitszeitmodellen und dermatologischen Reaktionen im Führungspersonal belegen würden.
Eine medizinische Klassifizierung von Teilzeit als auslösender Faktor für Hautirritationen ist der Stadtverwaltung – auch unter Berücksichtigung einschlägiger arbeitsmedizinischer Standards – bislang nicht bekannt. Sollten sich in Zukunft Hinweise auf psychosomatische Reaktionen auf moderne Arbeitszeitregelungen ergeben, wird die Stadtverwaltung diese selbstverständlich mit der gebotenen Ernsthaftigkeit prüfen.“
Das ist – um es einmal so zu formulieren – völlig unter der Gürtellinie. Und wird dem Anliegen der Grünen-Anfrage überhaupt nicht gerecht. Das wurde noch deutlicher, als in der Ratsversammlung am 25. Juni Torsten Bonew selbst Stellung nahm zu seinen Aussagen. Er berief sich dabei auf die Wirtschaftsweisen, die sich in letzter Zeit recht kritisch zu Vier-Tage-Wochen und Teilzeit-Regelungen auf dem Arbeitsmarkt geäußert hatten.
Wenn auch nicht ganz so kritisch und kantig wie der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler Friedrich Merz, der den Deutschen geradezu Faulheit attestierte, weil sie keine 40 Stunden mehr arbeiten wollten.
Nur noch faule Säcke?
Der Wirtschaftsstandort würde nur noch zu retten sein, wenn die Deutschen wieder mehr arbeiten würden. Was eigentlich wenig mit dem tatsächlichen Arbeitsvolumen in Deutschland zu tun hat. Denn dieses Arbeitsvolumen ist in den letzten Jahren immerfort gestiegen, auch weil mehr Menschen – vor allem Frauen – eine Möglichkeit gefunden haben, in Teilzeit zu arbeiten. Tatsächlich arbeiten die Deutschen mehr.
Einige sogar sehr viel mehr, weil ihnen die Lebenserhaltungskosten und Mieten um die Ohren fliegen und sie mit ihren niedrigen Einkommen schon lange nicht mehr über die Runden kommen. Ein Thema, das Stadtrat Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) in die Debatte warf, nachdem Bonew wiederholt hatte, dass er die Einstellung gerade junger Berufsanfänger nicht akzeptieren könne, die nicht mehr bereit wären, 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Auf die Mitarbeiter/-innen seines Dezernats wolle er das aber nicht gemünzt sehen.
Aber auf wen denn dann? War es so „allgemein“ gesagt, wie es auch sein Parteichef Friedrich Merz gemeint hatte? Zitat aus dem Interview: „Aber viele Berufseinsteiger wollen mir heute erklären, sie schaffen keine 40-Stunden-Woche mehr. Die würde ich eher zum Betriebsarzt schicken. Wir sind keine Leistungsgesellschaft mehr, verzocken aus meiner Sicht den Volkswirtschaftlichen Reichtum dieses Landes.“
Als wenn der Reichtum und Wohlstand unseres Landes immer noch davon abhinge, wie viel die Deutschen arbeiten.
Was auch die Grünen daraus lasen: „In der öffentlichen Debatte wird zunehmend durch konservative Stimmen die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche und auch darüber hinaus gefordert, verbunden mit der Behauptung, dies sei notwendig, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu ‚retten‘ und vermeintliche Wohlstandsverluste zu kompensieren.´“
Ein 100 Jahre alter Begriff von Produktivität
Obwohl auch die Wirtschaftsweisen nicht so platt argumentierten. Dazu sehen sie das Thema Produktivität viel komplexer, wie es ja auch tatsächlich ist. Da spielt die Investitionsquote des Staates genauso eine Rolle wie die Veränderungen auf den Weltmärkten. Fast hat man das Gefühl, Friedrich Merz ist mit seiner Sicht auf die „faulen Arbeiter“ wieder irgendwo im 19. Jahrhundert gelandet und hat nicht gemerkt, dass der Wohlstand in Deutschland zuallererst von wettbewerbsfähigen Produkten und Innovation abhängt. Und auch von Rohstoff- und Energiepreisen, die den Wohlstand derzeit tatsächlich infrage stellen.
Das Bashing für die „faulen Arbeitnehmer“ ist dabei nur Ablenkung.
Und berechtigterweise fragte Grünen-Stadträtin Chantal Schneiß am 25. Juni mehrfach nach, was solche Aussagen in einem Interview mit Leipzigs Finanzbürgermeister zu suchen haben. Auch wenn er betonte, seine Aussagen seien kein Angriff auf seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihm für seine Arbeit sogar ein gutes Zeugnis ausstellen.
Aber wen meint er damit wirklich? Die jungen Leute, die sich um eine Stelle im Finanzdezernat bewerben, aber gern in Teilzeit arbeiten möchten?
Auch wenn Oberbürgermeister Burkhard Jung seinen Finanzbürgermeister in Schutz nahm, ist das eigentlich eine brennende Frage. Denn einerseits findet die Stadt für viele fachlich anspruchsvolle Stellen keine Bewerber mehr, andererseits will sie in den nächsten Jahren bis zu 500 Stellen streichen.
Mit wem will die Verwaltung dann eigentlich diese Stellen besetzen?
Eine Frage von Arm und Reich
Aber Kumbenuß sprach die eigentliche Frage an, die dahinter steckt. Denn wo die einen problemlos in Teilzeit gehen können, weil sie in ihren Jobs überdurchschnittlich verdienen, sind andere gezwungen, mehrere mies bezahlte Jobs nebeneinander auszuüben, weil es sonst zum Leben nicht reicht. Das eigentliche Problem ist die ungleiche Verteilung des Reichtums, so Kumbernuß. Auch in Leipzig.
Wobei die Verwaltung eine Welt für sich ist, was auch aus Verwaltungssicht oft vergessen wird: Wer in Leipzig im öffentlichen Dienst arbeitet, verdient deutlich überm Leipziger Durchschnitt. Der lebt in einer anderen Welt. Da steht die Frage Teilzeit oder nicht Teilzeit völlig anders als für Hilfsarbeiter, Putzkräfte oder – auch von Kumbernuß angesprochen – Alleinerziehende, die in Leipzig zu den am schlechtesten bezahlten Erwerbstätigen gehören.
Hinter der Diskussion um das „Kreuzer“-Interview steckt also eine viel größere Debatte. Die auch nicht damit erledigt ist, dass Burkhard Jung Thomas Kumbernuß völlig recht gab. Aber er relativierte es eben auch gleich wieder, als er sagte, dass es auch in Teilen der Verwaltung an Leistungsbereitschaft fehle. Na hoppla. Da war man eigentlich wieder am Anfang und genau bei den Fragen, die Chantal Schneiß gestellt hat. Und dabei wird die Debatte um die Personalausstattung der Verwaltung jetzt erst so richtig beginnen.
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