Am Dienstag berieten Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin über die Verlängerung des „harten“ Lockdowns. Dass an einer Beibehaltung der restriktiven Beschränkungen kein Weg vorbeiführt, soll das Gesundheitswesen nicht überlastet werden, zeigt das Beispiel Nordsachsen. In dem nördlichen und nordöstlichen Leipziger Speckgürtel bewegen sich die Infektionszahlen unverändert auf hohem Niveau. Im Landratsamt sind seit Mitte Dezember 400 Mitarbeiter mit der Pandemiebekämpfung befasst.

Der wichtigste Indikator für die Entwicklung des Infektionsgeschehens ist die 7-Tage-Inzidenz. Die statistische Größe gibt an, wie viele Neuinfektionen innerhalb der letzten sieben Tage je 100.000 Einwohner den Gesundheitsämtern bekannt geworden sind. Sachsenweit lag die 7-Tage-Inzidenz am Dienstag, 5. Dezember 2021, nach Angaben des Sozialministeriums bei 298,8 (Stand: 12.30 Uhr). In Leipzig lag der Wert bei 194,6. Die Messestadt weist im Freistaat seit Monaten die niedrigste 7-Tage-Inzidenz auf. Das seitens der Regierungschefs ausgegebene Ziel, die Inzidenz mittels Kontaktbeschränkungen auf unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner zu drücken, liegt trotzdem noch in weiter Ferne.

Prekärer verhält sich die Lage im ländlichen Raum. Die Metropolregion ist von der Pandemie stärker betroffen als die Großstadt. Zumindest bei relativer Betrachtung. Die 7-Tage-Inzidenz lag im Leipziger Land am Dienstag bei 272,2 und in Nordsachsen bei 372,2 (Stand: 12.30 Uhr).

In absoluten Zahlen liegt die Stadt Leipzig in fast allen Statistiken vor den Landkreisen. Die Messestadt vermeldete heute 10.017 positiv Getestete seit dem 6. März 2020. Der Landkreis Leipzig spricht von 6.393, das Landratsamt Nordsachsen von 6.362 positiven Testergebnissen. Dass die absoluten Zahlen aus dem Umland hinter denen der Großstadt zurückstehen, ist wahrscheinlich auf die Einwohnerzahlen zurückführbar. Das Coronavirus wird durch soziale Kontakte übertragen. Wo sich weniger Menschen begegnen, sollte es zu niedrigeren Fallzahlen kommen, sofern sich alle gleichermaßen an die Hygieneregeln halten.

Soweit die Theorie. Wie verhält sich die Praxis?

In Leipzig leben rund 600.000 Menschen. Der Landkreis Leipzig zählt knapp 260.000 Einwohner, der Kreis Nordsachsen kommt auf etwa 200.000 Bewohner. Die 460.000 Menschen im ländlich geprägten Umland haben somit rund 20 Prozent mehr Infektionen produziert als jene 600.000, die sich tagtäglich in einem von Nähe und Enge geprägten urbanen Lebensraum aufhalten. In einer empirischen Kategorie übertrumpft das Umland die Stadt deutlich.

Verstarben in Leipzig bislang 87 Menschen in Zusammenhang mit COVID-19, schieden in den beiden Landkreisen 152 Personen aus dem Leben. Trotz der ländlich geprägten Lebensräume, die aufgrund ihrer Weitläufigkeit wie prädestiniert für das Einhalten der AHA-Regeln erscheinen.

Besonders sticht ins Auge, dass Nordsachsen rund doppelt so viele Todesfälle zählt wie der Landkreis Leipzig. Letzterer verbuchte bis heute 54 Verstorbene. Umgerechnet auf die Todesfälle je 100.000 Einwohner entspricht dies einer Sterberate, die sich etwa auf demselben Niveau bewegt wie die in der Stadt Leipzig. Das Landratsamt Nordsachsen zählte mit 98 Todesfälle weit mehr, als in der Großstadt erfasst wurden – trotz der deutlich niedrigeren Gesamtpopulation.

Wie kann das sein?

Das Landratsamt verweist gegenüber L-IZ.de auf regionale Besonderheiten. Im Landkreis Nordsachsen gibt es 39 Pflegeheime. 17 davon hat das Virus in seiner zweiten Welle erreicht. „Dadurch kam es hier zu einer höheren Zahl von Todesfällen, da das Virus vor allem für Menschen höheren Alters mit Vorerkrankungen tödlich sein kann“, erläutert Pressesprecher Thomas Seidler. Der Altersdurchschnitt sei in dem Landkreis höher als in Leipzig.

Dass die hohen Fallzahlen in ländlichen Gebieten nicht nur auf hartnäckige Maskenverweigerer, sondern auch auf die demografische Entwicklung im Freistaat zurückzuführen sein könnten, hatte L-IZ.de bereits analysiert. Sämtliche Todesfälle traten erst im Zuge der zweiten Infektionswelle auf. „Nordsachsen war bis zum Herbst der einzige Landkreis im Freistaat, in dem es überhaupt keinen Corona-Todesfall gegeben hatte“, berichtet Seidler.

Landrat Kai Emanuel (parteilos) ist insbesondere der Schutz vulnerabler Gruppen wichtig. So werden die vom Freistaat gelieferten Schnelltests nicht für wahllose Massentestungen verwendet, sondern gezielt den Pflegeeinrichtungen für die regelmäßige Testung ihres Personals zur Verfügung gestellt. Nicht anders wurde bei der Verteilung von FFP2-Masken verfahren „Als wichtigstes Mittel zur Eindämmung der Pandemie gilt nach wie vor die Kontaktermittlung und Kontaktnachverfolgung zum Unterbrechen von Infektionsketten“, findet Emanuel.

Rund 400 Mitarbeiter aus allen Bereichen an allen Verwaltungsstandorten arbeiten seit kurz vor Weihnachten daran. Das ist rund die Hälfte aller Bürobeschäftigten des Landkreises. Die Verwaltung befindet sich seither in einem Notbetrieb. Was nicht gemacht werden muss, bleibt vorläufig liegen. Kai Emanuel hat für die gesamte Belegschaft eine Urlaubssperre verhängt, weil jede helfende Hand gebraucht wird. Sogar an den Feiertagen waren täglich 200 Mitarbeitende im Dienst. Die Sachbearbeiter sind in 25 Teams organisiert, die zentral von einem Infektionsstab im Gesundheitsamt koordiniert werden.

„Durch diesen gemeinschaftlichen Kraftakt zur Bewältigung der hohen Fallzahlen ist es inzwischen wieder gelungen, neu gemeldete Corona-Positivfälle und ihre unmittelbaren Kontaktpersonen möglichst noch am selben oder spätestens bis zum nächsten Tag zu ermitteln und in Quarantäne zu versetzen“, so der Landrat gegenüber L-IZ.de.

Daneben setzt der Verwaltungschef auf die Impfkampagne. Bisher fanden Immunisierungen nur in den Krankenhäusern statt. Bei den demnächst geplanten ersten Impfungen durch die mobilen Impfteams priorisiert der Landkreis vor allem Alten- und Pflegeheime, in denen es noch kein Infektionsgeschehen gab, um somit eine weitere Ausbreitung in der besonders gefährdeten Risikogruppe zu vermeiden. Fast jedes zweite nordsächsische Heim war schon von Corona-Fällen betroffen.

Am 11. Januar 2021 soll laut Sozialministerium außerdem das Impfzentrum in der Stadthalle in Belgern in Betrieb genommen werden.

Allerdings nützen die besten Maßnahmen nichts, wenn sich die Bürger nicht danach richten. Dass die unzähligen Appelle und Mahnungen von Wissenschaftlern und Politikern viele Menschen nicht mehr erreichen, bewiesen zuletzt unzählige Ausflügler in den deutschen Gebirgsregionen. Hinzu kommt, dass Fake-News und Halbwahrheiten von Pandemieleugnern und Impfgegnern auch in Sachsen auf fruchtbaren Boden fallen.

Einige Beispiele: Am Montag griff in Eilenburg ein 66-Jähriger den Security-Mitarbeiter eines Supermarkts tätlich an. Der Wachmann hatte den Senior aufgefordert, die Maskenpflicht zu beachten. Am Nachmittag öffnete ein Friseursalon in der Leipziger Südvorstadt trotz Verbot seine Türen für Kundschaft. Zehn bis zwölf Personen hielten weder Abstand ein noch trugen sie eine Mund-Nasen-Bedeckung.

Zur selben Zeit verließ in Leipzig ein 37-Jähriger trotz Quarantäneanordnung eine Erstaufnahmeeinrichtung mit einem beherzten Sprung über den Zaun. Ein eindeutiger Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz. In allen Fällen ermitteln die zuständigen Behörden.

Am Nachmittag sickerte aus den Beratungen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel durch, dass die geltenden Beschränkungen in den Corona-Hotspots verschärft werden sollen. Der Bewegungsradius soll in Landkreisen mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner auf 15 Kilometer um den Wohnort beschränkt werden.

Dies beträfe nach Daten des Robert-Koch-Instituts 67 Kreise – die meisten in Sachsen und Thüringen. Wer weiter weg will, benötigt einen triftigen Grund. Tagestouristische Ausflüge sollen nicht dazu gehören. Zur wichtigen Reduzierung alltäglicher Kontakte der betroffenen Menschen in ihrem engeren Wohnumfeld eignet sich diese Maßnahme offenkundig nicht.

In Sachsen gilt die 15-Kilometer-Regel schon seit 14. Dezember.

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