Ein misslungener Brandanschlag auf eine neue Unterkunft für Asylbewerber in der Sommerfelder Straße in Leipzig, und schon prasseln die Erklärungen aus Partei- und Jugendgruppen ins Mailfach. Zumindest aus dem Bereich SPD, Grüne, Linke und gesellschaftlich aktiven Gruppen. Aber reicht der Appell?

“Wir Jusos können die stetigen Reden von der ‘Weltoffenheit’ und ‘Willkommenskultur’ von Herrn Tillich nicht mehr ernst nehmen, wenn nicht endlich aktiv gegen rechte Strukturen in Sachsen vorgegangen wird und der Schutz für Flüchtlinge oberste Priorität bekommt. Unter dem Deckmantel der ‘besorgten Bürger’ haben sich zu lange rechte Gewalttäter verstecken und organisieren können”, sagt zum Beispiel der Leipziger Jusovorsitzende Matthias Köhler. “Wir rufen alle Leipzigerinnen und Leipziger dazu auf, sich am nächsten Montag an den aktiven Protesten gegen LEGIDA und ihren menschenverachtenden Äußerungen zu beteiligen und Solidarität mit den Geflüchteten zum Ausdruck zu bringen.”

Aber was heißt das eigentlich: “aktiv gegen rechte Strukturen in Sachsen” vorgehen? Wer soll das tun? Meist fehlt der Adressat. Der Ruf hallt ins Leere. Denn das Problem ist ja nicht, dass Sachsen keine polizeilichen Strukturen hat, die aktiv werden, wenn es um kriminelle Vorfälle aus dem extremistischen Spektrum geht. Die Institution heißt Operatives Abwehrzentrum (OAZ), existiert seit drei Jahren, sollte eigentlich mit 126 Polizistinnen und Polizisten besetzt sein, ist es aber bis heute nicht. 113 waren es nach der jüngsten Auskunft des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU) auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Kerstin Köditz im März. Im Juli hat sich daran nichts geändert. Denn im Juli verwies Ulbig den neugierigen Abgeordneten der Grünen, Valentin Lippmann, der ebenfalls nach der Besetzung des OAZ fragte, auf die März-Anfrage von Köditz.

2013 waren die Zahlen übrigens genauso. Heißt im Klartext: Dem Innenministerium ist es bis heute nicht gelungen, die fehlenden 12 Stellen zu besetzten, auch wenn als Gründe Versetzungen, Umbesetzungen, Altersabgänge usw. genannt werden.

Zu tun haben die Polizisten (15 davon in Leipzig) vor allem mit Kleinkram. Die Straftaten sind zwar der jeweiligen Politischen Kriminalität (PKM) rechts, links und sonstige zugeordnet, aber die Polizisten ermitteln immer nur, wenn es zu einer angezeigten Straftat gekommen ist. Und sie geben sich mit haufenweise Kleinvieh ab: Sachbeschädigungen, Straftaten gegen die demokratische Ordnung (wozu auch Propagandadelikte gehören), Beleidigung usw. Aber selbst das Straftatenkonglomerat zeigt, dass sich die rechte Szene in Sachsen in den letzten Jahren radikalisiert hat. Sie hat ihre Aktionen aus dem mehr oder weniger friedlichen parlamentarischen Raum auf die Straße verlagert und nutzt jeden sich bietenden Anlass, um öffentlich mobil zu machen – vor allem gegen Ausländer und Asylbewerberunterkünfte.

Das Ergebnis ist ein Berg von Straftaten, die der PKM rechts zugeordnet werden. Darunter auch eine ganze Reihe Gewalttaten.

Aber ist es das, was Matthias Köhler fordert? Nicht wirklich. Dazu braucht es andere Strukturen, Ermittlungsstrukturen, die die rechtsextremen Netzwerke gründlich aufarbeiten und nachvollziehen können, wer in Sachsen die Strippen zieht. Eine solche Institution gibt es eigentlich in Sachsen. Das ist der sächsische Verfassungsschutz. Doch während sich vor sächsischen Asylbewerberunterkünften die Rechtsextremen austoben, ist dieser wenig auskunftsfreudige Verein noch dabei zu vermelden, man habe mal wieder einen Anstieg der Gewalttätigkeit der Linksextremisten zu verzeichnen.

Das hat man zwar auch nur von linken Websites kopiert, bezieht sich auf “Bekennerschreiben und Grundsatzpapiere”, versucht dann irgendwie zu analysieren, wer da nun was bekannt hat. Aber tatsächlich weiß man über das linke Spektrum noch weniger als über das rechte.

Es hat sich eigentlich nichts geändert seit 2011, seit Uwe Böhnhart und Uwe Mundlos tot in einem Wohnwagen gefunden wurden. Es deutet zwar manches darauf hin, dass der sächsische Verfassungsschutz so einiges über rechtsextreme und gewalttätige Netzwerke in Sachsen wusste – aber er funktioniert bis heute nicht als Warnmelder. Außer gegen links. Da werden auch alle Vorkommnisse auf Protestdemonstrationen (und die meisten vom Verfassungsschutz aufgezählten “Straftaten” stammen daher), aufgezählt und aufgerechnet, mit jedem neuen Bericht wird die Gefahr des Linksextremismus beschworen und immer weiter aufgeblasen.

Aber den Ereignissen in Freiberg, Schneeberg und Heidenau steht die sächsische Landesregierung wieder genauso ratlos gegenüber, wie damals dem aufgeflogenen NSU. Als hätte niemand gewarnt, dem Ministerpräsidenten oder dem Innenminister nicht mal ein Memo vorgelegt, dass sich was zusammenbrauen könnte. Selbst als die NPD öffentlich zu Protesten und Aktionen aufrief, auch im Internet. Die Regierung hätte also gewarnt sein müssen und Vorsorge treffen können. Aber war sie gewarnt? Es sieht nicht so aus.

Es sieht eher so aus, dass Sachsen sich einen höchst überflüssigen Geheimdienst leistet, dessen Aufgaben nicht klar definiert sind, und der lieber seine Existenz damit begründet, den Linksextremismus im Land aufzublasen, damit nur ja nicht auffällt, dass man die rechtsextremen Netzwerke alle in Ruhe lässt.

Das Ergebnis ist die personifizierte Ratlosigkeit der Regierungsspitze, die versucht, Worte gegen die rechtsextremen Gewalttäter zu finden, aber nicht weiß, wie sie des ganzen Herr werden soll, weil man die Strukturen nicht kennt. Und gegen Strukturen, die man nicht kennt, kann man nicht vorgehen.

Aber das ist nicht nur ein sächsisches Problem. Ähnlich “ratlos” stehen die Behörden auch den rechtsextremen Umtrieben in anderen Bundesländern gegenüber. Und jedes Mal erweisen sich der jeweilige Landesverfassungsschutz oder gar die Bundesbehörde als verschwiegen und kooperationsunwillig, versteckt man sich hinter der Behauptung, man würde Quellen preisgeben, wenn man erzählt, was man weiß.

Es ist schon erstaunlich, dass diese Behörde selbst nach Auffliegen des NSU immer weiter nach dem alten Muster agieren kann, während die Kompetenzen der Polizei beschränkt sind – personell, finanziell, rechtlich.

Vielleicht sollten die maßgeblichen Parteien im sächsischen Landtag tatsächlich einmal den Mut haben, Struktur und Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz völlig neu zu definieren. Und wenn das an der Reformunwilligkeit der Behörde scheitert, dann braucht die sächsische Polizei mehr Ressourcen, um diese Aufgabe übernehmen zu können. Denn was in Heidenau passiert ist, das kam mit Ansage.

Und wenn sich die Aufklärungsstrukturen im Land nicht ändern, werden immer wieder Politiker an Tatorten stehen und schöne Worte suchen für etwas, was ganz bestimmt nicht aus heiterem Himmel kam. Die rechtsextreme Szene in Sachsen hat sich schon vor Ausscheiden der NPD aus dem Landtag radikalisiert und sucht immer stärker ihre Bestätigung in öffentlicher Gewalt. Und das scheint dem Verfassungsschutz nicht mal eine nachhaltige Warnung an den Kontrollausschuss des Landtages wert zu sein – unterlegt mit Zahlen, Namen, Mobilisierungspotenzial. Und so tappen alle im Dunkeln und tun überrascht. Die Reform ist überfällig.

Anfrage zu OAZ-Ermittlungen von Kerstin Köditz (Die Linke) aus dem März.

Anfrage zu OAZ-Ermittlungen von Valentin Lippmann (Grüne) aus dem Juli.

Anfrage von Klaus Bartl und Rico Gebhardt (Die Linke) zum OAZ aus dem Jahr 2014.

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Zum Thema Verfassungsschutz-Reform ist die Lektüre folgenden Buches zu empfehlen: “Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik” von Leggewie und Meier.

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