Die vom Göttinger Institut für Demokratieforschung am Donnerstag, 18. Mai, veröffentlichte Studie zu den Ursachen des Rechtsextremismus vor allem in Ostdeutschland hat hohe Wellen geschlagen. Und natürlich vor allem die sächsische CDU aufgeschreckt. Deren Generalsekretär Michael Kretschmer griff gleich auch noch die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, an.

„Man muss sich mittlerweile ernsthaft fragen, ob die sogenannte Ost-Beauftragte der Bundesregierung ihren Job noch richtig versteht“, sagte Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer der Deutschen Presse-Agentur. Gleickes Aufgabe „sollte es eigentlich sein, als Stimme der ostdeutschen Länder in der Bundesregierung dafür zu sorgen, dass sich der ökonomische und infrastrukturelle Aufholprozess beschleunigt“.

Die Meldung der dpa kam dann auch fast unverändert in etlichen Medien, unter anderem den „Dresdner Neuesten Nachrichten“.

Kretschmers Gegenattacke gipfelte laut dpa in der Aussage, „der Kampf gegen Rechts sei für die sächsische Union eine wichtige Aufgabe. ‚Wir stehen seit jeher für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Rechtsextremisten.‘ Zugleich warnte er davor, ‚den Menschen einzureden, dass Heimatliebe, eine starke regionale Identität und ein patriotisches Bekenntnis zu seiner Heimat Zeichen rechten Gedankenguts seien‘.Vielmehr sei dies ‚zusammen mit der Anerkennung unserer Leitkultur die Basis für eine erfolgreiche Integration von Zuwanderern.‘“

Das klingt dann gerade so, als würde Sachsens CDU jetzt einfach im alten Stiefel weitermachen wollen. Zuzutrauen wäre es ihr.

Denn die Erkenntnisse in der Studie sind ja nicht neu. Nur erstmals wurden sie so geballt in einer wissenschaftlichen Studie vorgelegt. Aber gerade die Wissenschaftlichkeit sprach Kretschmer der Studie ab. Logisch, dass die sächsischen Initiativen, die sich nun seit Jahren gegen die zunehmenden Auftritte der Rechtsradikalen in Sachsen engagieren, regelrecht veralbert fühlen.

„Ja, Sachsen hat ein Problem mit Menschenfeindlichkeit, Rassismus und neonazistischen Strukturen. Die allermeisten Sachsen wissen das mittlerweile – auch die in der CDU“, kommentiert das Netzwerk Tolerantes Sachsen die Sprüche des CDU-Generalsekretärs.

Und damit es der Generalsekretär auch wahrnimmt, zitiert das Netzwerk aus der Regierungserklärung von Ministerpräsident Stanislaw Tillich vom 29. Februar 2016 nach den Übergriffen in Clausnitz und Bautzen: „Die fremdenfeindlichen und rechtsextremen Ereignisse in Sachsen bilden eine lange Kette, die mich und uns alle beschämt. Ja, es stimmt: Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus, und es ist größer, als viele – ich sage es ehrlich: auch ich – wahrhaben wollten.”

Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer aber bestärke mit seiner reflexhaften Verteidigung und der Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse nun das Bild des ignoranten Sachsen, der die Realität verdrängt und Probleme durch Augenschließen verschwinden lassen will, stellt das Netzwerk fest.

„In Sachsen gibt es viele Initiativen, die sich gegen Diskriminierung und für eine offene Gesellschaft engagieren. In Sachsen findet man an Schulen, in Kommunen, in der Zivilgesellschaft und in der Politik viele mutige Menschen, die das Problem kennen und den Stier bei den Hörnern packen. Mitunter bei erheblichen persönlichen Risiken“, so das Netzwerk.

Eine nur halbe Medienrezeption

Denn anders als DNN suggeriert, hat die Studie eben nicht „das Leben in zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen, die Homogenität der einstigen DDR-Gesellschaft und die Veränderungen nach dem Mauerfall” für die verstärkten rechtsextremen Phänomene in Teilen Sachsens verantwortlich gemacht, sondern eine „von den dortigen Vertretern der CDU dominierte politische Kultur […], die das Eigene überhöht und Abwehrreflexe gegen das Fremde, Andere und Äußere kultiviert”.

Die Studie wirft der sächsischen Politik zudem vor, Konflikte zu verdrängen und deshalb „klare Worte gegenüber der rechten Bedrohung“ zu vermeiden. Aber so wie sich Kretschmer äußert, ist die sächsische CDU-Führung gar nicht bereit, daran etwas zu ändern.

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen: „Ja, es gibt ein Problem. Und es gibt viele Menschen, die es anpacken. Entschlossen und engagiert. Diese Menschen diskreditiert man mit billigen Abwehrreflexen und der blinden Verteidigung aller Sachsen. Die Probleme erkennen – und lösen. Mit vereinten Kräften. Das ist, was Sachsen jetzt braucht.“

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen ist ein Zusammenschluss von über 100 Initiativen, die sich in Sachsen für die Stärkung der demokratischen Kultur und gegen Menschenfeindlichkeit engagieren.

Die Regierungserklärung von Stanislaw Tillich vom Februar 2016.

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