Sie spielen sich die Bälle zu. Mal ist es Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der den Deutschen Faulheit attestiert, mal poltert sein Generalsekretär Carsten Linnemann gegen Bürgergeldempfänger, dann wieder prescht Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) vor und meint gegenüber der FAZ, dass die Menschen in Deutschland „mehr und länger arbeiten“ müssten. Die Erwerbstätigen in den USA täten es ja auch. Eine Argumentation, bei der auch Henning Homann, Vorsitzender der SPD Sachsen, nur mit dem Kopf schütteln kann.
Denn diese Argumentation, wie sie Reiche in der FAZ zum Ausdruck brachte, erzählt davon, dass die führenden Unionspolitiker die deutsche Arbeitswelt überhaupt nicht zu kennen scheinen. Jedenfalls nicht die außerhalb ihrer Büros. Ganz zu schweigen, so Homann, von der Arbeitswirklichkeit der Ostdeutschen.
„Die Vorschläge von Katherina Reiche sind unsozial, wirtschaftspolitisch kurzsichtig und aus ostdeutscher Perspektive realitätsfremd. Viele Menschen in Sachsen und anderen Teilen Deutschlands arbeiten körperlich hart – etwa in Pflege, im Schichtsystem, auf dem Bau oder in der Logistik. Den Menschen zu sagen, sie sollen bis 70 arbeiten, obwohl sie schon mit 60 gesundheitlich am Limit sind, ist realitätsfern. Am Ende zwingt die Gesundheit diese Menschen früher in Rente“, bringt Homann das Problem auf den Punkt.
„Rente mit 70 wäre für diese Menschen eine Rentenkürzung. Die Vorschläge sind insbesondere für Ostdeutschland Gift. Niedrigere Löhne, Teilzeitverträge und gebrochene Erwerbsbiografien kennzeichnen hier die Lebensläufe der meisten Beschäftigten. Schon heute liegt die Altersarmutsquote bei fast 25 Prozent. Die Vorschläge von Frau Reiche wären ein Konjunkturprogramm für noch mehr Altersarmut in Ostdeutschland.“
1,2 Milliarden Überstunden
Gleichzeitig widerspricht Homann dem Vorwurf Reiches, die Menschen in Deutschland würden zu wenig arbeiten. „In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Überstunden geleistet. Jede/-r Fünfte leistete diese unbezahlt. Den Menschen jetzt vorzuwerfen, sie würden zu wenig arbeiten, ist schlicht respektlos.“
Und auch für Homann liegt es auf der Hand, dass die Basis der Rentenfinanzierung dringend verbreitert werden muss. Dazu schlägt er eine Erwerbstätigenversicherung vor, in die auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete einzahlen.
„Und wir müssen Teilzeitkräfte fördern, bessere Löhne zahlen und endlich die Arbeitsbedingungen verbessern, gerade in den Bereichen, die unsere Gesellschaft am Laufen halten wie in der Industrie, der Energiewirtschaft, auf dem Bau und im Handwerk, aber auch in sozialen Berufen wie der Pflege, der Kinderbetreuung und in den Schulen“, sagt Homann.
Reiches Argumentation in der FAZ erachtet er für völlig verfehlt. Die von Reiche angesprochene angeblich geringe Arbeitszeit in Deutschland sei laut Homann irreführend.
„Deutschland ist Exportweltmeister – nicht trotz, sondern wegen seines Arbeitsmodells. Menschen arbeiten hier produktiv, zuverlässig und oft unter hohem Druck“, geht Henning Homann auf die schlichten Tatsachen ein. „Die durchschnittliche Arbeitszeit zu verlängern, ohne über Arbeitsqualität, die Lebensrealität von Familien mit Kindern und Alleinerziehenden sowie eine faire Entlohnung zu sprechen, ist populistisch und gefährlich. Die SPD Sachsen setzt sich für eine sozial gerechte und ökonomisch kluge Antwort auf den demografischen Wandel ein mit Respekt vor der Lebensleistung der Menschen, statt mit pauschalen Leistungsforderungen von oben.“
Es ist eine Debatte, in der eigentlich auch über den Niedriglohnsektor und die Vergütung in den nicht-tarifgebundenen Unternehmen gesprochen werden müsste. Und über die Frage, wie man Menschen eigentlich fit machen möchte, um auch noch bis 70 arbeiten zu können. Denn wenn man die Menschen länger in Arbeit halten will, muss man Präventionsangebote schaffen, die sie dafür auch befähigen.
Einfach immer nur fordern und verordnen, ändert an der Wirklichkeit nichts. Und auch nichts daran, dass es ausgerechnet Menschen in gutbezahlten Jobs sind, die es sich tatsächlich leisten können, früher und gesund in Rente zu gehen. Aus der Perspektive gut abgesicherter Abgeordneter und Minister fällt das nicht weiter auf. Aus der jener Menschen, die am Ende eines langen Erwerbslebens mit einer Armutsrente abgespeist werden, schon.
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