LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus der Ausgabe 43Auch im Jubiläums-Jahr 2017 lädt die Scheibenholz GmbH Leipziger und Gäste wieder zum Pferderennen auf die Galopprennbahn ein. Es ist der 1. Mai 2017. Ich mache mich auf den Weg Richtung Leipziger Pferderennbahn zum Aufgalopp. Bescheiden lockt die Sonne mit wohltuender Wärme und in meiner Erinnerung krame ich nach Eindrücken eines Rennbahnbesuchs in den 90iger Jahren: jede Menge huttragende Frauen mit ihren in Schale geworfenen Männern, wuseliges Treiben an den Wettkassen, das tiefe Grollen der galoppierenden Pferde, ekstatisches Jubeln beim Einlaufen. Währenddessen steigt eine innere Anspannung in mir, dem jeder Vorfreude innewohnende Zauber auf das, was mich heute erwarten würde. Aber es sollte ganz anders kommen.

Neben zahlreichen Besuchern, die sich an den überfüllten Kassen drängen und ihren Weg auf das Gelände der Rennbahn suchen, fordert das „Bündnis Leipziger Tierrechtler“ und „Neues Vorum für veganes Leben in Leipzig“ mit einer Protestaktion, die etwas betroffen dreinschauenden Wartenden dazu auf, keine Veranstaltungen zu besuchen, bei der Pferde ausgebeutet werden. Doch keiner geht wieder, alle begehren dennoch Einlass.

Was hat das zu bedeuten?

Ein Flyer des „Bündnis Leipziger Tierrechtler“ und spätere Recherchen erhellen das Anliegen und offenbaren, wie immer wenn es um Geld – um sehr viel Geld – geht, die Hintergründe einer weltweit prestigeträchtigen Branche, die sich selbst gern als familienfreundliches Entertainment beschreibt. Seit mehr als 60 Jahren sind die Praktiken des Trainings, der Haltung und der Manipulation mit Dopingmittel in der Kritik und somit der Pferdesport in einer Krise, aus der er sich bis heute nicht zu befreien vermag. Schon die Neue Deutsche Wochenschau vom 17.10.1967 berichtete von einem Pferderennen in Pardubitz, bei dem am Ende des Renntages vier Pferde wegen irreparabler Verletzungen eingeschläfert werden mussten.

Was zu einem ersten „Protest von Tierfreunden in der ganzen Welt“ führte.

Dass diese Szenarien nicht der Geschichte angehören, belegen Zahlen aus jüngster Vergangenheit. Laut PETA-Angaben seien allein zwischen 2011 und 2013 in Deutschland mehr als 730 Pferde gestorben, die im Galopp- und Trabrennsport eingesetzt wurden. Die LVZ veröffentlichte am 28. August 2016 unter dem bezeichnenden Titel „Drama im Scheibenholz“, den Tod des Pferdes „Lenno“ zum „Familienrenntag“ im siebenten Rennen und im Jahr

2012 musste der Hengst Proust noch auf der Rennbahn eingeschläfert werden. Vorfälle, die offenbar auch niemand irgendwie erfasst. Eine offizielle gesamtdeutsche Statistik über Todes- und Unfälle von Pferd und Reiter gibt es laut Anfrage der Fraktion Die Linke an die Bundesregierung vom 04.01.2017 nicht.

Unfälle im Pferdesport, die sich in der Öffentlichkeit ereignen, ermöglichen nur spärliche Einblicke in eine Reitindustrie, die mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz im Jahr generiert. Die Kritik, die Tierschützer zu der Überzeugung und Forderung kommen lassen, dass der Sport mit Pferden Tierquälerei und grundsätzlich zu verbieten sei, nährt sich aus den Praktiken, mit denen Besitzer, Pferdetrainer und Reiter systematisch Pferde überfordern, um im Kampf um die Preisgelder mithalten zu können. Dabei sollen Pferde durch Schmerzen kontrolliert und gefügig gemacht werden.

Die Reitindustrie agiert dabei nicht im gesetzlosen Raum: Paragraf 3 des Tierschutzgesetzes verbietet die Ausbildung und das Training von Tieren, wenn damit erhebliche Schmerzen oder Schäden für das Tier verbunden sind. Regelwerke, wie das vom ehemaligen Verfassungsrichter und Leiter der Untersuchungskommission Udo Steiner 2009 initiierte Maßnahmepaket, sollen zudem Reiter und Pferd stärker kontrollieren. Beides hat die Situation bisher nicht wesentlich geändert.

Stattdessen werden Dopingmittel von der Liste gestrichen, Grenzwerte hochgesetzt und unangemeldete Stall- und Trainingskontrollen durch geschulte Teams bis heute verweigert. Dennoch scheint sich bei wenigen Pferdetrainern ein kritisches Bewusstsein Bahn zu brechen. Nur ausgesprochen selten werden diese Praktiken öffentlich verurteilt oder die Anwendung verweigert. Gerd Heuschmann ist einer von denen, die das Geschäft mit den edlen Tieren von innen heraus verurteilt. Er äußerte

2012 in einem ZDF-Interview: „Die gesamte Reitindustrie rast im Galopp in eine Richtung, die ich für sehr bedenklich und gefährlich halte. Wahrscheinlich ist es so, dass es erst einen großen Knall geben muss, dass wir wieder zurückkommen zu den Wurzeln (Anm. d. Red.: des Pferdesports).“ Nun, wer möchte sich wohl bis dahin gedulden und wie viele „Pferde-Karrieren“ sollen bis dahin in den Schlachthöfen und auf den Buffets Deutschlands noch enden?

Die Tierschützer*Innen und Tierbefreier*Innen haben vollkommen Recht:

Pferde sind eben doch keine Sportgeräte. In später Erkenntnis dessen, ist meine einstige Vorfreude auf zukünftige Renntage einer gehörigen Portion Unbehagen gewichen, wenn ich an die Galopprennbahn im Scheibenholz denke. An diesem 1. Mai jedenfalls mache ich mich, um eine Sorge reicher, auf einen langen und nachdenklichen Weg nach Hause. Am Sonntag, den 28. Mai ist „Moderenntag“ im Scheibenholz. Allerdings wohl ohne mich.

Dieser Artikel erschien am 19.05.17 in der aktuellen Ausgabe 43 der LEIPZIGER ZEITUNG. An dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser. Dieses und weitere Themen finden sich in der aktuellen LZ-Ausgabe, welche neben den normalen Leipziger Presseshops hier im Szeneverkauf zu kaufen ist.

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