LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 34Nach Jahren der Kritik und durchaus auch Angst vor Übergriffen auf Mitarbeiter oder die Läden der Debatte leid, hatte sich Ladeninhaber Malte Reupert entschlossen, mal auf die Frage der Machbarkeiten von Alternativen in Zeiten des real existierenden Konzernkapitalismus aufmerksam zu machen. Die Antwort waren in der Nacht zum 9. August Steine und eine regelrechte Debattenschlacht im Netz – welche mit Unverständnis auf beiden Seiten endete. Ein Nachschlag seitens der Kristallkrieger ist demnach nicht ausgeschlossen, auch wenn in den Debatten letztlich nur ein realer Vorwurf gegenüber Biomare übrigblieb.

So soll Reupert zwar seinen immerhin 90 Mitarbeitern Vergütungen deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn, jedoch nicht nach Einzelhandelstarifvertrag zahlen. Ansonsten wurden viele Fantasien und Vorstellungen über ethisch, moralisch und menschlich bestes
Verhalten geäußert, worüber so manches Unternehmen in Leipzig wohl nicht einmal reden würde oder könnte.

Da erfahrungsgemäß Lösungen und Erklärungen meist im Gespräch besser zu finden sind als in Straßenschlachten oder durch berstende Scheiben, hat sich die LEIPZIGER ZEITUNG mit dem Inhaber von Biomare getroffen und versucht, von Malte Reupert zu erfahren, wie es am 9. August zur Eskalation an der Simildenstraße 20 kam und natürlich auch, wen er hinter den Attacken vermutet.

Wie haben Sie in dem Moment reagiert, in dem sie von dem Angriff erfahren haben?

Reupert: Ich war nicht wirklich überrascht und habe erst mal meine Mitarbeiter beruhigt. Mir war von Anfang an klar, dass unsere Postkartenserie und die zugehörige Plakataktion provozieren und bei ohnehin auf Hass und Frustration eingestellten Menschen aggressive Reaktionen hervor­rufen können und werden, weil der zwar unsinnige, aber weit verbreitete Reflex auf eine unangenehme Wahrheit erst mal eine überdurchschnittlich heftige Abwehr – wenn man so will, ein Gegenangriff – ist.

Haben Sie einen konkreten Ver­dacht, wer bzw. welche Gruppen hinter dem Angriff stecken könnten?

Reupert: Außer dem inhaltlichen Zusam­menhang, dass sich da jemand wohl sehr entlarvt gefühlt haben muss durch unseren Spruch und damit auch ideologisch klar zu verorten ist, keine direkte persönliche. Die ausführenden Personen hinter der Zerstö­rung sind mir im Grunde genommen auch gleichgültig.

Connewitz gilt gemeinhin als link­salternativer Kiez. Warum sollte ausge­rechnet dort irgendwer ein Interesse an der Vertreibung von Biomare haben? Und wie lange und mit welchen Mitteln wird Biomare dabei „bekämpft“?

Reupert: Wie gesagt, einen Grund, der originär mit Biomare oder mit mir zu tun hat, kann ich nicht erkennen. Es ist ja kein neues Phänomen, dass bei emotionalisier­ten, also radikalen Weltbildern der Bruder, der von der reinen Lehre abweicht, zum Hauptfeind wird.

Diese Leute haben Probleme mit sich selbst und ihrer eigenen Biografie. Biomare, vielleicht auch ich selbst, ist da nur die Projektionsfläche, der greifbare Ersatz, der beschuldigt werden kann, ohne Dinge, Haltungen, Menschen infrage stellen zu müssen, wo es höchstwahrscheinlich sehr weh tun und schwierig werden würde. Und das ist auch meine Idee, warum kaum einer mit uns über die Kritik, über die Vorbehalte, die er gegen uns hat, spricht: Das würde ja das simple Weltbild von „ich gut, der da draußen schlecht“ gefährden.

Eine der drei Leipziger Biomare-Filialen in der Connewitzer Simildenstraße – die Scheiben wurden systematisch beschädigt. Foto: Alexander Böhm
Eine der drei Leipziger Biomare-Filialen in der Connewitzer Simildenstraße – die Scheiben wurden systematisch beschädigt. Foto: Alexander Böhm

Hat Biomare in der Vergangenheit ortsansässige Mitbewerber verdrängt? Und wie könnte man so etwas überhaupt herausfinden?

Reupert: Das wird oft behauptet. Aller­dings entbehrt das jeder Logik. Wir haben ja doch keine übernatürlichen Kräfte und können die Kunden der Mitbewerber nicht zu Biomare umlenken. Jeder Mensch ent­scheidet doch selbst, wo er einkauft. Am Aussterben der Tante-Emma-Läden sind doch nicht die großen Supermarktketten „schuld“, sondern die Kunden der Tante-Emma-Läden, die weggeblieben sind. Oder die Tante-Emma-Läden selbst, die die Bedürfnisse ihrer Kunden nicht mehr zu deren Zufriedenheit erfüllt haben. Die Entwicklung von Menschen, Märkten und Ladenformaten ist einfach da und kann nicht aufgehalten werden.

Wer als Unternehmer sein Unternehmen nicht weiterentwickelt, bleibt früher oder später auf der Strecke. Das passt zwar nicht in das Wunschbild, in die Sehnsucht nach einer heilen, freundlichen Welt, wo keiner dem anderen weh tut und Konkurrenz und Wettbewerb zum „Bösen da draußen“ gehören.

Die Realität ist, wie sie ist, und sie ist von uns allen gemacht. Und seien wir mal ehrlich: Ich kenne keinen Menschen, der selbst nach diesen Anforderungen lebt und die eigenen Interessen zurückstellt. Kennen Sie welche? Höchstwahrscheinlich nicht. Und doch wird diese Erwartung sehr hartnäckig an uns herangetragen. Das finde ich nicht nur realitätsfern, sondern auch unredlich.

Haben Sie vor der Eröffnung ihrer Filiale in Plagwitz gezielt durch einen Studenten die Kundschaft eines ansässigen Mitbewerbers zu Zwecken der Marktforschung befragen lassen?

Reupert: Nein. Es gab mal eine Studen­tin, die Befragungen vor einer Reihe von Läden für ihre Bachelor-Arbeit gemacht hat. Es ging damals, glaube ich, um die Bekanntheit von Biomare. Ich war damals vielleicht zu unbekümmert und hatte lediglich die Bedingung gestellt, dass die Ergebnisse allen, also auch den anderen Läden, zur Verfügung stehen.

Soviel ich weiß, hat sich jedoch keiner dafür interessiert. Aber wo ist das Pro­blem? Biomare ist ohnehin bekannt. Und wer Angst hat, dass seine Kunden weg­laufen, hält ja doch im Kern seine eigene Arbeit für ungenügend.

Auf Ihren Werbeplakaten schrei­ben Sie, Kapitalismus sei das Resultat der Weigerung, es besser zu machen. Was haben Sie bei der Expansion Ihres Unternehmens besser gemacht als große Ketten wie „denn’s“? Was unterscheidet Sie von diesen?

Zunächst einmal weisen wir darauf hin, dass unsere Welt so ist, weil wir sie durch unser Verhalten in der Summe so machen, wie sie ist. Und ich habe bewusst den linken Kampfbegriff „Kapitalismus“ gewählt, um dort einen Stachel zu setzen. Es reicht eben nicht, mit dem Kapitalismus unzufrieden zu sein.

Wir machen ihn durch unser Verhalten, also können wir ihn auch durch unser Verhalten verändern. Wir, also Biomare, versuchen auszuprobieren, was besser zu machen geht. Das hat natürlich seine Grenzen, weil wir Menschen einfach so sind, wie wir sind, und an irgendeiner Stelle auch unsere egoistische Fratze haben, mich selbst eingeschlossen. Gefährlich ist dabei, dass manche Leute den Realitätsbezug verlieren und in die Bioläden ihre Sehnsucht nach einer heilen Welt hinein­projizieren und von uns erwarten, dass wir ihnen – um mit Robert Bly zu sprechen – den verlorenen goldenen Ball aus der Kindheit wiedergeben. Wir werden an unrealistischen Maßstäben gemessen, die dann von denje­nigen, die diese Meßlatte anlegen, nicht im Entferntesten selbst eingehalten werden.

Zerstörte Scheiben als Diskussionsbeitrag. Foto: Alexander Böhm
Zerstörte Scheiben als Diskussionsbeitrag. Foto: Alexander Böhm

Im Internet rufen Sie nun zum Dialog auf, um Vorurteile abzubauen. Haben Sie in der Vergangenheit proaktiv den Dialog mit Kunden, Zulieferern und Mitbewer­bern gesucht?

Ja, selbstverständlich, das ist unser alltäglicher Job. Uns geht es in dieser Kampa­gne darum, die seit zehn Jahren bisher kom­plett hinter unserem Rücken stattfindende Gerüchte- und Verleumdungsküche an die Öffentlichkeit, in die direkte Auseinander­setzung mit uns zu holen. Das Mittel war die Provokation durch die Infragestellung der Grundsubstanz einer bestimmten, im linken Spektrum verbreiteten Haltung. Das haben wir erreicht. Mehr ist nicht zu erreichen.

Wer ohnehin aus Gründen, die in ihm selbst liegen, etwas gegen uns hat, den werden wir mit noch so guten Argumenten niemals überzeugen können. Und mit den Biolade­ninhaber-Kollegen ist das so eine Sache: Irgendwie hört man ja doch, was so über einen gesagt wird … Mehr als Gespräche anzubieten, kann ich nicht tun. Wobei ich den Kostbar-Leuten in der Karl-Heine- Straße ausdrücklich meinen Dank ausspre­chen möchte: Auch wenn die Situation für sie gefühlt nicht leicht und vielleicht sogar bedrohlich ist, meines Wissens nach sind sie immer fair und bei sich und ihrer eigenen Arbeit geblieben.

Wie sehen die nächsten Schritte von Biomare aus? Ist ein Dialog mit Menschen, die Steine gegen Schaufenster werfen oder Schlimmeres unternehmen, wirklich möglich?

Wir gehen unseren Weg weiter. Als nächstes erscheint eine Postkarte, womit wir unsere Kostenstrukturen und die Gewinnverwendung unseren Kunden gegenüber offenlegen. Dialog beruht auf der Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen. Das ist ja schon bei den meisten auf die Kampagne reagierenden „Kritikern“ nicht da – darum setze ich auch die Anführungs­zeichen. Es geht in den Reaktionen eben selten tatsächlich um Kritik, um Dialog, also konkrete kritische Anmerkungen, Fragen oder einen Widerspruch mit Begründung, sondern vielmehr um das Abreagieren von Frust und das Pflegen von Vorurteilen, also um Selbstvergewisserung.

Und wer Steine wirft oder andere beschimpft, der muss erst einmal Dialogfähigkeit erler­nen. Ich bin kein Sozialarbeiter, damit will und kann ich mich nicht befassen.

Was ist Biomare, wie entstand es und woher kommt der Konflikt? – Hier Teil 1 auf L-IZ.de.

Dieses Interview erschien am 19.08.16 in der aktuellen Ausgabe 34 der LEIPZIGER ZEITUNG. An dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser. Die LZ mit diesen und vielen weiteren Themen gibt es ua. hier in Leipzig zu kaufen.

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