LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 34 Wer in den neuesten Debatten rings um Kapitalismus-Kritik, derzeitige Machbarkeiten und realistische Ansätze für ein besseres Leben nicht fit ist, sollte sich wohl beim Streit um die mittlerweile drei Ladengeschäfte der Leipziger „Kette“ Biomare zurückhalten. Dieser ist nun, nach fast zehn Jahren Schwelbrand, endgültig offen ausgebrochen. In der Nacht vom 8. auf den 9. August 2016 griffen, geht man nach den nachfolgenden Äußerungen im Netz, linksextreme Kritiker zur Gewalt und warfen in der Connewitzer Filiale des Bioanbieters alle Scheiben ein. In deutscher Ordnung immer nur ein Stein pro Scheibe – eine Reaktion auf eine durchaus pfiffige Werbekampagne von Biomare im Viertel.

Denn man hatte mittels Plakaten und Postkarten darauf hingewiesen, „Kapitalismus ist das Resultat deiner Weigerung es besser zu machen“. Natürlich auch, um nach Jahren der Kritik am Wachsen des Leipziger Händlers die Stirn zu bieten.

Herr Reupert, wenn Sie Biomare erst einmal als Konzept, als Idee in einer Minute beschreiben müssten, was wür­den Sie sagen?

Malte Reupert: Als Mitglied einer linken Splittergruppe in der Wendezeit 1990 war mir das Unzufriedensein mit der erlebten Realität und das Lesen und Variieren von intellektuellen Wortschwallen sehr bald zu wenig. Ich wollte wissen, wieso diese Welt so ist, wie sie ist, und – in guter mar­xistischer Tradition – die Veränderung der Produktionsverhältnisse ausprobieren. Ich lerne und experimentiere nun seit 25 Jahren.

So viel also zum Ursprung, aber was hat Biomare mit Leipzig und Sachsen zu tun?

Ich bin eingeborener Sachse und in Leipzig aufgewachsen. Biomare ist in der Region sehr tief vernetzt und für manch kleine regionale Bio-Erzeuger mehr als ein wichtiger Geschäftspartner. 90 Leipziger verdienen bei uns ihren Lebensunterhalt und können Biomare mitgestalten.

Die Plakatkampagne von Biomare: hier am Connewitzer Kreuz. Foto: Ralf Julke
Die Plakatkampagne von Biomare: hier am Connewitzer Kreuz. Foto: Ralf Julke

Seit wann gibt es Biomare, und was waren die Meilensteine der vergangenen Jahre für Sie?

Reupert: Schwer zu sagen, wo der Anfang liegt. Vielleicht 1992 mit dem ersten Ausprobieren als Biobauer, 1998 mit dem Aufbau des mittlerweile geschlossenen Bioladens im Volkshaus. Das Jahr 2000 mit der Übernahme des kleinen Connewitzer Bioladens, der damals vor dem wirtschaft­lichen Aus stand, oder 2006 mit Umzug auf die Supermarktfläche und Umbenennung in Biomare. Rückblickend erscheint mir alles ein mehr oder weniger kontinuierlicher Prozess von „trial and error“.

Die wichtigsten persönlichen Entscheidun­gen und aus heutiger Sicht zugleich auch Erfolgsvoraussetzungen waren zum einen, nach dem ersten Scheitern Wirtschaft zu stu­dieren. Dies, um zu verstehen, wie die Öko­nomie, wie die Basis unserer Gesellschaft (Ich bin marxistisch geprägt!) funktioniert. Zum anderen der Entschluss, mich mit den in mir liegenden Ursachen vom Scheitern auf der zwischenmenschlichen Ebene zu befassen, mich also erst einmal mit den eigenen, gern vor sich selbst schöngeredeten unangenehmen Seiten auseinanderzusetzen.

Dabei habe ich gelernt, mich selbst und andere auch in der – üblicherweise im Nebel liegenden und mit Angst behafteten – Dimension der menschlichen Psyche zu sehen.

Wie sehen Sie die ökonomischen Rahmenbedingungen in Leipzig – ein guter Standort für Ihr Unternehmen?

Leipzig war lange Zeit „die ärmste Großstadt Deutschlands“, mittlerweile sind wir knapp vor Dortmund auf dem vorletzten Platz. Das macht das Umfeld für unsere hochpreisigen Produkte tendenziell schwierig. Andererseits haben wir uns von Anfang an auf ein buntes, meist sehr sympathisches Publikum eingestellt. Und vielleicht tummeln sich deswegen die gro­ßen Bio-Ketten hier noch nicht so stark wie in anderen Städten.

Für mich als Leipziger gibt es keinen ande­ren Standort als Leipzig: Hier kenne ich die Leute und die Stadt.

Gibt es für Ihr Unternehmen Ziele, wie zum Beispiel in anderen Städten Fuß zu fassen oder verstärkt selbst Produkte herzustellen? Wo will Biomare in den kommenden Jahren hin?

Ich musste und muss mir das nötige Geld immer auf der Basis persönlichen Vertrauens leihen. Das ist mühsam und lang­wierig, weil meine Freunde und Bekannten – wie ich selbst auch – aus vermögenslosen Verhältnissen kommen. Biomare hat sich in vielen kleinen Schritten vom studentischen Nebenerwerbs-Lieferdienst entwickelt, und so wird es auch weitergehen. Vielleicht wird es in fünf Jahren fünf Läden geben. Die bei uns selbst oder in Kooperation mit regiona­len Kleinerzeugern hergestellten Produkte in Kleinserie unter dem eigenen Label werden hoffentlich ein paar mehr sein.

Entscheidend ist, dass wir uns mit Bedacht entwickeln, uns nicht selbst überfordern und auf das konzentrieren, was wir gut können: hohe Qualitäten organisieren und eine sehr gute Stimmung in den Läden halten. Natürlich wollen wir auch so klar erkennbar bleiben, dass wir der absehbaren Flut der großen Bio-Filialisten mit ihrem Standard-Rezept des Preiskampfes mit einem eigenen Weg standhalten können.

Wo sehen Sie die Fragen der Nachhaltigkeit, Regionalwirtschaft und gesunder Nahrungsmittelproduktion in fünf bis zehn Jahren?

Ich bin kein Prophet. Wir alle wis­sen, dass wir auf diesen Feldern viel mehr tun müssen, damit unsere Enkel noch auf einem bewohnbaren Planeten leben können. Biomare ist da einerseits Vorreiter, weil wir unser Gesamtkonzept schon immer nach aktuellem Wissensstand ganzheitlich ökologisch ausgerichtet haben.

Aber wir sind auch sperrig, weil wir uns Klischees verweigern und erst mal nachfra­gen und recherchieren: Was ist da wirklich dran? Wir verbannen z. B. Plastiktüten nicht aus unseren Läden, weil diese eine bessere Ökobilanz haben als alle anderen Verpa­ckungen – auch wenn das dem Reflex vieler Menschen widerspricht und wir deswegen oft kritisiert werden. Entscheidend ist nicht der Anschein, sondern der tatsächliche ökologische Fußabdruck.

Zerstörte Fenster am Biomare-Markt in der Simildenstraße. Foto: Alexander Böhm
Zerstörte Fenster am Biomare-Markt in der Simildenstraße. Foto: Alexander Böhm

Zum Angriff am 9. August – kön­nen Sie schildern, wie die Konflikte vor Jahren begannen und mit welchen Mitteln und Argumenten man Sie sogar persönlich und Ihre Märkte kritisiert?

Da fragen Sie wirklich den Falschen, denn mit mir bzw. uns spricht niemand über seine Vorbehalte gegen mich bzw. Biomare. Bei einigen Nachbarn gab bzw. gibt es Zorn, weil wir ihnen nicht die von uns gemieteten oder aufgestellten Fahrradständer bzw. Parkplätze unbegrenzt und kostenlos zur Verfügung stellen wollen. Daran kann ich nichts ändern. Ich habe aber auch einige Zeit gebraucht, um zu begrei­fen, dass da erstaunlich oft der gesunde Menschenverstand und die Rechtslage nicht in der Lage sind, die Denkbarriere aus den schlichten egoistischen Interessen zu durchbrechen.

Dann gibt es natürlich die jetzt von uns aufgegriffenen antikapitalistischen Haltungen. Da kann ich mich sehr gut hin­einversetzen, weil ich einige Jahre selbst in diesem Misch-Kosmos aus Emotionen und Ideologie gelebt habe. Nur haben die – wenn man wirklich auf der Sachebene bleibt – nichts mit Biomare zu tun: Einer­seits, weil wir nicht Gott sind und einfach mal so die gesellschaftlichen und mensch­lichen Rahmenbedingungen, in denen wir alle leben, verändern können und andererseits, weil wir seit Anbeginn nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, den Organismus Biomare menschlicher, fairer, rücksichtsvoller zu gestalten, als wir das oft anderswo erleben.

Also: Argumente habe ich bisher kaum gehört, dafür sehr viel Hass und Anfein­dungen. Mein Spitzname in der linken Connewitzer Szene ist „Bio-Hitler“. Das disqualifiziert sich eigentlich selbst. Das Verblüffende daran ist, dass diese Leute das mit tiefster Inbrunst ernst meinen. Schlüs­sige Erklärungen dafür sehe ich nur, wenn man die psychologische Ebene hinzuzieht.

Wie auf den Angriff reagiert wurde – in Teil 2 auf L-IZ.de.

Dieses Interview erschien am 19.08.16 in der aktuellen Ausgabe 34 der LEIPZIGER ZEITUNG. An dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser. Die LZ mit diesen und vielen weiteren Themen gibt es ua. hier in Leipzig zu kaufen.

Was steht noch in der aktuellen LZ? Ein kleiner Einblick dazu auf der L-IZ.de

In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar