Politik ist eigentlich eine Arbeitsaufgabe, in der gewählte Politiker Lösungen für aktuelle Probleme suchen und finden müssen. Wenn sie es nicht tun, passiert genau das, was am 22. Februar am Bundesverwaltungsgericht verhandelt wurde: Dann drohen Verbote. Fahrverbote in diesem Fall, weil deutsche Politik das Thema acht Jahre lang komplett verweigert hat. Entsprechend deutlich sind die Kommentare der Umweltverbände zum Urteil vom 27. Februar.

Als „hochrichterliche Ohrfeige für die untätige Bundesregierung“ bezeichnet der ökologische Verkehrsclub VCD das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten am Dienstag, 27. Februar. Das Gericht hat diese als rechtlich zulässig erklärt, wodurch Düsseldorf, Stuttgart, Hamburg und München und in der Folge auch weitere Städte nicht um Dieselfahrverbote zur Senkung der Stickstoffdioxidbelastung herumkommen werden.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) begrüßt, dass nun Klarheit bezüglich der Dieselfahrverbote herrscht, bemängelt aber den drohenden Flickenteppich und die fehlenden Nachrüstmöglichkeiten für Dieselfahrer. Die Luftverschmutzung in den Städten und die nun anstehenden Fahrverbote sind von der Autoindustrie und von der untätigen Bundesregierung zu verantworten. Die große Koalition muss nun alles daran setzen, damit nicht die Kommunen und die geprellten Autofahrer den Dieselskandal und das Staatsversagen ausbaden müssen.

Wasilis von Rauch, Bundesvorsitzender des VCD: „Das Urteil markiert eine Wende hin zu einer Verkehrspolitik, die endlich die Gesundheit der Menschen über die Gewinninteressen der betrügerischen Autoindustrie stellt. Über Jahre hat die große Koalition zum Schutz der betrügerischen Autokonzerne auf wirksame Maßnahmen für bessere Luft in den Städten verzichtet. Damit ist jetzt per Gerichtsentscheid Schluss und das ist gut so. CDU, CSU und SPD müssen jetzt Verantwortung zeigen und schnellstmöglich die blaue Plakette für saubere Diesel beschließen und die Diesel-Nachrüstung auf Kosten der Autohersteller durchsetzen.“

Und dann kommt er auf das von der Bundesregierung so ungeliebte Thema „Blaue Plakette“ zu sprechen.

Die Einführung der blauen Plakette ist nach Ansicht des VCD von zentraler Bedeutung, um einen Flickenteppich an Fahrverboten zu vermeiden. Kommunen können damit die Fahrverbote auf sehr dreckige Diesel beschränken und diese auch ohne größeren Aufwand kontrollieren. Die Plakette ist zudem ein Anreiz für Autohersteller und Zulieferer, schnell wirksame und bezahlbare Hardware-Nachrüstung auf den Markt zu bringen. Ohne die Plakette sind selbst saubere Diesel der neuesten Euro 6d-Norm von Fahrverboten betroffen.

Das Dieselprivileg gehört abgeschafft

Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD: „Die Autohersteller haben aus Profitgier die Abgasreinigung ihrer Autos schamlos manipuliert und damit die jetzige Situation maßgeblich verursacht. Sie dürfen nicht ungeschoren davonkommen. Statt freiwilliger Software-Updates, die nicht viel mehr sind als billige Placebos, braucht es wirksame Nachrüstungen mit Stickoxidkatalysatoren, deren Kosten die Hersteller tragen müssen. Auch Strafzahlungen wie in den USA und in Frankreich sollten nicht tabu sein. Die könnte man für den Ausbau des ÖPNV in den betroffenen Städten nutzen.“

Statt weiterhin den Diesel zu privilegieren, müsse die künftige Bundesregierung Anreize für wirklich saubere und sparsame Fahrzeuge setzen. Dazu gehöre der Abbau des Dieselprivilegs verbunden mit einer generellen Besteuerung von Kraftstoffen auf Basis von CO2.

Lottsiepen: „Wer saubere Luft in Städten haben und die Klimaziele einhalten möchte, der muss die rechtlichen und fiskalischen Instrumente dafür schaffen. Eine Politik des ‚Weiter so‘ dieselt dem gesundheits- und klimapolitischen Abgrund entgegen.“

BUND: Die Städte brauchen bessere Verkehrslösungen

„Wenn Städte jetzt gezwungen werden können, auch mit Fahrverboten die Einhaltung von Stickoxid-Grenzwerten durchzusetzen, ist das ein Signal an Verkehrsplaner und Autoindustrie gleichermaßen. Alle Menschen haben ein Recht auf saubere Luft. Der Dieselskandal zeigt, dass das Versprechen sauberer Autos ein Märchen vieler Hersteller war. Die Städte müssen jetzt andere Verkehrsmittel stärken. In Leipzig heißt das, Nahverkehr und sichere Radwege ausbauen und somit den Umstieg vom Auto möglich machen“, erklärt Martin Hilbrecht, Vorsitzender des BUND Leipzig.

Der BUND Leipzig setze sich für Verkehrslösungen in der Stadt ein, die Menschen auch ohne hohe finanzielle Hürden einen Anteil am Verkehr sichern und die Straßen für jene Autos freimacht, die sie wirklich brauchen.

„Weniger Stau und weniger Schadstoffe in den Städten sind nur mit einer Reduzierung des Autoverkehrs auf den Straßen möglich. Deswegen müssen Alternativen her. Das Bundesverwaltungsgericht hat Kommunen und Industrie heute ein Signal zum Umdenken gesendet“, so Martin Hilbrecht.

Endlich bessere Luft für die Fußgänger

Deutschlands Fachverband für Fußverkehr FUSS e.V. begrüßt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten. Bundesgeschäftsführer Stefan Lieb sagt dazu: „Das kann sich als guter Tag für die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer herausstellen. In Deutschlands Städten verbringen die Menschen mehr Zeit im Verkehr auf den Beinen als hinterm Steuer. Es ist höchste Zeit, dass die größte und umweltschonendste Gruppe der Verkehrsteilnehmer endlich wirksam vor Vergiftung geschützt wird.“

Lieb verweist auf wissenschaftliche Studien, nach denen jährlich 7.000 bis 10.000 Menschen in Deutschland an Krankheiten sterben, die durch Feinstaub aus Auspuffen hervorgerufen werden. „Das sind zwei- bis dreimal so viele Feinstaub- wie Unfallopfer.“ Und oft trifft es gerade die Schwächsten im Verkehr: Kinder, Alte und Ärmere legen den relativ größten Teil ihrer Wege zu Fuß zurück.

Der FUSS e.V. nimmt auch zu den Folgen der Kapitalvernichtung Stellung, die Fahrverbote für die Eigentümer von Dieselautos bedeuten können.

„Das entwertet zwar einerseits viel Fahrzeug-Kapital“, sagt Stefan Lieb. „Doch wesentlich wichtiger ist, dass mit der Atemluft ein lebenswichtiges Kapital für uns alle erhalten und wieder aufgewertet wird.“ Und selbstverständlich müssen die Hersteller die Umrüstung leisten und finanzieren.

Für die Wirtschaft ist das eine Bewährungsprobe

„Die heutige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird für die deutsche Wirtschaft zur Bewährungsprobe. Auch wenn in Leipzig und Sachsen derzeit keine Fahrverbote auf der Tagesordnung stehen, müssen viele regionale Unternehmen mit bundesweiten Aufträgen ihre Mobilitäts- und Flottenkonzepte überdenken. Besonders problematisch ist, dass nun ein Flickenteppich von Einzelregelungen in Deutschland droht“, äußert Kristian Kirpal, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig, seine Besorgnis.

„Anzuerkennen ist, dass auch das Bundesverwaltungsgericht auf die Verhältnismäßigkeit hinweist – gerade im Hinblick auf kleine Unternehmen – und den aktuell betroffenen Städten Übergangsfristen auferlegt. Mildere Mittel als Fahrverbote müssen auch zukünftig die erste Wahl zur Verringerung der Luftschadstoffe bleiben. Kommt die neue Bundesregierung demnächst zustande, ist auch diese aufgefordert, Lösungen für nachhaltige Verkehrskonzepte in den Städten zu unterstützen. Dazu gehören eine intelligente Verkehrslenkung, die Stärkung der E-Mobilität, Investitionen in einen leistungsfähigen ÖPNV und die Entwicklung von Smart City-Konzepten.“

Jetzt sollte der ÖPNV gestärkt werden

Auch das Deutsche Verkehrsforum (DVF) begrüßt das Urteil. DVF-Präsidiumsvorsitzender Dr. Ulrich Nußbaum sagt dazu: „Schadstoffsenkung und Gesundheitsschutz haben für den Verkehrssektor eine sehr große Bedeutung. Genauso wichtig ist aber die Mobilität der Menschen auf ihrem täglichen Arbeitsweg, in ihrem Privatleben und die Versorgung der Innenstädte mit Gütern und Dienstleistungen. Deswegen sind pauschale Fahrverbote der falsche Weg. Sie führen zur Entwertung und Planungsunsicherheit bei Autofahrern und Gewerbe. Richtig ist, dass der Verkehrssektor insgesamt nachhaltiger werden muss.“

„Damit Verbote eine vorübergehende Maßnahme bleiben, müssen alle Möglichkeiten zur Verbesserung der Verkehrswege, zur Modernisierung der Fahrzeugflotten, zur digitalen Vernetzung und zur Vernetzung der Verkehrsträger ausgeschöpft werden. Der ÖPNV spielt hierbei eine wichtige Rolle. Vor allem sollte die Innovationskraft und der Wettbewerb genutzt werden, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Nicht zielführend sind politische Verordnungen, welche Antriebstechnologien eingesetzt werden sollen“, erklärt Nußbaum weiter.

Bereits im Nationalen Forum Diesel der Bundesregierung seien wichtige Maßnahmen benannt worden. Aus Sicht des DVF sind diese notwendig, um das gemeinsame Ziel einer besseren Luftqualität zu erreichen.

Die wichtigsten Maßnahmen aus Sicht des DFV:

-die Erhöhung der Investitionen in ÖPNV und Schienenverkehr,

– die Umstellung der Flotten der öffentlichen Hand auf emissionsfreie oder emissionsarme Antriebe (Busse, Nutzfahrzeuge, sonstige Dienstfahrzeuge),

– die Förderung der Umstellung von Flotten im Gewerbe und in der städtischen Logistik auf nachhaltige Antriebe (Pkw, leichte und mittelschwere Nutzfahrzeuge),

– ein schnellerer Ausbau der Ladeinfrastruktur und der Tankstellen für Erdgas und Wasserstoff,

– eine leichtere und rechtssichere Genehmigung von neuen Mobilitätsdiensten (Pooling) im Personenbeförderungsgesetz,

– Entwicklung eines deutschlandweiten eTickets, Bereitstellung von Echtzeit-Fahrinformationen des öffentlichen Verkehrs, Ausbau von verkehrsträgerübergreifenden digitalen Mobilitätsportalen, Verbesserung der Parkplatzsuche durch digitale Plattformen,

– Entlastung des Schienenverkehrs bei Energiesteuer und EEG-Umlage, Senkung der Trassenpreise.

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Warum so eilig oder Wie wird man wieder Herr seiner Zeit?

 

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