Die Covid19-Pandemie verändert Leipzigs Straßen. Die Leipziger/-innen legen weniger und kürzere Wege zurück. Und sie legen sie anders zurück: Der Fußverkehr ebenso wie der Radverkehr gewinnen an Bedeutung für die täglichen Wege. Alle Menschen sollen jedoch mindestens 1,5 Meter Abstand voneinander halten. Das wird bei volleren Gehwegen, die an vielen Stellen zu schmal sind, zur Herausforderung. Gleichzeitig sinkt der motorisierte Straßenverkehr. Dies führt zu teilweise deutlich weniger genutzten Straßen.

Aus Sicht des BUND Leipzig muss die Antwort daher heißen: Wo immer es möglich ist, muss der Straßenraum temporär zugunsten von Fuß- und Radverkehr umgewidmet werden. Ganz ähnlich hat auch der Ökolöwe schon am 28. März in einem Offenen Brief an die Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau argumentiert. Doch ohne jegliche Reaktion. Das Rathaus wirkt gerade wie schockgefroren.

„Das temporäre Verbreitern von Fußwegen ist eine unabdingbare Maßnahme, um das Ansteckungsrisiko zu verringern. Städte wie Berlin, New York und Bogotà gehen bereits diesen Weg“, erklärt jetzt der Vorsitzende des BUND Leipzig, Martin Hilbrecht.

„Dies könnte zum Beispiel durch die Umwidmung von Parkplätzen oder der rechten Fahrspur bei mehrspurigen Straßen geschehen. Aktuell deutlich weniger frequentierte Autospuren könnten für den Fußverkehr genutzt werden, wie es am Leipziger Hauptbahnhof bereits geschehen ist.“

Wie Hilbrecht weiter mitteilte, seien aufgrund des steigenden Radverkehrs weitere Maßnahmen zur Verkehrssicherheit notwendig. „Vor allem müssten temporäre, breite Radspuren an allen Leipziger Hauptstraßen eingerichtet werden. Durch ausreichend dimensionierte, geschützte Radstreifen könnten sich Radfahrende gegenseitig sicher überholen“, so Hilbrecht. Damit diese auch von den Autofahrenden sicher überholt werden können, müssen die entsprechenden Straßen mit Tempo 30 ausgewiesen werden.

Für eine krisenfeste Mobilität

Und auch das forum urban mobil, in dem Umweltverbände, Verbände für nachhaltige Mobilität, Mobilitätsdienstleister sowie Bürgerinitiativen und an Verkehrsthemen interessierte Menschen zusammenarbeiten, wundert sich nur noch über das Schweigen im Rathaus.

Wer sich dieser Tage durch Leipzig bewegt, stellt fest: Es ist mehr Platz auf den Straßen. Doch er ist noch ungleicher verteilt als sonst. Home Office und reduzierter Lieferverkehr für Gastronomie und Handel sind nur zwei Gründe für das spürbar geringere Kfz-Aufkommen der letzten Wochen.

Zugleich locken Sonnenschein und Kontaktbeschränkung immer mehr Menschen an die frische Luft. Das Problem: spielende Kinder, Flaneure und Gelegenheitsradler teilen sich vielerorts enge Wege, weite Teile des Straßenraumes sind weiterhin dem motorisierten bzw. ruhenden Verkehr vorbehalten.

Wer sich – wie medizinisch empfohlen – zu Fuß oder per Rad draußen bewegt, wird in Leipzig nicht etwa unterstützt. Im Gegenteil.

„Die Einhaltung der empfohlenen Abstände zwischen Passanten bzw. Radfahrenden ist bei der gegebenen Infrastruktur oft schlichtweg nicht möglich“, kritisiert Gustav Lieberknecht, Organisator der Leipziger Mobilitätsplattform forum urban mobil (fum), die Nichtreaktion der Verwaltung. Dabei wäre es mit mäßigem Aufwand durchaus machbar, wichtige Rad- und Fußverbindungen pandemiegerecht auszugestalten: mit einer anderen Aufteilung des Straßenraumes.

Auf der Zeppelinbrücke (Jahnallee) ist Überholen für Radfahrer und Fußgängern schon im Normalfall gefährlich. Dabei auch nur einen Meter Abstand zu halten, funktioniert im Bestand aber nicht.

„Nur durch die Freigabe einer Kfz-Fahrspur pro Richtung für den Radverkehr könnten sich Rad- und Fußverkehr dort ungehindert und ohne Ansteckungsgefahr bewegen“, erklärt dazu Thomas Gentsch. Gentsch hatte bereits im vergangenen Jahr 1.500 Unterstützer für seine Petition zum sicheren Rad- und Fußverkehr in der Rödelstraße gesammelt.

Dort teilen sich jetzt Jogger, Spaziergänger mit Hund und Radsportfreunde den schmalen gemeinsamen Rad- und Fußweg, während nebenan zwei Kfz-Spuren pro Richtung keineswegs ausgelastet sind. Im Ranstädter Steinweg sieht es nicht besser aus, darauf hatte der Ökolöwe bereits hingewiesen. Die Liste solcher Beispiele ist lang.

„Während viele europäische und deutsche Städte in der Krise mutig und entschlossen handeln, um ihren Bewohnerinnen und Bewohnern eine umweltfreundliche Mobilität zu erleichtern, droht Leipzig diese Gelegenheit und damit auch den Anschluss an die wirklich innovativen Metropolen zu verpassen“, meint Josephine Michalke, die als stellvertretende Vorsitzende des BUND Leipzig ebenfalls im fum aktiv ist.

Dabei wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt, verkehrspolitische Versäumnisse der vergangenen Jahre nachzuholen: Etwa das rechtswidrige Radfahrverbot auf dem Promenadenring aufzuheben und die äußeren Fahrspuren für den Radverkehr freizugeben. Oder durch die Anlegung eines sicheren Radfahrstreifens auf der Fahrbahn die Käthe-Kollwitz-Straße als wichtige Verbindung zwischen Innenstadt und Park für Radfahrende weniger gefährlich machen.

Aus Sicht des fum bestünde jetzt die große Chance, mit entsprechenden Maßnahmen auch Gelegenheitsradler dauerhaft aufs Rad zu bringen – was auch erklärtes Ziel des Leipziger Mobilitätsszenarios ist.

„Die Schaffung zusätzlicher Querungsmöglichkeiten und breiterer Aufstellflächen für Fußgänger, die flächendeckende Anordnung von Tempo 30 und die Umstellung von ,Bettelampeln‘ auf gerechte Grünphasen würde zu Fuß Gehenden insbesondere mit Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl das Leben enorm erleichtern“, skizziert Lieberknecht seine Vision eines menschenfreundlichen Verkehrs in Leipzig weiter. Bedauerlicherweise befänden sich Baubürgermeisterin, Stadtrat und Verwaltung „verkehrspolitisch im Tiefschlaf“.

Was könnte leicht geändert werden?

Der BUND Leipzig schlägt in einem ersten Schritt die Einrichtung weiterer Fahrradstraßen vor. Mögliche Kandidaten sind:

Gottschedstraße

Bernhard-Göring-Straße

Theodor-Neubauer-Straße

Mindestens temporäre Geschützte Radfahrstreifen könnten sofort in folgenden Straßen angelegt werden:

Käthe-Kollwitz-Straße

Jahnallee

Promenaden-Ring

Johannisallee

Sommerfelder Straße

Stötteritzer Landstraße

Zschochersche Straße

Und Pop-Up-Radwege könnten aus Sicht des BUND Leipzig in folgenden Straßen angelegt werden:

Gerber-Straße stadtein- und -auswärts zwischen Ring und Keilstraße

Eutritzscher Straße zwischen Wilhelm-Liebknecht-Platz und Roscherstraße stadtauswärts (neben den Stadtwerken)

„Mit mehr und sicherem Rad- und Fußverkehr schaffen wir beides: in Zeiten von Corona gut mobil sein und die Empfehlungen zum Social Distancing befolgen. Zugleich tun wir etwas gegen den Ausstoß von Treibhausgasen, Feinstaub und Stickoxiden“, erklärt Martin Hilbrecht dazu.

Der Ökolöwe kritisiert die Untätigkeit der Leipziger Baubürgermeisterin

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