Was sich die Mitglieder des sächsischen Regierungskabinetts gedacht haben, als sie beschlossen, (erst einmal) nur 70 Prozent der durch die Corona-Einschränkungen verursachten Schäden im ÖPNV auszugleichen, ist auch zwei Wochen nach dem Kabinettsbeschluss nicht klar. Mit den betroffenen Verkehrsunternehmen und Kommunen jedenfalls scheint man nicht gesprochen zu haben. Nun kritisieren auch die im ZVNL versammelten Kommunen diesen seltsamen Kürzungsvorgang.

Auf der jüngsten Verbandsversammlung des Zweckverbandes für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) haben sich Vertreter aller Parteien und Gebietskörperschaften (Stadt Leipzig, Landkreise Leipzig und Nordsachsen) dafür ausgesprochen, einen dringenden Appell an die sächsische Staatsregierung zu richten, die nachweislich durch die Corona-Pandemie bedingten Verluste im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auch tatsächlich vollständig auszugleichen.

Hintergrund der Stellungnahme sind die in Aussicht gestellten Zahlungen in Höhe von lediglich bis zu 70 Prozent der verursachten Schäden. Nach Auffassung der Verbandsräte könne das nur ein erster Abschlag sein, um nach exakter Ermittlung des tatsächlichen Schadens – wie ursprünglich angekündigt – einen hundertprozentigen Ausgleich herbeizuführen.

Der ZVNL-Vorsitzende und nordsächsische Landrat Kai Emanuel hat nunmehr in einem Schreiben an Finanzminister Hartmut Vorjohann und Wirtschaftsminister Martin Dulig noch einmal mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass ohne eine vollständige Erstattung der Mindererlöse die Aufrechterhaltung eines geordneten Geschäftsbetriebs vieler auch mittelständischer Nahverkehrsunternehmen nicht gesichert sei.

„Die Folge wären Leistungsreduzierungen bis hin zur Insolvenz einzelner Unternehmen. Dies kann niemand ernsthaft wollen“, erklärt Emanuel. Die Staatsregierung müsse die Zusage eines vollständigen Schadensausgleichs daher so schnell wie möglich aussprechen.

„Darüber hinaus wären die im Freistaat Sachsen als Folge eines konsequenten Wettbewerbs im Schienenpersonennahverkehr erzielten, im Bundesvergleich durchaus beachtlichen Ausschreibungserfolge gefährdet“, verweist Emanuel zudem auf ein Rechtsrisiko, da die Unternehmen eine Neukalkulation der bestehenden Verkehrsverträge verlangen könnten.

„Damit entstünde die Gefahr langwieriger rechtlicher Auseinandersetzungen, die den Daseinsvorsorgeauftrag im Nahverkehr gefährdeten und das Ziel der Verkehrswende konterkarierten.“

Der Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) plant, organisiert und finanziert den regionalen Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in Westsachsen. Als einer von fünf Aufgabenträgern im Freistaat Sachsen ist er für die Stadt und den Landkreis Leipzig sowie den Landkreis Nordsachsen zuständig.

Auf diesem Gebiet sorgt der ZVNL dafür, dass den Bewohnern und Gästen des Großraums Leipzig ein attraktives und zuverlässiges Angebot an Regionalverbindungen bereitgestellt wird. Der Zweckverband bedient ein Gebiet von ca. 4.000 Quadratkilometern mit ca. 1 Million Einwohnern, 500 km Streckennetz und 108 Haltepunkten. Die jährliche Zugkilometerleistung liegt bei etwa 10,9 Millionen.

Kernstück des ZVNL-Angebots ist das S-Bahn-Netz, das die Großstadt mit der umliegenden Region verbindet und zunehmend an Bedeutung gewinnt, je mehr Menschen aus den Landkreisen auf umweltfreundliche Art zur Arbeit nach Leipzig pendeln. Das Angebot soll – auch nach den Plänen des ZVNL – noch weiter ausgebaut werden. Doch diese Pläne werden um Jahre verschoben, wenn der Verband seine Ausfälle durch die Corona-Einschränkungen nicht vollständig kompensiert bekommt und die aufklaffenden Finanzierungslöcher aus eigener Kraft stopfen soll.

In einem gemeinsamen Brief hatten schon mehrere Leipziger Ratsfraktionen angemahnt, auch die für den Stadtverkehr zuständigen LVB nicht mit nur 70 Prozent Schadensausgleich abzuspeisen. Hier torpediert es genauso die überfälligen Schritte hin zu einer echten Verkehrswende. Stichwort: Nachhaltigkeitsszenario.

Drei Leipziger Ratsfraktionen schreiben einen Brief an die Sächsische Regierung: Bessern Sie den ÖPNV-Rettungsschirm nach!

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Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir

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