In Krisenzeiten zeigt sich meist an vielen Stellen zugleich, was in den vorhergehenden Jahren versäumt und falsch gesteuert wurde. Wer auf der L-IZ aufmerksam mitliest, weiß, wie lange wir schon über den unterfinanzierten ÖPNV in Leipzig schreiben. Unterfinanzierung heißt eben nicht nur, dass ein System knapp gehalten wird. Sie hat auch Folgen. Und die beschäftigen Dr. Sebastian Stoppe jetzt in einer Einwohneranfrage.

Darin stellt er auch fest: „Die Leipziger Verkehrsbetriebe teilen auf Ihrer Website (Stand: 24.08.2022) mit, dass die Angebotseinschränkungen auf den Tramlinien 2, 8, 10 und 14 sowie den Buslinien 60, 65, 74, 76, 80, 89 und 90 (euphemisierend als ‚Ferienfahrplan‘ bezeichnet) auch über den 29. August 2022 bestehen bleiben. Damit verkehren drei Tramlinien weiterhin in der Hauptverkehrszeit lediglich im 20-Minuten-Takt, die Tram 14 und alle Buslinien im 15-Minuten-Takt. Als Grund dafür führt der Sprecher der LVB in einer Online-Meldung der LVZ einerseits einen erhöhten Krankenstand von 13 bis 15 Prozent der Fahrer/-innen an, zum anderen die ‚veränderte Situation auf dem Arbeitsmarkt‘.

So gebe es weniger Menschen, die sich zum Fahrer ausbilden lassen wollen oder dann zum Beginn der Schulungen gar nicht erst erscheinen. Weiterhin wird angegeben, es sei nicht absehbar, wann die Rückkehr zum Normalbetrieb erfolgen kann. Es muss hier jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass ein Fahrer/-innenmangel und Angebotseinschränkungen auch schon vor der Corona-Pandemie vorlagen. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass Covid-19 aller Voraussicht nach eine Krankheit ist, mit der die gesamte Gesellschaft zukünftig leben und umgehen lernen muss (also keinen vorübergehenden Zustand darstellt).“

Nicht nur die Pandemie bringt die LVB in Bedrängnis

Aber die Corona-Pandemie ist ja nur eine von mehreren Krisen, die die Leipziger Verkehrsbetriebe derzeit in Bedrängnis bringen. Sie hat nur gnadenlos offengelegt, dass die LVB keinen Puffer (mehr) haben, um solche Engpässe abzufedern. Den haben sie in den Zeiten, als sie der strikten Sparanweisung durch den Gesellschafter Stadt Leipzig unterworfen wurden, verloren.

Und da auch Bund und Land jahrelang meinten, am ÖPNV kräftig sparen zu können, wurden auch viele Investitionen in die Zukunft unterlassen bzw. „vertagt“ und es hat sich eine Denkweise eingeschlichen, die man mit den Worten beschreiben kann: Wenn die Fahrgastnachfrage noch nicht da ist, wird auch keine neue Linie eingerichtet. Ergebnis: Es entsteht auch keine Fahrgastnachfrage.

Aber das 9-Euro-Ticket hat auch auf Bundesebene aufgezeigt, wohin diese Einsparpolitik geführt hat: Überall in der Bundesrepublik sind die Strukturen am Limit und fehlt es schon am Geld zum Erhalt. Von einem Ausbau kann noch gar kleine Rede sein.

Rolle rückwärts?

Und auch in Leipzig geht die Diskussion ja wieder in die Richtung, die mit dem nachhaltigen Mobilitätskonzept beschlossenen Ausbaupläne „auf den Prüfstand“ zu stellen. Ist ja kein Geld dafür da, während Beschaffungs- und Energiepreise jetzt gerade durch die Decke schießen.

Und damit scheint dann auch das selbstgesteckte Ziel flöten zu gehen, den Anteil des ÖPNV auf 23 Prozent aller Wege der Leipziger zu erhöhen, wie Stoppe feststellt: „Die Stadt Leipzig hat sich in ihrem Integrierten Stadtentwicklungskonzept Leipzig 2030 zum Ziel gesetzt, den Modal Split im Öffentlichen Personennahverkehr auf 23 Prozent zu steigern und explizit formuliert, ‚dass unsere [kommunalen] Unternehmen und Betriebe ihre Kernaufgaben, insbesondere Leistungen der Daseinsvorsorge, auch zukünftig in hoher Qualität zu vertretbaren Preisen anbieten können‘.“

Doch genau das ist jetzt seit Monaten so nicht mehr zu erleben, wenn man auf die Bahnen und Busse der LVB im täglichen Verkehr angewiesen ist.

Das Verkehrs- und Tiefbauamt hat Stoppes Fragen direkt an die LVB weitergeleitet.

Und die haben dann auch sehr persönlich geantwortet und versucht zu erklären, in welcher Klemme sie gerade stecken.

Die Antwort der LVB

Sehr geehrter Herr Dr. Stoppe,

Ihre sehr verständlichen Fragen werden im Zusammenhang beantwortet. Grundsätzlich: Sowohl die LVB selbst als auch die Stadt sind in hohem Maße daran interessiert, die derzeitigen Angebotsreduzierungen so bald als möglich zu beenden und wieder das den Mindeststandards des Nahverkehrsplanes entsprechende Angebot an Fahrten zu gewährleisten.

Allerdings befinden wir uns nach wie vor in einer besonderen Situation, die aber nicht Managementproblem, sondern Coronafolgen und Veränderungen des Arbeitsmarktes heißt.

Hinzu kommen die Herausforderungen aufgrund der aktuell gestiegenen Energiekosten, die zu großen finanziellen Mehrbelastungen für die LVB führen.

Die aktuellen Angebotsanpassungen der LVB sind daher in enger Abstimmung mit der Stadt Leipzig erfolgt, um den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu begegnen. Die weiterhin erhöhten Krankenstände führen bei den LVB nicht nur zu einer geringeren Zahl täglich verfügbaren Fahrpersonals, sondern auch zu mehr kurzfristigen Krankmeldungen. Infolgedessen kommt es trotz operativer Steuerung zu zahlreichen Ausfällen von Fahrten. Um den Kundinnen und Kunden aber eine verlässliche und vor allem planbare Verkehrsleistung anzubieten, sind daher Angebotsanpassungen zur Stabilisierung des Fahrplans notwendig.

Die Entwicklung der Krankenstände steht auch in Wechselwirkung zum angespannten Rekrutierungsumfeld, in welchem sich die gesamte Branche nicht nur in Leipzig bewegt. Die Schwierigkeit, quantitativ wie qualitativ (z.B. vorhandene Fahrerlaubnisse für Personenbeförderung) ausreichend schnell geeignete Bewerberinnen und Bewerber gewinnen zu können, erhöht die Belastung des vorhandenen Personals. Infolgedessen sind auch bei den LVB offene Stellen im Fahrdienst zu verzeichnen.

Um dieser Entwicklung zu begegnen, werden verstärkt Subunternehmer im Schienenersatzverkehr gebunden, der Einsatz von Minijobbern und Freihabenden ausgeweitet und Fahrschulungen entsprechend gesteuert. Diese Instrumente zur Gegensteuerung werden größtmöglich ausgeschöpft und ermöglichen weitestgehend eine Kompensation der offenen Stellen.

Eine Kompensation gestiegener Krankenstände durch zusätzliche Einstellungen ist vor diesem Hintergrund jedoch nicht möglich und würde gleichzeitig zu erheblichen Mehrkosten und damit Finanzierungsbedarf führen. Entsprechend werden stattdessen durch die LVB intensiv Maßnahmen zur Reduzierung der Krankenstände diskutiert und umgesetzt.

Wie wird ÖPNV überhaupt denkbar?

Eine sichtlich etwas pikierte Antwort, die wohl auch deshalb so pikiert ausfiel, weil Stoppe „Managementprobleme“ hinter den Angebotsproblemen vermutete.

Das Ergebnis ist: Seine Fragen wurden nur zu einem ganz kleinen Teil beantwortet. Die eigentlichen Fragen wurden nicht einmal angesprochen. Die bleiben deshalb auch unbeantwortet so stehen. Da geht es nämlich nicht nur um Krankenstände, sondern darum, wie ein wirklich verlässlicher Nahverkehr in Leipzig gesichert und finanziert werden kann.

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