Vor einigen Leipziger Grundschulen bricht jeden Morgen das Chaos aus. Nicht wegen der Kinder, die zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule kommen, sondern wegen der Eltern, die ihre Kinder unbedingt mit dem Auto zur Schule bringen müssen, den sogenannten „Elterntaxis“.
Mit verschiedenen Maßnahmen hat die Stadt dieses Problem vor mehreren Leipziger Grundschulen schon versucht, in den Griff zu bekommen. Was Leipzig noch nicht ausprobiert hat, sind Schulstraßen. Im März schon stellte die SPD-Fraktion im Stadtrat einen Antrag, solche Schulstraßen in Leipzig als Pilotprojekt einzurichten.
„Sogenannte ‚Schulstraßen‘ werden aktuell durch einige deutsche Kommunen als Instrument zur Entschärfung des Bring- und Holverkehrs im Sinne der Schulwegsicherheit und zur Förderung des aktiven Schulwegs erprobt“, beschrieb die SPD-Fraktion das Anliegen in ihrem Antrag, den sie im März eingereicht hat.
„Als Schulstraßen werden im derzeitigen Sprachgebrauch Straßenabschnitte im unmittelbaren Einzugsbereich von Zugängen zu Schulen bezeichnet, die zeitlich beschränkt vor Schulbeginn für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt werden. Die Sperrungen können auch bei Schulschluss erfolgen. Ziel ist die Förderung der selbstständigen und sicheren Teilnahme von Kindern am Straßenverkehr auf ihrem Schulweg.
Die Stadt Wien hat das Konzept Schulstraße bereits in Piloten erprobt und evaluiert und richtet seitdem Schritt für Schritt weitere Schulstraßen ein. In Frankfurt am Main wird derzeit eine Schulstraße in einem Verkehrsversuch erprobt. München hat aktuell die rechtlichen und praktischen Voraussetzungen geprüft, unter denen erste Schulstraßen erprobt werden können.“
Erst einmal nur mit Beschilderung möglich
Ein Anliegen, das auch in der Verwaltung auf Zustimmung stieß. Das Mobilitäts- und Tiefbauamt (MTA) schrieb denn auch einen Verwaltungsstandpunkt, der sogar gleich drei Vorschläge machte, wo Pilotprojekte für solche Schulstraßen eingerichtet werden könnten.
„Die AG Schulwegsicherheit beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahren mit den Möglichkeiten, zur Verbesserung der Verkehrssituation vor Schulen dort in den Morgenstunden ‚Schulstraßen‘ einzurichten. 2023 wurden bei Ortsterminen bereits 10 Schulstandorte dazu betrachtet. Da die Einrichtung einer Schulstraße (und somit die zeitweise Sperrung einer Straße) einen großen Eingriff in das Recht der Nutzung von öffentlichen Straßen darstellt, ist vor einer solchen Anordnung zu prüfen, ob andere, mildere Mittel den gleichen Zweck (hier: Verbesserung der verkehrlichen Situation und der Verkehrssicherheit) erfüllen“, schrieb das MTA.
Die Vorschläge: „Im Ergebnis dieser Prüfung werden die Standorte Am Auensee (Opferweg) und Alfred-Kästner-Schule (Gartenwinkel) in Lindenthal für die Einrichtung einer Schulstraße als Pilotversuch (in Form eines Verkehrsversuchs mit einer Laufzeit 1 Schuljahr), um die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme zu testen, vorgeschlagen.“

Die Einschränkung: „Die Umsetzung als Verkehrsversuch ist jedoch nur in Form einer Beschilderung möglich. Weitere Maßnahmen können aufgrund fehlender finanzieller und personeller Ressourcen weder durch das MTA noch die AG Schulwegsicherheit umgesetzt werden.
Insbesondere Baken o.ä., die an jedem Schultag morgens und nachmittags stundenweise zur Sperrung auf die Straße geschoben werden müssten, sind aufgrund der fehlenden finanziellen Haushaltsmittel, nicht realisierbar. Die Einhaltung der Sperrung könnte nur durch die Polizei geprüft werden, deren Einsatz nicht von der Stadt zu bestimmen ist.“
Auch Schulstraßen brauchen Wohlwollen der Eltern
Eigentlich alles drin, was sich die SPD-Fraktion gewünscht hatte, weshalb die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Ute Köhler-Siegel denn auch gleich den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung stellte.
Aber auch ihren Ärger darüber deutlich machte, dass die CDU-Fraktion praktisch noch kurz vor der Ratsversammlung am 26. November einen fünfpunktigen Änderungsantrag eingebracht hatte, der irgendwie alles zusammengemixt hatte – den Verwaltungsstandpunkt, eine eigene Idee und einen Änderungsantrag der Linksfraktion.
Die Linksfraktion hatte durchaus berechtigt angemerkt: „Wie im Verwaltungsstandpunkt beschrieben, sind die ersten Verkehrsversuche nur in Form einer Beschilderung möglich. Die Wirkung dieser Maßnahme zur Schulwegsicherheit ist damit stark verbunden mit der lokalen Akzeptanz vor Ort. Ein gemeinschaftlicher Konsens und eine lösungsorientierte Herangehensweise der Eltern und Lehrkräfte im Zusammenspiel mit den Anwohnenden ist daher notwendig. Die zeitweise Sperrung muss im praktischen Alltag durch alle Verkehrsteilnehmer anerkannt und befolgt werden. Die Verkehrsüberwachung durch die Polizei ist natürlich im Einzelfall zu prüfen, jedoch sollte diese nicht die Grundvoraussetzung für einen Erfolg der Maßnahme darstellen.“

Ohne Eltern geht es nicht. Das betonte auch Linke-Stadträtin Franziska Riekewald. Wenn die bei so einem Projekt nicht mitgenommen werden, gibt es doch wieder nur Streit zwischen Eltern und Schule, Eltern und Stadt, innerhalb der Eltern. Und gleichzeitig könnten die Eltern ja auch mitreden und wüsche äußern zu weiteren Schulstraßen-Projekten in Leipzig. Also formulierte die Linksfraktion ihr Anliegen:
„Zur Auswahl und Prüfung weiterer Standorte für Schulstraßen können Schulen durch einen geeigneten Beschluss von Eltern, Lehrkräften sowie Schülern und Schülerinnen (z. B. über eine Schulkonferenz) eine Interessensbekundung initiieren. Diese Standorte werden von der Verwaltung bzw. der AG Schulwegsicherheit prioritär behandelt, um zu prüfen, ob das Instrument Schulstraße unmittelbar zum Einsatz kommen kann.“
Aber bitte auch Kiss & Go.
Das übernahm die CDU-Fraktion dann auch in ihren Antrag, der dann tatsächlich zur Abstimmung kam. Aber eben punktweise. Nicht jeder Punkt konnte auf eine Stadtratsmehrheit hoffen.
Das ging schon beim erste Antragspunkt los. Dessen erster Teil fand ohne Probleme Zustimmung, weil er im Grunde den Verwaltungsvorschlag aufgriff: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die Anordnung jeweils einer Schulstraße im Rahmen eines Verkehrsversuchs an den Standorten Am Auensee (Opferweg) und Alfred-Kästner-Schule (Gartenwinkel) in Lindenthal zu prüfen und bei positiver Prüfung umzusetzen.“
Den zweiten Teil fand aber auch Ute Köhler-Siegel sinnfrei. Warum sollte ein Pilotprojekt derart zeitlich eingeschränkt werden? „Der Verkehrsversuch soll eine Laufzeit von max. einem Schuljahr haben und zum Schuljahresende enden. Danach soll der Versuch mit Schule und Polizei gemeinsam ausgewertet werden und die Auswertung den Gremien vorgestellt werden. Der Verkehrsversuch wird nicht baulich durchgeführt, sondern soll nur mit mobiler Beschilderung und Erklärung vor Ort erfolgen.“
Eine Einschränkung, die am 26. November in der Ratsversammlung keine Mehrheit fand. Genauso wie der fünfte Punkt aus dem CDU-Antrag: „In der Evaluation der Verkehrsversuche erfolgt ebenfalls eine schriftliche Befragung der Schulen und Eltern.“ Auch das eine unnötige Einschränkung, wie Ute Köhler-Siegel fand. Warum sollten die Elternvertreter der Schule keine eigene Form finden, den Pilotversuch auszuwerten?
Kein Problem war der zweite Punkt: „Der Stadtrat nimmt zur Kenntnis, dass die Prüfung einer Schulstraße im Bereich Sebastian-Bach-Straße (Forum Thomanum) bereits veranlasst ist.“ Hier könnten also die nächsten Schulstraßen-Pilotprojekte entstehen.
Punkt 3 war dann der übernommene Änderungsantrag der Linksfraktion: „Zur Auswahl und Prüfung weiterer Standorte für Schulstraßen können Schulen durch einen geeigneten Beschluss von Eltern, Lehrkräften sowie Schülern und Schülerinnen (z. B. über eine Schulkonferenz) eine Interessensbekundung initiieren. Diese Standorte werden von der Verwaltung bzw. der AG Schulwegsicherheit prioritär behandelt, um zu prüfen, ob das Instrument Schulstraße unmittelbar zum Einsatz kommen kann.“
Und der eigentliche Punkt, den die CDU-Fraktion tatsächlich mit unterbringen wollte, war Punkt 4: „Die Verwaltung wird darüber hinaus beauftragt zu prüfen, ob an geeigneten Standorten eine Einbahnstraßenregelung in Verbindung mit einer ‚Kiss & Go‘-Zone als alternative oder ergänzende Maßnahme zur Schulstraße eingerichtet werden kann. Dabei sind insbesondere die verkehrsrechtliche Zulässigkeit, die Auswirkungen auf Sicherheit und Verkehrsfluss sowie mögliche Verlagerungseffekte zu berücksichtigen.“
Eigentlich auch überflüssig, wie Ute Köhler-Siegel feststellte. Denn genau das macht die Stadt schon. Es ist immer wieder Thema in der AG Schulwegsicherheit. Nicht vor jeder Schule lässt sich eine Schulstraße einrichten, wie auch Schulbürgermeisterin Vicki Felthaus sagte. Die Stadt prüft dort also andere Möglichkeiten, die Schulwegsicherheit der Kinder zu erhöhen. Von Tempo 30 bis zu extra eingerichteten Kiss & Go-Zonen.
Warum die CDU-Fraktion so eine Variante lieber mag, machte dann CDU-Stadtrat André Möllmer deutlich, der wieder das Uralt-Argument vorbrachte, es könnte zu Verdrängungseffekten des Elternverkehrs in die Nebenstraßen kommen, wenn sie nicht mehr direkt vor die Schule fahren können. Ein durch nichts belegtes Argument. Aber in der Leipziger Verkehrsdebatte taucht es immer wieder auf.
Aber die zentralen Punkte bekamen dennoch die nötige Mehrheit, sodass die Stadt nun die ersten drei Pilotversuche für Schulstraßen einrichten kann, zwei weitere prüfen kann und – wo es den Platz dafür gibt – auch die von der CDU so geliebten Kiss & Go-Zonen prüft, wenn andere Varianten zur Verkehrsberuhigung vor Grundschulen nicht möglich sind.
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