LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 85, seit 20. November im HandelManchmal wiederholt sich Geschichte: Als vor 110 Jahren Leipzig auf 600.000 Einwohner wuchs und das Trinkwasser knapp wurde, war die Errichtung des 30 Kilometer entfernten Wasserwerks Canitz die bahnbrechende Lösung. Als die Nitratbelastung im Grundwasser Anfang der 1990er zum Problem wurde, war die Umstellung auf Ökolandbau im Wassergut die neuartige Lösung.

Heute drohen Deutschland Millionenstrafen wegen der erneut zu hohen Nitratauswaschung und großflächigen Belastung des Grundwassers. Ein Interview mit Bernhard Wagner, Geschäftsführer des Wassergutes Canitz.

Herr Wagner, moderne Landwirtschaft zieht einige Umweltprobleme nach sich. Pestizide verbreiten sich nachweislich in der Luft bis auf den Brocken. Welche betreffen die Wasserwerke?

Klassische Herausforderungen wären hier der zu hohe Nitrat-, Pflanzenschutzmittel-, Tiermedikamenteneintrag etc. in das Grundwasser.

Welche davon sehen Sie in Bezug auf das Wassergut Canitz gelöst?

Durch die Bewirtschaftung der brunnennahen Flächen durch das Wassergut Canitz verhindern wir den Eintrag von Pflanzenschutzmitteln und Tiermedikamenten. Der Nitrateintrag wird durch den wasserschutzgerechten ökologischen Landbau auf ein Minimum reduziert. Hierzu laufen seit einigen Jahren diverse Forschungsprojekte begleitend. Aus diesen wird deutlich, dass wir selbst in sehr trockenen Jahren wie 2018, 2019 und 2020 mit der Bewirtschaftung den Ansprüchen an den Trinkwasserschutz gerecht werden.

Wie hat sich die Nitratbelastung im Gebiet der Wasserwerke Canitz und Thallwitz seit 1990 entwickelt?

Seit über 25 Jahren betreiben wir in den Wassereinzugsgebieten streng ökologische Landwirtschaft unter dem Primat des Trinkwasserschutzes. Und dies mit Erfolg: Die Grenzwerte für Nitrat von 50 Milligramm pro Liter unterbieten wir seit Jahren um die Hälfte. Zu Beginn der 1990er Jahre sind wir im mittleren Jahresmittel mit etwa 40 Milligramm pro Liter gestartet. Heute liegt dieser Wert stabil unter 25 Milligramm.

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 85, Ausgabe November 2020. Foto: Screen LZ

Welche Alternativen gab es 1994 zur Gründung des Wassergutes Canitz? Und warum setzte sich die Idee des Ökolandbaus an der Stelle durch?

In Bezug auf den vorbeugenden Trinkwasserschutz gab es aus heutiger Sicht keine echte Alternative. Betrachtet man die Ergebnisse der Nährstoffüberschüsse aus dem konventionellen Landbau in den Trinkwasserschutzgebieten, kommen wir zu der Erkenntnis, dass das Canitzer Modell die strategisch richtige Entscheidung war.

Inzwischen sind weitere vier Betriebe unserem Vorbild des ökologischen Landbaus gefolgt. Folglich werden aktuell etwa zwölf Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in den Trinkwasserschutzgebieten der Leipziger Wasserwerke ökologisch bewirtschaftet.

Ist das aus heutiger Sicht also immer noch eine gute Entscheidung gewesen?

Ja – absolut richtig!

Wie groß ist der Aufwand in den restlichen Trinkwassereinzugsgebieten Leipzigs, um den Nitratgrenzwert einzuhalten?

Fakt ist, dass wir uns in einigen unserer Schutzgebiete hinsichtlich der Nitratrichtlinie weiter verbessern wollen. Dort arbeiten wir sehr eng und konstruktiv mit den Flächenbewirtschaftern zusammen und beraten diese mit dem Ziel, die grundwasserschonenden Bewirtschaftungssysteme weiterzuentwickeln und das mit tragfähigen, ökonomischen Betriebskonzepten.

Gibt es ähnliche Belastungen, die die Trinkwasseraufbereitung in Leipzig erschweren?

Zum gegenwärtigen Stand sind wir in der glücklichen Lage, dass wir kein Trinkwasser aufbereiten müssen.

Würden Sie sauberes Trinkwasser bei uns als seltenes Gut ansehen? Wie sollten wir es schützen?

Trinkwasser ist ein, wenn nicht DAS wichtigste Gut heute und in Zukunft. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen klimatischen Veränderungen. Schützen kann es nur unsere Gesellschaft gemeinsam. Durch Aufklärung aller Beteiligten. Bis hin zur Nachfrage und zum Erwerb von Produkten, die in den Wasserschutzgebieten ökologisch und nachhaltig erzeugt werden. Denn nur so kann auch der Wasserkunde langfristig einen aktiven Beitrag zum Trinkwasserschutz leisten.

Welche Bedeutung kommt der Ökologischen Landwirtschaft dabei zu?

Eine der höchsten. Ökolandbau ist gelebter Trinkwasserschutz, Artenschutz und Ressourcenschutz.

Wünschen Sie sich mehr ökologischen Landbau? Gibt es seitens der Wasserwerke derartige Überlegungen? Oder wie viele Wassergüter wie Canitz könnte Leipzig gebrauchen?

Es ist ein wesentliches strategisches Ziel der Leipziger Wasserwerke und des Wassergut Canitz, den Anteil des Ökolandbaus signifikant zu steigern. Aber nicht zwingend durch Kauf und Pacht landwirtschaftlicher Flächen in den Wasserschutzgebieten. Vielmehr wollen wir die bestehenden landwirtschaftlichen Flächenbewirtschafter mit unserem Wissen und unseren Erfahrungen begleiten und auch unterstützen, auf den wasserschutzgerechten ökologischen Landbau umzustellen.

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Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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