Ruckzuck ging das, da steckte Deutschland nach dem Kriegsbeginn Russlands gegen die Ukraine in einer veritablen Energieklemme. 16 Jahre des Stillstands bei der deutschen Energiewende zwangen auf einmal zu Überlegungen, die im Angesicht der Klimakrise geradezu absurd erscheinen. Auf einmal sind neue Flüssiggas-Terminals genauso selbstverständlich wie das Nachdenken über eine Verlängerung der Laufzeit von Kohle- und Atomkraftwerken.

Als hätte es Paris 2015 nicht gegeben, wird in einigen Medien fleißig über ein Rollback diskutiert, tun Kommentatoren in großen deutschen Medien so, als könnte man jetzt all die Kraftwerke wieder hochfahren und weiter nutzen, die im Angesicht der massiven Erwärmung der Erdatmosphäre schleunigst vom Netz müssen.

Und solche Rufe nach dem Weiterso gibt es auch in Leipzig, stellen die Grünen im Leipziger Stadtrat fest: „Im Zuge der vom russischen Angriffskrieg befeuerten Energiekrise werden immer wieder Rufe nach einem Festhalten an Braunkohleenergie laut. Prominent vertreten dabei ist beispielsweise der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, der immer wieder an der – nur vermeintlich günstigen – Kohleenergie festhalten will. Auch hört man Stimmen, die das Kraftwerk Lippendorf als ‚Glücksfall‘ bezeichnen.“

Denn bis heute hängt Leipzig mit seiner Fernwärmeversorgung am Kohlekraftwerk Lippendorf. Das Heizkraftwerk Süd, das diese Fernversorgung ablösen soll, soll im Sommer 2022 erstmals hochgefahren werden. Es kann sowohl mit Erdgas als auch – ein Novum für Deutschland – mit Wasserstoff betrieben werden.

Doch grüner Wasserstoff in ausreichender Menge wird wohl erst in den 2030er Jahren zur Verfügung stehen. Bis dahin muss das Kraftwerk mit Erdgas betrieben werden – doch dessen Handelspreis steigt seit Monaten immer weiter an. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat diese Entwicklung nur noch verschärft.

Tatsächlich hat der Leipziger Stadtrat den Ausstieg aus der Braunkohleversorgung aus Lippendorf bis Ende 2023 beschlossen – mit der Option auf Verlängerung um zwei Jahre bis 2025. Diese Option wurde bereits Anfang 2021 gezogen, wie damals aus einer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen hervorging.

Ohne eine Rücksprache mit dem Stadtrat oder Information der Öffentlichkeit, betonen die Grünen. Mit dem Krieg in der Ukraine sehen aus ihrer Sicht offensichtlich einige die Chance gekommen, die Beschlüsse zur Energiewende rückgängig zu machen.

„Wir dürfen die von Putin ausgelöste Energiekrise nicht gegen die Klimakrise ausspielen. Es muss klar sein, dass wir am Ausstieg aus der Fernwärmelieferung aus Lippendorf festhalten“, sagt Jürgen Kasek, klima- und energiepolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion.

„Die Unabhängigkeit von Russland und der Weg in die Klimaneutralität führen über die Erneuerbaren Energien. Es erscheint geradezu abwegig, wenn einige nun das nahe gelegene Kraftwerk Lippendorf als einen ‚Glücksfall‘ bezeichnen. Denn nur weil die Stadtwerke zu spät in Erneuerbare Energien oder die Nutzung industrieller Abwärme investiert haben, sind wir überhaupt noch von diesen fossilen Energie-Lieferungen abhängig.“

Städte, die Erneuerbare Energien schon früher im Portfolio hatten, kämen deutlich günstiger durch die Energiekrise, stellen die Grünen fest. Denn auch die Preise der Braunkohleenergie werden langfristig weiter steigen, allein schon durch die höhere CO₂-Abgabe.

Auch die Schadstoffe, die das Kraftwerk Lippendorf ausstößt – etwa eine halbe Tonne Quecksilber pro Jahr – verlangen aus Sicht der Grünen einen dringenden Ausstieg aus diesem umwelt- und klimaschädlichen Energieträger. Das Kraftwerk Lippendorf gehört zu den zehn größten CO₂-Emittenten Europas.

„Kohle gehört nicht zu den Lösungen der Zukunft, sondern ist hauptverantwortlich für die Klimakatastrophe, die längst begonnen hat!“, sagt Kasek.

„Wir haben auf Grüne Initiative kürzlich den kommunalen Wärmeplan beschlossen. Was schon vor dem Ukrainekrieg richtig war, ist es nun umso mehr. Putins Angriffskrieg gibt nur noch mehr Argumente für eine unabhängige und klimaneutrale Energie- und Wärmeversorgung bis möglichst 2035.“

2035 ist das Jahr, in dem die mitteldeutschen Kohlekraftwerke endgültig vom Netz gehen sollen. Leipzig selbst will die Klimaneutralität schon bis 2030 schaffen.

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Es gibt 5 Kommentare

Ob man nun ein persönlicher Freund eines Kraftwerkes ist, ob das nun irgendetwas bildhaft schleudert oder nicht: Die Fernwärme versorgt nicht nur ein paar “Plattenbutzen”, was an sich schon kein Argument wäre, sondern natürlich auch viele Altbauten in verschiedenen Stadtteilen. Wenn diese Fernwärme ausfällt, habe ich hier noch einen 2,3 kW Heizlüfter, mit dem ich mir im Winter behelfen kann. Wenn das noch ein einige tausend andere Wohnungen machen, haben wir nicht nur eine grenzwertige Belastung so mancher elektrischen Anlage, sondern bekommen auch auf der Erzeugerseite das Problem, dass noch mehr elektrische Energie gebraucht (und wahrscheinlich nicht regenerativ erzeugt) wird.

Ich finde es gut, wenn wir die Heimat nicht für Strom wegbaggern müssen, insofern ist doch der Braunkohleverstromungsausstieg eine gute Sache. Aber selbstverständlich IST Lippendorf für Leipzig ein Glücksfall in diesen Zeiten, wo die Gasversorgungssicherheit unklar ist. Und wer mit Dreck, Verpestung, und solcherlei markigen Kampfbegriffen um sich schleudert, dem sind eventuell die Bilder aus Zonenzeiten etwas abhanden gekommen, in denen sich der Dreck der Braunkohlekraftwerke, und ihrer benachbarten -verarbeitungsbetriebe wirklich deutlich niedergeschlagen hat.

@Rudi Bauer In Ihrem letzten Satz schreiben Sie genau daß was im Rathaus von Leipzig ignoriert wird. Da kamen solche Äußerungen wie: Das Gas ist bereits gekauft und zu welchem Einkaufspreis und woher, ist Sache des Gasliferanten. Wie naiv ist man da im Rathaus? Ich kann da echt nur mit dem Kopf schütteln. Dümmer geht wohl immer.

@André
Es ist ein von den Freunden der Lippendorfer CO2-Schleuder gern erzähltes Märchen, dass die Wärmeleistung für die Fernwärmeversorgung quasi als überschüssige Prozesswärme „eh anfällt“, so wie beim Pkw ein Anteil ohnehin erwärmten Kühlmittels über einen Bypass im Kühlkreislauf für die Innenraumheizung verwendet wird. Die tschechischen Eigner, ihre hiesigen LEAG-Lohnknechte und die mit ihnen verbandelten Politiker widersprechen dem in der Regel nicht. Die Realität sieht aber anders aus: laut LEAG-Information über das technische Layout des Kraftwerk Lippendorf wird die für die Fernwärmeversorgung benötigte Wärme aus dem Prozess ausgekoppelt und VOR der eigentlichen Stromerzeugung für diesen Zweck verwertet. Hinter der letzten Turbine des Turbinensatzes noch vorhandener Dampf und verbliebenes Warmwasser landen im Kühlturm und eben nicht in der Fernwärme (kann gerne ergoogelt werden). Der Wirkungsgrad des Kraftwerkes steigt dadurch sogar etwas, weil die thermische Verwertung der Braunkohle für die Fernwärmeerzeugung effizienter ist als für die Stromerzeugung. Wieviel davon nach etlichen Kilometern Trasse durch die liebliche Leipziger Tieflandsbucht noch in der Leipziger Plattenbutze ankommt ist eine andere Geschichte.
Da die Verbrennung fossilen Erdgases sauberer vonstatten geht als die Verbrennung von Braunkohle, ist das neue Leipziger Kraftwerk vorzuziehen. Vorausgesetzt, Herkunft und Preis des Gases sind vertretbar und bezahlbar.

So lange Lippendorf noch am Netz ist und Strom und zwangsläufig auch Wärme produziert ist es in meinen Augen völlig sinnfrei ein zweites fossiles Kraftwerk in Betrieb zu nehmen, um Wärme zu produzieren, die in dem anderen Kraftwerk eh anfällt.
Man erhöht den Verbrauch fossiler Rohstoffe und vergeudet gleichzeitg ein Haufen Energie, macht ökologisch wohl eher wenig Sinn und ökonomisch wohl auch eher nicht.

Und da rede ich noch nicht mal von Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Rohstofflieferungen feindlicher Mächte, um deren illegalen Vernichtungskrieg zu finanzieren…

Ganz ehrlich, was ist mit den Grünen los? Sind die so ideologisch verblendet, daß Geld keine Rolle spielt? Im Artikel wird suggeriert, daß es egal ist mit was das neue Gaskraftwerk betrieben wird. Es war schon in der Presse zu lesen, daß für den Einsatz von Wasserstoff weiter Investitionen, von mehreren Millionen Euros, nötig sind. Was der Wasserstoff kosten wird, steht in den Sternen, aber günstig wird das nicht.
Und ja, ich finde es auch als Glücksfall, daß das Kohlekraftwerk in Lippendorf steht und Leipzig mit Fernwärme versorgt.
Ich halte es für äußerst bedenklich, wenn ganz Deutschland Gas sparen will, aber Leipzig mal eben ein Gaskraftwerk in Betrieb nehmen will.

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