Die meisten Menschen wissen, dass unser Klima aus den Fugen ist. Und dass all die Nachrichten von Waldbränden, Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen längst Zeichen der Klimaerhitzung sind, Katastrophen, die in Zukunft noch viel häufiger und heftiger werden. Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek kann sehr mahnend klingen, wenn er diese Zeichen einer sich radikal verwandelnden Welt beschreibt. Auf die auch Leipzig dringend reagieren muss. Aber das vorgelegte Energie- und Klimaschutzprogramm (EKSP) reicht dazu nicht ansatzweise.

Das war der Tenor einer Presserunde, zu der die Grünen-Fraktion im Stadtrat am Montag, 11. Juli, eingeladen hatte. Auch als Einstimmung auf die Klimapolitische Stunde des Stadtrates am Donnerstag, 14. Juli, 16 Uhr, die wohl eher zwei kompakte Stunden werden. Und zwar sehr erhitzte.

Denn Klimaschutzprogramme hat Leipzig schon länger. Das letzte lief von 2014 bis 2020 – und verfehlte seine Ziele völlig. Denn es hat zwar eine CO₂-Senkung als Ziel gesetzt. Aber es fehlten konkrete Maßnahmen, wie das Ziel erreicht werden könnte.

Am 22. Juni stellte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal nun zwar das neue Energie- und Klimaschutzprogramm der Stadt vor, das die Klimaneutralität für Leipzig bis 2040 vorsieht. Und es stehen auch erstmals 83 konkretere Maßnahmen drin. Aber die reichen nach Einschätzung von Tobias Peter, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, nicht annähernd, um das verkündete Ziel zu erreichen.

Es ist längst 5 nach 12 – und es trifft zuerst die Armen

Das nun vorgelegte Papier der Stadtverwaltung hat die Erwartungen nicht erfüllt. So will sich die Stadt nur zur Einhaltung von 1,75° C Erderwärmung verpflichten. Wir fordern, dass Leipzig seinen Beitrag leistet, um das 1,5°C-Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten“, kritisiert Tobias Peter.

„Der Ansatz, ein Restbudget vorzuhalten und die Kombination mit einem Umsetzungsprogramm, das an den Haushalt angebunden ist, ist zwar gut, aber nicht ausreichend. Hier muss nachgearbeitet werden, zumal eine Reihe von Maßnahmen nicht mit Zahlen unterlegt ist.“

Es ist längst 5 nach 12, sagt Peter. Auch Leipzig hat die wertvollsten Jahre verstreichen lassen, um einerseits die Klimaneutralität herzustellen und die CO₂-Emissionen drastisch zu senken, und andererseits die Stadt an die steigenden Temperaturen anzupassen.

Es werden gerade die Ärmsten sein, die unter den Klimaveränderungen als Erste leiden werden. Sie leben meist in den heißen, stickigen und nicht isolierten Wohnungen. Sie leiden jetzt schon unter drastisch steigenden Energiepreisen. Und können sich auch keine Klimaanlage leisten.

Und da ist noch gar nicht absehbar, wohin all die Brände und Dürren führen, wenn sie in einem Land nach dem anderen Ernteausfälle mit sich bringen – und damit drastisch steigende Preise für Lebensmittel.

Jürgen Kasek am 11. Juli 2022 bei der Pressekonferenz der Grünen-Fraktion. Foto: Michael Freitag
Jürgen Kasek am 11. Juli 2022 bei der Pressekonferenz der Grünen-Fraktion. Foto: Michael Freitag

Da musste Kasek schon innehalten, denn natürlich schockiert die tägliche Berichterstattung und macht hilflos, gerade dann, wenn die Betroffenen gar nicht das Geld haben, um in irgendeiner Weise zu reagieren. Ihnen helfen auch die ganzen Appelle zum Wasser- und Gassparen nichts. Denn sie leben in der Regel schon sparsam wie die Mäuse.

Kaputte Kommunikation

Doch wenn es um Klimaschutzprogramme geht, redet niemand mit ihnen. Was sowieso ein zentraler Kritikpunkt der Grünen am neuen Energie- und Klimaschutzprogramm ist: die fehlende Beteiligung der Leipziger/-innen an der Erarbeitung. Auch wenn sie stolz feststellen, dass einige ihrer Stadtratsanträge aufgegriffen wurden. Im Stadtrat zuvor teilweise abgelehnt und zerredet. Nun aber begreift augenscheinlich auch die Verwaltung, dass die Grünen selbst mit diesen kleinen Anträgen recht hatten. Dass längst viel mehr hätte passieren müssen – von Solardächern bis zum Förderprogramm für Balkonsolaranlagen.

Wobei es auch Sophia Kraft, Energieexpertin und jetzt für die Grünen-Fraktion beratend tätig, nicht wirklich begreift, warum die Umsetzung elementarer Stadtratsbeschlüsse durch die Verwaltung so lange dauert, viele über Jahre vertrödelt werden, ohne dass zu erfahren ist, woran es liegt. Ob da jemand einfach nicht will oder auch nicht begreift, wie brisant die Situation schon ist. Und von der aktuellen Debatte um den „Glücksfall“, dass Leipzig noch am Kohlekraftwerk Lippendorf hängt, hält sie gar nichts.

Gerade das wird nämlich für die Leipziger erst richtig teuer, denn die CO₂-Preise steigen schon deutlich. Bei Kohlestrom und Kohlefernwärme gehen sie jetzt durch die Decke.

Sophia Kraft, Ex-Stadträtin der Grünen und Aufsichtsrätin der SWL. Foto: Michael Freitag
Sophia Kraft, Ex-Stadträtin der Grünen und Aufsichtsrätin der SWL. Foto: Michael Freitag

Panisch werden die Bürger vor allem deshalb, weil niemand sie fragt, niemand sie einbindet und der Umbau der Stadt nicht ihr Projekt ist. Kommunikation mangelhaft, so kann man es zusammenfassen.

In zehn Jahren ist auch Leipzig eine andere Stadt

Und das, obwohl auch Leipzig nur noch fünf bis zehn Jahre Zeit hat. Wie Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek betont: In fünf bis zehn Jahren leben auch die Leipziger in einer anderen Welt. Und die Stadt ist nicht darauf vorbereitet.

„Die Lösung muss sich an der Größe des Problems orientieren“, sagt Jürgen Kasek, der klimaschutzpolitischer Sprecher der Fraktion ist.

„Wir werden wahrscheinlich nächste Woche einen neuen Hitzerekord erreichen. Von Jahr zu Jahr erreichen wir neue Rekorde mit steigender Wahrscheinlichkeit, vor diesem Hintergrund haben wir eigentlich keine Zeit mehr für klein-klein. Es ist zwar gut, dass die Stadt im Programm ein Monitoring vorsieht, allerdings ist ebenso nicht ersichtlich, was die Konsequenzen sind, wenn Zielmarken nicht erreicht werden. Auch bislang gibt es ein deutliches Vollzugsdefizit bei einer Reihe von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen, bei dem nicht ersichtlich ist, wie das zeitnah abgebaut werden kann. Klimaschutz und auch Klimawandelanpassung muss die höchste Priorität bekommen – davon hängt auch unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder ab.“

Wie geht unabhängige Energieversorgung für Leipzig?

Am Montag war dann vor allem Thema, wie Leipzig es schaffen soll, bei der Energieversorgung unabhängiger zu werden. Ein Ausbauziel von 400 MW bei alternativen Energien ist aus Sicht der Grünen überhaupt nicht ehrgeizig. „Warum steht da nicht 800 MW?“, fragt Peter.

Warum stehen nicht die über 1.700 Hektar Stadtfläche drin, auf denen potenziell alternative Energieanlagen gebaut werden könnten, um Leipzig beim Strom nicht nur zu 15 oder 50 Prozent zu versorgen, sondern bis 2030 zu 80 Prozent (wie es der Bund vorsieht) oder mehr?

Denn wenn Leipzig auf eigenem Stadtgebiet zeigt, was geht, wäre das auch ein starkes Signal an die umliegenden Landkreise. Denn dort müsste natürlich der „Rest“ installiert werden – Windkraft- und Solaranlagen. Je mehr, um so besser, über den direkten Verbrauch hinaus muss auch noch Strom vorhanden sein, mit dem dann Wasserstoff produziert werden kann.

Die Drohungen Russlands, Deutschland das Erdgas abzudrehen, bringen die Wasserstofferzeugung mit aller Wucht auf die Tagesordnung.

Auch Leipzig braucht eine Vision der klimaneutralen Stadt

Deswegen sei Angstmachen auch nicht wirklich die richtige Kommunikationsstrategie, wie Dr. Heike Wex, Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung und Sprecherin von Scientists for Future Leipzig, betont.

Die Grünen hatten sie extra mit zum Pressetermin eingeladen, um auch die Stimme der Wissenschaftler/-innen hörbar zu machen, die sich mit guten Argumenten seit Jahren auch in Leipzig in die Klimadiskussion einbringen.

Dr. Heike Wex vom Leibnitz-Institut und Scientists for Future am 11. Juli 2022. Foto: Michael Freitag
Dr. Heike Wex vom Leibnitz-Institut und Scientists for Future am 11. Juli 2022. Foto: Michael Freitag

Und es gäbe genug Ansätze, um eine Stadt wie Leipzig auf den Weg zu bringen, so Wex. Auch wenn es oft Bundes- und Landesgesetze sind, die den sehr engen Rahmen vorgeben. Aber gehandelt werden muss auf allen Ebenen.

Und das Wichtigste, das fast alle politischen Ebenen vergessen, sei nun einmal die Einbindung und Beteiligung der Bürger. „Das Ganze braucht unbedingt eine soziale Komponente.“

Und so ist es ein zentraler Kritikpunkt der Grünen-Fraktion an der Leipziger Klimapolitik, dass es an einem umfassenden Kommunikationskonzept und an der Einbindung der Bevölkerung und der Klimagruppen fehlt. Diese umfassende und notwendige öffentliche Mitwirkung sei aber Voraussetzung für den Erfolg der Maßnahmen.

Leipzig braucht eine Task Force „Energiewende“

Und weil auch das neue Klimaschutzprogramm keine Instrumente zu Gegensteuern enthält, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht funktionieren oder nicht umgesetzt werden, fordern die Grünen dringend eine Task Force „Energiewende“ zur Beschleunigung der Energie-Einsparmaßnahmen und des Ausbaus Erneuerbarer Energien.

Denn das ist der Hautgrund dafür, dass das alte Klimaschutzkonzept nicht wirklich funktioniert hat: Niemand hat kontrolliert, wie es funktionierte oder ob es überhaupt funktionierte.

Eine wirkliche Änderung gab es erst 2019, als der Stadtrat den Klimanotstand für Leipzig ausrief. Die Grünen haben noch mehrere solcher Anträge im Verfahren, die dazu führen sollen, dass die Leipziger/-innen selbst tatsächlich mitmachen können beim Umbau der Stadt zu einer klimafreundlichen Kommune.

Auf der kommenden Ratsversammlung am 13. Juli wird etwa über den Ausbau von Mieterstrom entschieden, welcher Mieter/-innen ermöglichen soll, günstigen Solarstrom vom Vermieter zu beziehen und so von steigenden fossil getriebenen Energiepreisen zu entlasten.

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