Leipzig muss künftig anders heizen – ohne Kohle (die heute noch in der Fernwärme aus Lippendorf steckt), ohne Gas und ohne Öl. Anders ist die Klimaneutralität nicht zu schaffen. Aber kann dann ausgerechnet Fernwärme aus Leuna ein Teil der Lösung sein? Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Leipziger Stadtrat hat da so ihre Zweifel.

Mit einer aktuellen Anfrage will die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Risiken der Abwärmenutzung aus Leuna auf den Grund gehen und den Blick verstärkt auf die Erschließung erneuerbarer Wärmequellen lenken.

Die Stadtwerke planen künftig Abwärme der Total-Raffinerie in Leuna über eine Fernwärmetrasse nach Leipzig zu transportieren und könnten damit laut eigenen Angaben ungefähr 38 % des aktuellen Leipziger Wärmebedarfs decken. Die Abwärme der Raffinerie gilt als bilanziell klimaneutral und ist momentan ungenutzt. Eine Nutzung für die Großstadt Leipzig, deren Wärme momentan zu fast 100 % auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe basiert, scheint somit naheliegend.

Nachhaltigkeitsatlas der Stadtwerke Leipzig 2022.

Abwärme aus einer Raffinerie?

Im „Nachhaltigkeitsatlas“ der Stadtwerke heißt es dazu: „Mit der Firma TotalEnergies, die in Leuna eine der modernsten Raffinerien in Europa betreibt, setzen wir jetzt auf einen starken Partner für eine langfristige Kooperation, um hohe CO₂-Einsparungen zu erzielen sowie langfristig stabile Preise sicherstellen zu können.

Bisher entweicht die vorhandene Abwärme überwiegend an die Umgebung. Künftig werden wir sie gezielt für die Wärmeversorgung nutzbar machen. Die Raffinerie erfüllt wesentliche Eignungskriterien, wie die Menge der Abwärme, das Temperaturniveau oder die Nutzungsdauer. Seit 2017 loten wir eine Zusammenarbeit aus. Im Sommer 2021 ist uns der erste Meilenstein gelungen: ein Kooperationsvertrag, der nun die Eckpunkte einer gemeinsamen Lösung regelt.

Im Jahr 2026 wird die neu zu errichtende Fernwärmetrasse in Betrieb gehen. Die Kernidee ist eine Verbindungstrasse vom Industriestandort Leuna bis nach Kulkwitz in Leipzig. Schon jetzt ist in der dortigen Raffinerie industrielle Abwärme mit bis zu 83 Megawatt Leistung auf dem Temperaturniveau der Fernwärme ganzjährig verfügbar und soll dort ausgekoppelt werden. Die identifizierte Wärmemenge entspricht etwa 38 Prozent des Fernwärmebedarfs in Leipzig. Rein rechnerisch können also 100.000 Leipziger Wohnungen damit CO₂-frei beheizt werden.“

Vor dem Hintergrund der notwendigen Dekarbonisierung aller Wirtschaftsbereiche und des perspektivisch steigenden CO₂-Preises sieht die grüne Fraktion jedoch auch Risiken, weiterhin auf fossile Energiequellen zu setzen, gleichwohl ihre Emissionen nicht auf die Abwärme angerechnet werden.

Trotzdem abhängig von fossiler Erzeugung?

„Grundsätzlich ist es gut, industrielle Abwärme für die Wärmeversorgung zu nutzen – denn jede eingesparte Tonne CO₂ hilft! Bei einem Projekt, dessen Nutzung auf 80 Jahre ausgelegt ist, stellt sich aber schon die Frage, ob man hier nicht auf das falsche Pferd setzt“, fragt sich Jürgen Kasek, klima- und energiepolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat. „Es besteht die Gefahr, dass man sich von fossiler Erzeugung abhängig macht, die, solange sie da ist, natürlich so effizient wie möglich genutzt werden sollte – aber eben auch keinen Tag länger als nötig.

Letztlich muss sich auch der Industriestandort Leuna der Dekarbonisierung der Wirtschaft stellen. Welche Wärmemengen sind dann für Leipzig noch realistisch und bezahlbar? Und welche Alternativen einer klimaneutralen Wärmeversorgung gäbe es schon jetzt? Wir befürchten, dass man sich zu sehr auf fossile Abwärme verlässt, und die ausreichende Erschließung erneuerbarer Energiequellen ins Hintertreffen gerät. Das kann hinten raus teuer werden.“

Der Stadtrat hat 2022 auf Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hin eine kommunale Wärmeplanung beauftragt, welche eine klimaneutrale Wärmeversorgung der Stadt Leipzig bis 2038, möglichst bis 2035, vorsieht. Die Planung soll bis Ende dieses Jahres vorliegen.

Die Wärmeplanung stellt die Weichen für künftige Planungen. Private Haushalte, Hauseigentümer/-innen und Wohnungsbaugesellschaften stehen vor wichtigen Entscheidungen bezüglich energetischer Sanierungen und Heizungswechsel. Umso wichtiger ist es, bei der Planung von wohl abgewägten Prämissen auszugehen – auch um Fehlinvestitionen zu vermeiden.

„Die Nutzung der Abwärme aus Leuna mag opportun und aus heutiger Perspektive sinnvoll sein“, sagt Jürgen Kasek. „Aber dauerhaft nachhaltig sind Wärmequellen, die von fossiler Produktion abhängig sind, nicht. Die Wärmeplanung muss verstärkt erneuerbare Wärme in den Blick nehmen.“

Die Grünen-Anfrage:

Anfrage vom 26. Januar 2023: Welche Risiken und Alternativen gibt es zur Fernwärme aus Leuna?

Wie die LVZ vom 14./15. Januar 2023 berichtete, planen die Stadtwerke Leipzig künftig Abwärme der Total-Raffinerie in Leuna über eine Fernwärmetrasse nach Leipzig zu transportieren. Ungefähr 38 % des aktuellen Leipziger Wärmebedarfs könnten damit laut den Leipziger Stadtwerken gedeckt werden. Es wird geprüft, ob zusätzlich eine Wasserstoff-Pipeline verlegt werden kann. Die Abwärme der Raffinerie gilt als bilanziell klimaneutral und ist momentan ungenutzt. Dennoch würde man sich damit von der Erzeugung fossiler (Erdöl-) Produkte abhängig machen. Vor dem Hintergrund der notwendigen Dekarbonisierung aller Wirtschaftsbereiche und des perspektivisch steigenden CO₂-Preises sehen wir diverse Risiken, weiterhin auf fossile Energiequellen zu setzen – auch wenn ihre Emissionen nicht auf die Abwärme angerechnet werden. So bricht derzeit beispielsweise die Produktion in Leuna um 50 % ein (LVZ, 24. Januar 2023).

Der Stadtrat hat letztes Jahr eine kommunale Wärmeplanung beauftragt (VII-A-02889), welche eine klimaneutrale Wärmeversorgung der Stadt Leipzig bis 2038, möglichst 2035, vorsieht. Die Planung soll bis Ende dieses Jahres vorliegen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir an:

1. Welche Szenarien berücksichtigt die kommunale Wärmeplanung für die Klimaneutralität? Welche Alternativen aus erneuerbaren Wärmequellen werden zur Fernwärme aus Leuna geprüft?
2. Im LVZ-Artikel vom 14./15. Januar wird davon gesprochen, eventuell zusätzlich zur Fernwärmetrasse eine Wasserstoff-Pipeline zu verlegen. Inwiefern ist die Planung der Fernwärmetrasse von einer Förderung der Wasserstoff-Pipeline abhängig?
3. Wie wird sichergestellt, dass in Leuna grüner Wasserstoff durch erneuerbare Energien hergestellt wird, die auch in relevanten Mengen für Leipzig zur Verfügung stehen können?
4. Die Trasse selbst ist auf 80 Jahre Nutzung ausgelegt. Wie wird sichergestellt, dass Leuna als Produktionsstandort, im Besonderen die Total Raffinerie, zukünftig CO₂-neutral produzieren und im Zuge der Dekarbonisierung Bestand haben wird? Welche Abwärmemengen könnten perspektivisch in den 2030er und 2040er Jahren und darüber hinaus noch geliefert werden und wie gestalten sich dazu die vertraglichen Preisabsprachen?
5. Gibt es Gespräche mit weiteren Unternehmen in Leuna, welche Abwärme über die Trasse liefern können? Welche weiteren Abwärme- oder erneuerbare Wärmequellen könnten entlang der geplanten Fernwärmetrasse eingespeist werden bzw. welche weiteren Abnehmer für Fernwärme gibt es entlang der geplanten Trasse?

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