Schon am 30. August hatte OBM Burkhard Jung dem Stadtkonzern LVV eine zusätzliche Kreditunterstützung durch die Stadt in Höhe von 150 Millionen Euro zugesagt. Binnen weniger Tage waren die Strom- und Gaspreise an den Börsen in die Höhe gegangen. Die Sicherheiten, welche die Energieunternehmen bereitstellen mussten, schossen in astronomische Höhen. Am 14. September gab es diese Entscheidung freilich nur zur Information. Die Diskussion entbrannte über ein völlig anderes Thema.

Das steckte dann in der eigentlichen Vorlage, die OBM Burkhard Jung vorlegte und welche die Eilvorlage vom August ablöste. Diesmal stand ein Kreditrahmen von 400 Millionen Euro drin, mit denen die Stadt kurzfristig die Börsengeschäfte der Stadtwerke Leipzig absichert, die ja nicht nur Strom und Gas einkaufen, um die Leipziger Energieversorgung zu sichern, sondern auch selbst Strom produzieren und verkaufen. Alles vertraglich abgesichert. Diese Verträge müssen erfüllt werden.

Aber die gestiegenen Beschaffungskosten werden auch noch einmal zu einem massiven Problem. Und nicht nur OBM Jung, der die Vorlage einbrachte, betonte mehrmals, dass jetzt Bund und Land in der Pflicht sind, nicht nur über die großen Energieversorger einen Schutzschirm aufzuspannen, sondern auch über die kommunalen Stadtwerke. Denn die können die massiv gestiegenen Energiepreise so nicht auffangen. Schon gar nicht dauerhaft.

Wenn Energiepreise galoppieren

Kurzfristig haben die Stadtwerke ja sogar reagiert. Am Höhepunkt der Preisexplosion haben sie 230 Millionen Euro an Sicherheiten an der Börse hinterlegt, berichtete Jung. „Und zwar in bar.“ Und das einfach nur, um die eigenen Stromgeschäfte weiterhin betreiben zu können.

In seine Eilvorlage liest sich das so: „Der Strompreis ist aktuell innerhalb kürzester Frist sprunghaft, in einem seitens der kommunalen Versorger im Allgemeinen und seitens der Stadtwerke Leipzig so nicht erwarteten Ausmaß angestiegen. Damit stieg auch das Volumen der im Energiehandel in diesem Zusammenhang in Form von Liquidität zu hinterlegenden Sicherheitskautionen für Energieversorger an den Beschaffungsmärkten.

In Ermangelung eines nach wie vor ausstehenden Bekenntnisses des Bundes für einen Rettungsschirm kommunaler Energieversorger und ausgeschöpfter finanzieller Spielräume der LVV, spannt die Stadt Leipzig in diesem Zusammenhang einen temporären Rettungsschirm in Form einer sofortigen, rückzahlbaren Liquiditätshilfe zugunsten ihrer Stadtwerke in Höhe von bis zu 150 Mio. Euro auf.“

Ohne diesen Rettungsschirm wird es nicht gehen. Denn das wurde in der Diskussion sehr deutlich: Wenn ein russischer Kriegspräsident die Gaspreise als Waffe gegen die europäischen Länder einsetzt, überfordert dies Kommunen und Stadtwerke. Da muss der Bund einspringen.

Einnahmeausfälle machen LVB zu schaffen

Und eigentlich war die Schaffung des eigenen Schutzschirms für die Stadtwerke am 14. September auch kein Thema. Aber in der zweiten Vorlage über insgesamt 400 Millionen Euro standen dann auch ein paar Punkte, die deutlich machten, dass nicht nur die Stadtwerke in schweres Fahrwasser geraten sind, sondern auch der ÖPNV und damit die Leipziger Verkehrsbetriebe.

So stecken auch 25 Millionen Euro im Paket, die der LVV-Konzern noch in diesem Jahr bekommt, um seine eigene Verschuldung zu verringern und wieder mehr Spielraum für Investitionen zu bekommen.

Ratsversammlung Leipzig, Neues Rathaus, am 14.09.2022. Im Bild: Claus-Uwe Rothkegel (CDU). Foto: Jan Kaefer
Ratsversammlung Leipzig, Neues Rathaus, am 14.09.2022. Im Bild: Claus-Uwe Rothkegel (CDU). Foto: Jan Kaefer

Aber auch in den nächsten beiden Jahren soll es Geld geben: „Die Ratsversammlung beschließt als Kompensation für Mindereinnahmen der LVB infolge des Beschlusses der Aufgabenträgerin Stadt Leipzig im Jahr 2018 über ein Tarifmoratorium sowie die bisherige Beschränkung der Fahrpreiserhöhung einen finanziellen Ausgleich in Form einer Bareinlage in die Kapitalrücklage der LVV in Höhe von bis zu 15 Mio. EUR im Haushaltsjahr 2023. Die Mittel sind im Entwurf des Doppelhaushaltes 2023/24 unter dem PSP-Element 7.0000803.730 veranschlagt.“

Der Passus „in Form einer Bareinlage in die Kapitalrücklage der LVV“ wurde dann noch auf Anregung von FDP-Stadtrat Sven Morlok gestrichen. Aber nach zwei Jahren Corona-Pandemie und entsprechend massiven Fahrgastrückgängen haben die LVB natürlich auch ein massives Einnahmeproblem. So wie alle ÖPNV-Unternehmen in Deutschland.

Inzwischen beziffert der Deutsche Städtetag allein die notwendige Unterstützung durch den Bund allein für die Aufrechterhaltung des Betriebes der Nahverkehrsunternehmen auf 1,7 Milliarden Euro.

Was ja bekanntlich die CDU-Fraktion dazu gebracht hat, das erst 2018 vom Stadtrat beschlossene Mobilitätsszenario infrage zu stellen. Und insbesondere die CDU-Stadträte Claus Uwe Rothkegel und Michael Weickert nutzten die Gelegenheit, die LVB regelrecht zum Problem zu erklären und für zu teuer.

Erst kaputtgespart und jetzt zu teuer?

Wofür sie natürlich heftige Gegenreden von Franziska Riekewald (Linke) und Kristina Weyh (Grüne) bekamen. Denn tatsächlich müsste der Leipziger ÖPNV ja massiv ausgebaut werden, um die beschlossenen Mobilitätsziele zu erreichen und den Anteil des Verkehrs an den klimaschädlichen Emissionen drastisch zu senken.

Doch nun laufen den ÖPNV-Unternehmen die simplen Betriebskosten aus dem Ruder. Und die Spielräume für Investitionen schrumpfen. Weshalb OBM Burkhard Jung Rothkegel sogar recht gab: Die Lage ist so prekär geworden, dass sogar schon geplante Investitionen auf den Prüfstand sollen.

CDU-Stadtrat Michael Weickert sprach sich dafür aus, „Probleme klar zu benennen“. Foto: Jan Kaefer
CDU-Stadtrat Michael Weickert sprach sich dafür aus, „Probleme klar zu benennen“. Foto: Jan Kaefer

Man ahnt schon: Das wird ein ganz heißer Herbst. Denn hier wird endgültig deutlich, welche Folgen das jahrzehntelange Sparen des Bundes beim Nahverkehr jetzt hat und wie es die entscheidende Verkehrswende verhindert. Stichwort: Regionalisierungsmittel. Die sind seit Jahrzehnten knapp gehalten worden, haben weder die Personalkostenentwicklung noch die Baupreisentwicklung mitvollzogen, reichen also nicht einmal für den laufenden Betrieb, für eine Erweiterung des ÖPNV schon mal gar nicht.

Und die letzten zwei Jahre haben die Einnahmebasis der LVB derart lädiert, dass man nur noch mit Unterstützung der Stadt den Normalbetrieb aufrechterhalten kann. So etwas hat natürlich seine Grenzen. Auch wenn Rothkegel falsch liegt, wenn er die scheinbar kräftig gestiegene Querfinanzierung der LVB im LVV-Verbund anprangerte. Denn diese Summe ist nur scheinbar „kräftig“ gestiegen, weil die ursprüngliche Finanzierung der LVB erst von über 60 Millionen auf 45 Millionen Euro eingedampft worden war, um seinerzeit die LVV zu entlasten.

Was mit Zustimmung des Stadtrates geschah. Und was zum Ergebnis hatte, dass den LVB damit über 150 Millionen Euro an möglichen Investitionen gestrichen wurden. Investitionen, die jetzt mit Jahren Verspätung und massiv gestiegenen Baupreisen noch viel schwerer umzusetzen sind. Und jetzt sogar auf die Streichliste kommen sollen. So ist es ja auch in der Vorlage beschrieben.

Wenn steigende Fahrpreise für Investitionen gebraucht werden

Eine Vorlage, die übrigens auch betont, wie wichtig die Fahrgasteinnahmen für die Finanzierung der LVB sind: „Erläuterung: Die LVB hatten vor Beschluss des Nachhaltigkeitsszenarios in ihren Wirtschafts-, Mittel- und Langfristplanungen eine jährliche Fahrtarifsteigerung von 3,5 % geplant, um die abzusehenden Aufwandssteigerungen und die Erhöhung der Attraktivität (z.B. Taktverdichtungen) finanzieren zu können.

Nach dem Beschluss der Mobilitätsstrategie der Stadt Leipzig wurden die maximal möglichen jährlichen Preissteigerungen derzeit auf 2,0 % begrenzt, ohne auf die Ausweitung der Leistungen zu verzichten. Im Ergebnis fehlten und fehlen der LVB jährliche Preissteigerungen von 1,5 %. Diese Differenz wurde durch die LVB zunächst selbst getragen. Durch die geringeren Erlöse in den Vorjahren sowie den damit verbundenen Zinseszinseffekt fehlen den LVB im Jahr 2023 insgesamt 6,5 Mio. EUR und im Jahr 2024 etwa 7,0 Mio. EUR.

Den gleichen Zinseszinseffekt gibt es für das Tarifmoratorium. Die daraus resultierenden Einnahmeverluste betragen im Jahr 2023 4,5 Mio. und 2024 4,8 Mio. EUR.“

Es kommen also zwei Dinge zusammen: Die finanziellen Verluste durch Fahrgastrückgänge und Fahrpreismoratorium (das bis Juli 2022 galt) und die massive Unterfinanzierung des ÖPNV, die jetzt in der Krise ihre Folgen zeigt. Denn nun fehlt das Geld zum Ausbau der Infrastruktur, weil die „schwäbische Hausfrau“ jahrelang überzeugt davon war, dass man ÖPNV auf Kante sparen kann. Genau das ist auch in Leipzig passiert.

Sodass die Diskussion zur Kreditsicherung des Stadtkonzerns am Ende zu einer vorgezogenen Diskussion um die ÖPNV-Finanzierung in Leipzig wurde. Da kommt noch einiges auf die Leipziger und ihre noch immer nicht begonnene Mobilitätswende zu.

Wer zu spät kommt, zahlt drauf

Da passt mal wieder Gorbatschows so flapsig übersetzter Spruch: „Wer zu spät kommt, den bestraft die nächste Krise.“

Eigentlich sorgte nur das Thema dafür, dass am Ende eine sehr lange Diskussion entbrannte.

Ein Punkt, an dem man schon ahnen kann, dass die künstlich gesetzte Redezeitbegrenzung im Stadtrat eine Entscheidung war, die der Debatte nicht wirklich zuträglich ist. Denn auch dieser Hinweis fiel im Laufe der Diskussion, wenn auch eher ironisch vorgebracht von Michael Weickert: Was sollen die Leute sagen, die gerade diesem Livestream zuschauen?

Denn gleichzeitig gilt: Nur so bekommen die Leipziger/-innen überhaupt mit, wie im Stadtrat diskutiert wird.

Aber irgendwann reicht es eben nicht, laut ins Mikro „Sparen! Sparen! Sparen!“ zu rufen. Dann braucht es echte Überlegungen dazu, welche Finanzierungsgrundlage der ÖPNV wirklich braucht. So wie er in den letzten Jahren schwäbischen Hausfrauendenkens kaputtgespart wurde, ist er jedenfalls weder bezahlbar noch zukunftsfähig.

Die Debatte ist überfällig.

Die Vorlage freilich zur Sicherung eines 400-Millionen-Euro-Kreditrahmens fand an diesem Tag die einhellige Zustimmung aller 64 Stimmberechtigten.

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