Mit Denkmalen kennt sich Wolfgang Hocquél aus, jahrzehntelang hat er als hauptamtlicher Denkmalpfleger gearbeitet, war 1991 bis 2008 der zuständige Referatsleiter in der Landesdirektion. 1990 war er Initiator der 1. Leipziger Volksbaukonferenz: „Ist Leipzig noch zu retten?“ hieß damals die Frage. Die genauso auch für tausende wertvoller Baudenkmale in der Leipziger Region galt.

26 Jahre später kann er mit diesem Buch eine Bilanz ziehen, die fasziniert. 311 ausgewählte Kulturdenkmale stellt er vor. Er hätte auch 3.000 vorstellen können. Denn was 1989 unter Tristesse, bröckelndem Putz, kaputten Dächern, verhangenen Fassaden nur noch für Fachleute erkennbar war, verwandelt die Städte der Leipziger Region heute wieder in eine Schatzkiste. Ein paar wenige Vergleichsfotos erinnern an den Zustand, in dem sich eine reiche, hunderte Jahre alte Kulturlandschaft 1990 befand. Bestimmt schlummern irgendwo auch die Fotoschätze, die diesen Vergleich für alle hier geschilderten Baudenkmale sichtbar machen würden.

Aber auch so bekommt man eine Ahnung davon, was für eine Sanierungsleistung dahinter steht, wenn heute alte Kirchen, Burgen, Schlösser, Rathäuser und Bürgerhäuser wieder strahlen, als hätte es das halbe Jahrhundert des Verfalls gar nicht gegeben. Andererseits beweisen alte Fotografien aus den 1920er und 1930er Jahren auch, dass die heutige Perfektion ebenfalls etwas Neues ist: Da die heruntergewirtschafteten Gebäude allesamt von Grund auf saniert wurden, stehen sie jetzt flächendeckend in einer Perfektion da, wie es sie in der Vergangenheit nie gab. Vieles wirkt, als wäre es frisch vom Reißbrett der Architekten weg gerade erst gebaut worden. Da braucht es oft genug schon Erklärungstafeln, die darauf hinweisen, was sich an alter Bausubstanz heute unter weißem Kalkputz verbirgt, welche Details gerettet werden konnten, welche moderne Repliken sind und wo dem morschen Material mit modernen Baulösungen unter die Arme gegriffen werden musste.

Vieles davon erzählt Wolfgang Hocquél. Denn er kennt ja noch die Zeit, als die Denkmalpfleger in der DDR oft genug auf verlorenem Posten standen, alle Denkmalgesetzgebung nichts nutzte, weil schlicht das Geld, das Material und die Baufirmen fehlten, die die Kostbarkeiten der westsächsischen Baugeschichte hätten retten können. Oft konnte nur mit privatem Engagement überhaupt der Abriss eines Gebäudes verhindert werden. Nicht immer. Das wissen ja die Bewohner der geschundenen Ackerbürgerstädtchen nur zu gut. Manch mühsam abgestütztes straßenbildprägendes Gebäude rutschte trotz aller Bemühungen in sich zusammen. In den einst dicht geschlossenen Straßenzeilen, die bis in die Gegenwart das Bild der gewachsenen Renaissancestädte prägten, rissen Lücken auf.

Wobei der Fokus des Autors weniger auf den geretteten Beständen der geschichtsträchtigen Wohnhäuser liegt (auch wenn sie da und dort beispielhaft ins Bild rücken), sondern auf den Hinguckern, an denen man nicht vorbeikommt, wenn man die geschichtsträchtige Landschaft zwischen Elster und Mulde bereist oder einfach mal zu Ausflügen rausfährt aus der großen Stadt Leipzig – die in diesem Band aus gutem Grund nicht vorkommt. Die große Stadt hätte das Bild wieder dominiert.

Manchmal ist es ganz gut, Leipzig einfach mal rauszunehmen und sich ganz auf die beiden Landkreise Leipzig und Nordsachsen zu konzentrieren und von Nord nach Süd und in alphabetischer Ordnung zu zeigen, was da alles in den vergangenen 25 Jahren mit bautechnischer Akribie, einer Menge Fördergeld, historischem Sachverstand und viel örtlichem Engagement wieder nutzbar und ansehnlich gemacht wurde. Und da landet man folgerichtig auch in Orten, wo es einen für gewöhnlich nicht hin verschlägt – und wohin sich die Reise trotzdem lohnt. Zum Beispiel nach A wie Arzberg bei Torgau an der Elbe, einem jener großen Gemeindeverbünde, in denen sich Dutzende Ortschaften verwaltungstechnisch zusammengetan haben, von denen jede einzelne eine eigene anschauliche Geschichte besitzt – so wie im Gemeindeverband Arzberg, wo man in Adelwitz das sanierte Rittergut besuchen kann, das aber anschaulich macht, dass die Rettung des Hauses eben noch nicht alles ist, wenn die Bewohner fehlen oder – wie hier – sich ein Gastronomiebetrieb nicht rechnet. Es ist nicht das einzige Adelsgut, das heute auf eine neue Idee der Nutzung wartet.

Hinfahren lohnt sich trotzdem, denn im benachbarten Pülswerda kann man das Tudorschloss der Seydewitze bewundern, in Blumberg eine einmalige Fachwerkkirche und in Triestewitz das ehemalige Wasserschloss. Man ahnt schon, dass Wolfgang Hocquél gar nicht anders kann, als ein paar Rosinen herauszupicken, wenn er aus 105 Orten der beiden Landkreise versucht, das Sehenswerteste zu zeigen und die zugehörige Bau- und Sanierungsgeschichte zu erzählen, das, was der weltbeschauende Reisende natürlich wissen will, wenn er da steht und bewundert, wie schön unsere Vorfahren bauen konnten – ganz ohne unsere heutigen technischen Möglichkeiten.

Sichtbar wird natürlich immer wieder, wie stadtbildprägend in dieser Region die Renaissance wurde, jene Zeit, in der selbstbewusste Stadtbürger nicht nur zeigen wollten, welch Reichtum ihr Städtchen barg, in der aber auch die alten, brandgefährdeten Fachwerkstädte des Mittelalters verschwanden und repräsentative Steinbauten die Marktplätze zu dominieren begannen, die allesamt nicht ohne ein entsprechend repräsentatives Renaissance-Rathaus denkbar sind. Egal, ob in Zwenkau, Grimma oder Torgau: Dieses bürgerliche Selbstbewusstsein gibt all den Städten erst ihr Gesicht, auch wenn sich manche Orte dann doch lieber die alten Burgen in der Nachbarschaft als Sinnbild erwählt haben. Burgen haben immer etwas Beeindruckendes, auch wenn sie schon seit Jahrhunderten eher als Gefängnis, Erziehungsanstalt, Verwaltungssitz oder – in jüngerer Zeit – als Seniorenheim oder Hotel genutzt werden. Da und dort auch als Museum, keine Frage. Denn in den meisten steckt ja – zwangsläufig – ein gut Teil Geschichte, in Altranstädt und in Hubertusburg genauso wie in Frohburg oder Schloss Hartenfels in Torgau.

Manchmal stehen auch nur noch die Burgreste malerisch in der Landschaft herum – wie die Burg des Wiprecht von Groitzsch – andernorts ist schon vor Ewigkeiten ein Gericht eingezogen, wie in Grimma, wo man sich erst bemühen musste, die noch vorhandenen Reste des alten Schlosses zu erkunden. Sanierungsgeschichte ist ja auch immer ein Stück Archäologie. Und immer auch ein Abwägungsprozess. Denn was passiert eigentlich, wenn wir alles, was an baulichen Besonderheiten entsteht im Lauf der Zeit, unter Denkmalschutz stellen? Leben wir dann irgendwann nur noch in lauter Denkmalen?

Oder – auch das ist so ein kleiner Nebenaspekt – verwandeln sich immer mehr Gebäude in Museen? Werden unsere alten Städtchen selber zu musealen Landschaften?

Eine nicht ganz abwegige Frage, die sich auch nicht einfach radikal entscheiden lässt. Denn gerade wenn solche musealen Orte auch noch möglichst authentisch sind, wird der Besuch tatsächlich zu einer echten Reise in die Vergangenheit, nicht nur in die von fürstlichen Prachtgemächern und alten Ritterstuben, sondern auch in die Lebenswelten des reichen Bürgertums im 16. Jahrhundert, die man im Torgauer Bürgermeister-Ringelhain-Haus besichtigen kann, oder die Welt der Handwerker, die sich dort im Handwerkerhaus in der Rosa-Luxemburg-Straße 4 erhalten hat – oder besser: gerettet wurde von einer Torgauer Initiative. Auch das Bewusstsein muss erst mal da sein, dass auch die scheinbar so kargen Behausungen der „einfachen Leute“ einen historischen Wert haben. Und es gibt wirklich nicht viele Städte, die solche Kleinode der eigenen Geschichte bewahrt haben.

Aber auch das Bewusstsein dafür, dass auch Baugeschichte nicht immer nur die Geschichte der Reichen und Mächtigen ist, muss erst wachsen. Erst dadurch wird der eigentliche Reichtum sichtbar – immerhin, was die Arbeitswelten betrifft, mittlerweile auch in eindrucksvollen Mühlen und Denkmalbauerngehöften sichtbar gemacht. Da und dort auch mit industriellen Baudenkmälern des 20. Jahrhunderts zu sehen.

Tatsächlich macht der Band, auch wenn  Kirchen, Schlösser und Burgen zu dominieren scheinen, beiläufig sichtbar, wie viel Sehenswertes in den beiden Landkreisen zu einem Besuch einlädt. Es gibt auch eine Aufklappkarte im Umschlag, aber keine empfohlene Reiseroute. Der reich bebilderte, taschenkompatible Band spricht eben nicht den üblichen Touren-Reisenden an, sondern den an der reichen Kulturlandschaft Interessierten, der seine Wochenenden und neugierigen Tage gern dazu nutzt, zielgerichtet ins Land zu fahren und einzelne Orte und ihren gebauten Reichtum zu erkunden.

Und natürlich ist es auch wieder eine bilderreiche Werbung für eine Weltecke, in der sich – auch durch die Fügung der Geschichte – ein wahrer Schatz an gebauter Schönheit erhalten hat. Natürlich ist diese Fügung die DDR, die aus blanker Not in vielen Orten einen Bauzustand konserviert hat, der in anderen Regionen Deutschlands vom furiosen 20. Jahrhundert einfach überbaut wurde.

Jetzt braucht das Alles eigentlich nur noch neue Inhalte und Ideen, die auch wieder Leben in die Landkreise bringen – neben den Schaulustigen, die man natürlich mit so einem Buch einladen kann und einladen sollte. Denn so kompakt ist das anderswo nicht zu erleben. Tatsächlich ist es für das, was diese gebaute Geschichtslandschaft zu bieten hat, viel zu ruhig. Da könnte mehr gehen.

Freilich: Wer seine Freunde und Bekannten anderswo zum Herkommen einladen möchte, der packt das Buch einfach in die Post. Hier gibt es keine echte Langeweile, die erst mit „Events“, „Abenteuerparks“ und irgendwelchem „Activity“-Schmonz aufgeladen werden muss, damit überhaupt erst mal was da ist. Oft sind es die Macher vor Ort selbst, die den Reichtum nicht mehr als Reichtum sehen und mit seltsamer Verzweiflung neue „Highlights“ erfinden müssen.

Dabei muss man sich hier nur in den Zug, den Bus oder aufs Fahrrad setzen und bekommt schon nach einer kurzen Fahrt Geschichte zu sehen, die sich zeigen kann.

Wolfgang Hocquél Architektur der Region Leipzig, Passage Verlag, Leipzig 2016, 14,80 Euro.

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