Für Freikäufer Natürlich muss die Wahrheit nicht gerettet werden. Der Titel führt ein wenig in die Irre, weil er im Grunde eine Grundthese jener rechtsradikalen Bewegung aufnimmt, die mit dem Frontalangriff auf „die Medien“ natürlich einen Frontalangriff auf die Demokratie gestartet haben. Denn „die Medien“ mögen zwar nicht (mehr) die sogenannte „vierte Macht“ sein. Aber in einer funktionierenden Demokratie stören sie. Dazu sind sie da.

Natürlich streift Claus Kleber die Anfänge dieser systematisch vorgebrachten Angriffe. Er war als Korrespondent auch lange genug in den USA, um aus eigener Erfahrung zu wissen, wie Medien auch missbraucht werden können, um die politischen Gegner zu desavouieren. Sie können mächtige Waffen sein, wenn sich Journalisten instrumentalisieren lassen und selbst Teil einer Kampagne werden. Klebers USA-Zeit fiel in jene Jahre, in der die Republikaner, um den demokratischen Präsidenten Bill Clinton zu schwächen, ihre Angriffe auf Hillary Clinton starteten und sich dabei auch mit Verleumdungen und Unterstellungen nicht zurückhielten.

Gefundenes Fressen gerade für jene ultrakonservativen Medien, die nach Ronald Reagans „Liberalisierung“ der Mediengesetze entstanden sind und die massiv dazu beigetragen haben, dass es in der amerikanischen Politik rauer, rücksichtsloser und aggressiver zugeht. Und dass Emotionen dominieren, wo es eigentlich um Fakten geht.

Der Präsidentschaftswahlkampf 2016 machte dann deutlich, was dabei herauskommt, wenn sogar Lügen den Wahlkampf bestimmen und auf einmal von „alternative facts“ und „fake news“ die Rede ist und ein ganzes Land auf einmal das dumme Gefühl hat, dass man jetzt vielleicht doch mal Orwells „1984“ lesen sollte.

Kleber fühlte sich mit seinen Vorahnungen bestätigt. Und er sah das Phänomen natürlich auch im Zusammenhang mit all dem, was die „neue Rechte“ seit einigen Jahren in Europa treibt und wie sie mit ganz ähnlichen Kampagnen Erfolge feiert (Stichwort: Brexit), bei denen sich Journalisten, die sich mit Fakten, Zusammenhängen und absehbaren Folgen beschäftigen, an den Kopf fassen: Wie können die Wähler nur?!

Natürlich können die Wähler. Sie agieren aus dem Bauch heraus und die meisten interessieren sich nicht die Bohne für Fakten und Zusammenhänge. Denn da auf dem Laufenden zu bleiben, ist mühsam. Leichter ist es, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und in der Gruppe Lärm zu machen. Etwas, was die sogenannten „social media“ nicht nur erleichtern, sondern geradezu forcieren. Sie machen den Zugang ihrer Nutzer zu „Informationen“ scheinbar einfach. Alles ist automatisiert und Algorithmen sorgen dafür, dass fast nur noch Informationen auf die Seite gespült werden, die die Weltsicht des Nutzers bestätigen. Das erzeugt – keine Frage – beim Nutzer das Gefühl, mit seiner Meinung zur dominierenden Mehrheit zu gehören. Erst recht, wenn gerade rechte Bewegungen die „social media“ regelrecht als Kanal für sich entdeckt haben, um hier alle technischen Register zu ziehen, um Aufmerksamkeit für sich zu erzeugen.

Die „social media“ erzeugen für ihre Nutzer ein neues Bild von Wirklichkeit, das ihnen einen Zustand der Gesellschaft suggeriert, den es so in der Realität nicht gibt. Und da kommt Kleber zu Recht auf die alte und eigentliche Rolle von Medien zu sprechen, eine Rolle, die Facebook und Co. nicht ausfüllen können, weil sie gar nicht die Redaktionen dazu aufgebaut haben mit all den Journalisten, die da Tag für Tag sitzen und versuchen, den Ereignissen des Tages eine Gestalt zu geben.

Was schiefgehen kann, wenn sie nicht aufmerksam genug sind. Das weiß man auch in diesen klassischen Redaktionen. Wie seinerzeit beim Einmarsch russischer Soldaten in die Ukraine, als man beim ZDF auf ungeprüftes und nicht hinterfragtes Material zurückgriff. Was wieder für die Propagandaabteilung Wladimir Putins ein gefundenes Fressen war – denn wenn man ausgerechnet dem ach so ehrwürdigen Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen in Deutschland laxen Umgang mit den Quellen vorwerfen kann – wie edel steht das Russia Today da?

Die rechtsradikalen neuen Bewegungen nutzten das umgehend aus, um eine „Lügenpresse“-Kampagne zu starten und das Misstrauen in die sogenannten Mainstream-Medien der Republik zu säen mitsamt der Unterstellung von Staatsnähe. Bekommen deutsche Redaktionen ihre Aufträge von der Regierung?

Das ist auch beim „heute journal“ nicht der Fall, bei dem Kleber als Redakteur und Moderator arbeitet. Der Vorwurf liegt ihm aber trotzdem auf der Seele, weil er eben keinen einzelnen Fehler aufs Korn nimmt, sondern systematisch vorgetragen wird als Dauerangriff auf alle großen Medien. Was einem mit einem kleinen Blick in die Geschichte sehr bekannt vorkommt. Und beim Blick in die Nachbarländer ebenfalls: Die Demontage der Demokratie beginnt mit dem Generalangriff auf die kritischen Medien.

Ob die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen immer kritisch ist oder gar kritisch genug, darüber mag man streiten.

Beiläufig lässt Kleber durchblicken, wie viele Leute sich morgens an die Arbeit machen, um abends eine gute und belastbare „heute jornal“-Sendung bringen zu können. Immer unter dem Druck der Ereignisse. Ein Druck, der auch blind machen kann, denn selten ist der Erste, der eine Nachricht bringt, auch der Seriöseste. Nur auf den ersten Blick ist es der Job der Journalisten, schnell zu sein. Auf den zweiten sind die berechtigten Erwartungen höher. Denn von Journalisten erwartet zumindest das wirklich kritische Publikum, dass die Nachrichten gegengeprüft sind, dass die Hintergründe abgeklopft wurden und die Fragen geklärt, die jedes Ereignis mit sich bringt.

Oder zumindest so weit geklärt, dass der Bericht, der dann auf Sendung geht oder in Druck, in allen wesentlichen Fakten, Aussagen und Einordnungen stimmt. Erst das verschafft Medien die Rolle, die sie in einer funktionierenden Gesellschaft einnehmen: als kritischer und seriöser Berichterstatter. Das, was gesendet wird oder gedruckt, stimmt. Es ist nicht die Wahrheit an und für sich, auch wenn Kleber das Wort gern verwendet. Aber es ist die größtmögliche Annäherung an das, was tatsächlich passiert ist. Möglichst von mehreren Seiten beleuchtet und kritisch hinterfragt.

Und das braucht Zeit, Leute, Geduld und vor allem die Ausdauer, immer wieder nachzufragen. Dranzubleiben und auch den siebenten Sinn dafür zu entwickeln, wenn an einer Geschichte etwas nicht stimmt. Denn die, die die Storys liefern, sind nicht immer daran interessiert, die ganze Wahrheit zu erzählen. Auch Politiker und Regierungen nicht. Autoritäre Regierungen schon gar nicht. Deswegen stecken sie am allerliebsten als Erstes Journalisten ins Gefängnis. Wer für kritische Berichterstattung mit jahrelangem Gefängnis rechnen muss, der schweigt dann vielleicht.

Denn darum geht es, wenn auf einmal Parolen wie „fake news“ oder „Lügenpresse“ auftauchen: Leute, die diese Vokabeln benutzen, wollen, dass kritische Berichterstattung aufhört, dass keiner mehr nachfragt und hinter die geleckte Fassade schaut. Deswegen nimmt Kleber zwar alle Kritik an. Damit müssen Journalisten leben – und nichts schmerzt mehr, als wenn man wirklich aus Unachtsamkeit, Eile oder Voreingenommenheit falschgelegen hat. Aber das dürfe nur Ansporn sein, eben nicht nachlässig zu werden. Im Gegenteil: Das fordere eigentlich dazu heraus, noch sensibler zu werden, noch aufmerksamer in der täglichen Arbeit, so Kleber. Und eben nicht den Verlockungen der Jagd nach Sensationen zu erliegen.

Im Grunde ist Klebers Buch ein Plädoyer für viele Adressaten – an die Leser zum einen, die so ihre Fragen haben nach all dem „fake news“-Getrommel, ob Journalisten in Deutschland überhaupt noch ernsthaft arbeiten und die nötige Distanz haben, über alles zu berichten, was in dieser Republik wichtig ist. Zum zweiten ist es aber auch ein Buch für all jene Kollegen, die jede Menge Kritik und Häme abbekommen und sich zu Recht langsam fragen, ob es in diesem Land noch Sinn macht, seriös an Geschichten zu arbeiten, wenn ja dann doch die Lügen und Märchen in allen Netzen dominieren.

Jetzt gerade, ist Klebers Botschaft. An sich selbst. Und natürlich auch an all die Kollegen, die ja nicht nur von den Schreihälsen der rechten Parteien angegriffen werden, sondern gegen die ungeprüften Gerüchte aus den „social media“ anarbeiten müssen, wo Bilder, Lügen, Ereignisse in Sekundenschnelle alle Kanäle fluten und damit auch die Aufmerksamkeit abziehen.

Denn was Facebook & Co. anbieten, ist schnelle Kost, Häppchenkost, und viel schneller um den Erdball, als auch nur ein Redakteur die Fakten dazu geprüft hat.

Tatsächlich ist der Aufgabenberg der verbliebenen Medien (denn die sind ja auch finanziell durch Facebook und Freunde unter Beschuss geraten) sogar gewachsen. Und ihre Konkurrenz sind riesige Medienkanäle, die so tun, als wären sie keine, aber den Nutzern trotzdem suggerieren, die Realität vor Augen zu haben, wenn ihnen Algorithmen ihrer Lieblingsthemen auf die Seite spülen.

Für die Demokratie ist das gar nicht gesund. Denn das erhöht zwar den Blutdruck und schürt die Emotionen – aber es fehlt die kritische Prüfung. So ein bisschen hofft Kleber darauf, dass die Mediennutzer wieder lernen, selbst kritisch zu unterscheiden, was wirklich Fake ist und was eine seriöse Information: „Grundwissen darüber, wie Medieninhalte entstehen und zu beurteilen sind, gehört in einer vernetzten Gesellschaft zur Grundausstattung eines Menschen“, schreibt er.

Aber Fakt ist: Die meisten Nutzer der technischen Spielzeuge wissen davon nichts. Und es ist ihnen zumeist auch egal.

Da ist Klebers Anspruch, dass Nutzer die „Machart von Berichten und Tricks der ‚alternative facts‘-Produzenten erkennen und durchschauen können“, sehr hoch. Das würde richtige Medienkompetenz voraussetzen und vor allem das Wahrnehmen ausführlicher Medienberichte. Aber die „social media“ haben ihre Nutzer an Häppchen gewöhnt. An flotte „News“ und an die wilde Hatz nach immer neuen sensationellen Nachrichten.

Die Herausforderungen sind sogar größer, als Kleber sie beschreibt, der dennoch die Gefahr sieht, dass gerade die jungen Generationen das (auch anstrengende) Wahrnehmen von Medieninhalten verlernen und nicht einmal mehr merken, wie im Rauschen der Häppchen die relevanten Inhalte verloren gehen. Und damit auch das Verständnis für Hintergründe und Zusammenhänge.

Der Appell auf dem Titel ist verständlich. Aber es geht tatsächlich nicht um die Rettung der Wahrheit, sondern um den Erhalt einer breiten und kritischen Medienlandschaft, die jeden Tag weiter so kritisch und sensibel über alles berichtet, was in dieser Gesellschaft wichtig ist. Und um den mündigen Bürger, der damit noch umgehen kann und diese Informationen braucht, um als Staatsbürger tatsächlich souverän zu sein.

Denn die demokratische Gesellschaft ist auf diese kritische Selbstreflexion dringend angewiesen. Nur so kann sie sich immer wieder selbst korrigieren und jene Öffentlichkeit schaffen, in der Autokraten eben nicht tun und lassen können, was sie wollen. Demokratie lebt von der medial hergestellten Öffentlichkeit. Und noch gibt es das Publikum, das von seinen Medien diese tägliche Arbeit auch erwartet.

Es ist ein Auftrag. Auch wenn sich jeder Journalist diesen Auftrag jeden Tag neu selbst erteilen muss: rausgehen und Geschichten finden, die wichtig sind. Oder wichtigen Geschichten, die alle beschäftigen, auf den Grund gehen, rausfinden, was sich dahinter verbirgt. Ohne morgens zu wissen, was man abends tatsächlich erzählen kann. Dass Kleber eine ganze Reihe Einblicke in den eigenen Redaktionsalltag gibt, gehört dazu. So erfährt man ein wenig darüber, wie man in seiner Redaktion arbeitet. Anderswo ist es ein bisschen anders. Jedes Medium arbeitet ein bisschen anders. Aber letztlich geht es überall um dasselbe, „die Wahrheit zu suchen, mindestens das, was man nach bestem Wissen und Gewissen dafür halten darf, sie aufzuspüren, freizulegen, in Berichte packen und verbreiten zu dürfen, bleibt der schönste Beruf.“ Schreibt Kleber. Aber das bringt es so ungefähr auf den Punkt.

Tipp: Leser der aktuellen „Leipziger Zeitung“ Nr. 47 bekommen noch ein bisschen mehr zum Thema erzählt.

Claus Kleber Rettet die Wahrheit, Ullstein Verlag, Berlin 2017,8 Euro.

Die LEIPZIGER ZEITUNG ist da: Ab 15. September überall zu kaufen, wo es gute Zeitungen gibt

Ein Blitzlicht in einen drögen Wahlkampf, in dem alle ungelösten Probleme unter den Tisch gelächelt werden

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