Sie ist wieder da: viel drängender und folgenreicher als die anderen Male, als die Bodenfrage die deutsche Politik beschäftigte. Obwohl die Ursachen ganz ähnliche sind: Boden ist ein knappes Gut. Er kann nicht vermehrt werden, aber alle brauchen ihn – zum Bauen von Wohnungen, Schulen, Fabriken, zur Landwirtschaft und immer stärker auch zur Rettung des Klimas. Doch Boden ist zum Spekulationsobjekt geworden und wird der Allgemeinheit immer stärker entzogen. Zeit für ein Buch, das die Debatte neu befeuert.

Denn sie ist nicht neu. Sie bewegte die Gesetzgeber im alten Kaiserreich, in der Weimarer Republik, die Verfasser des Grundgesetzes und ab den 1970er Jahren auch Kommissionen, die neue Vorschläge erarbeiten sollten, wie in Deutschland der eklatante Widerspruch zwischen dem Privatbesitz an Grund und Boden und den brennenden Lebensbedürfnissen der Allgemeinheit gelöst werden kann.

Denn es ist ein Widerspruch, den das Grundgesetz mit seinem laschen Satz „Eigentum verpflichtet“ nicht gelöst hat. Im Gegenteil. Meistens wird er von den Grundbesitzern interpretiert als „Eigentum verpflichtet zum Vermehren“. Gern mit der Behauptung, „der Markt“ werde schon die bestmögliche Nutzung des Bodens erzwingen und private Besitzer könnten mit dem teuren Gut besser umgehen.

Doch Boden ist keine Ware im klassischen Sinn. Er kann nicht vermehrt werden. Seit Jahren ist klar, dass sich der Umgang mit diesem kostbaren Gut verändern muss, dass der jährliche Landfraß, der wertvolle Ackerflächen zerstört, aufhören muss, dass unsere Städte kompakter werden müssen und gleichzeitig die Natur wieder neue Rückzugsräume braucht, wenn wir die Artenvielfalt erhalten wollen. Und kompakte Städte brauchen Investitionen. Es sind nicht die Grundbesitzer, die Boden in den Städten wertvoll machen. Sie machen ihn nur teuer.

Wertvoll wird der Grund und Boden im Herzen der Stadt dadurch, dass die Kommunen Infrastrukturen bauen, die alle Grundstücke erschließen (Straßen, Wasserleitungen, Kanäle, S-Bahn- und Straßenbahnanbindungen). Aber auch Theater, Schulen, Kindertagesstätten, Museen und Einkaufsstraßen erhöhen den Wert der innerstädtischen Böden. Doch wer hier spekulativen Grund erworben hat, lässt die Kommune nicht an dieser Wertsteigerung teilhaben. Der Aufwertungsgewinn wird privatisiert und monetarisiert.

Und seit 2008 ist zusätzlich der Wurm drin, seit die (bis heute nicht wirklich bewältigte) Finanzkrise die Niedrigzinspolitik eingeleitet hat und all die „Investoren“ und Fondsgesellschaften, die zuvor in Rentenpapiere und Staatsfonds investiert hatten, begonnen haben, in noch sicherere Wertanlagen zu investieren: Sie kaufen überall auf der Welt auf, was an Boden auf den Markt kommt – Immobilien in Innenstädten, brachliegende Baugrundstücke in den Städten, Agrarflächen überall in der Welt und auch in (Ost-)Deutschland, wo Privatanlegern eigentlich verboten ist, landwirtschaftliche Flächen zu kaufen. Doch wer Geld hat, findet auch Wege, sich über Beteiligungen heimlich zum Mitbesitzer zu machen.

Das Ergebnis ist überall zu sehen: Die Bodenpreise sind seit 2008 massiv angestiegen, in den wachsenden Großstädten mittlerweile auf ein Maß, bei dem die Kommunen selbst nicht mehr mitbieten können.

Was übrigens auch Leipzig frühzeitig dazu gebracht hat, auf solche Vorratsankäufe zu verzichten. Dummerweise in einer Zeit, als die Preise vielleicht sogar noch hätten bezahlt werden können. Die besten Grundstücke gingen so an privat und die Stadt erlebt seitdem ein über zehn Jahre laufendes Dauerdrama um die Nicht-Bebauung dieser Grundstücke und einen zähen Kampf darum, auf diesen Brachen auch die dringend benötigten Infrastrukturen für funktionierende Stadtviertel gebaut zu bekommen – Schulen, Kitas, Sportplätze, Sporthallen, bezahlbare Wohnungen, Grünflächen, Radwege usw.

Kein Wunder, dass im Grunde alle Autor/-innen in diesem komplett in Rot gedruckten Buch feststellen, wie zahnlos die Stadtentwicklungspolitik in Deutschland mittlerweile geworden ist, weil die Städte ihren Flächenvorrat in anderen Zeiten leider fast komplett verkauft haben oder mit den geltenden gesetzlichen Rahmensetzungen so gut wie keine Chancen haben, die benötigten Flächen überhaupt zu kaufen – ganz zu schweigen von den Preisen, die schon lange nichts mehr mit den real am Standort erzielbaren Renditen zu tun haben.

Denn die Käufer all der Immobilien und Flächen lassen die Geschäfts- und Bürohäuser lieber leerstehen, als sie zu bezahlbaren Mieten wieder an den Markt zu bringen. Oder sie wetten auf einen noch lukrativeren Verkauf ihrer Brachflächen, denn weltweit sind die großen Fonds wie besessen auf der Suche nach Bodenflächen, in die sie ihre Gelder stecken können in der Hoffnung, dass die auch noch in zehn Jahren so werthaltig sind oder gar noch teurer.

Was viel mit der nicht-bewältigten Finanzkrise von 2008 zu tun hat. Aber es ist ja niemand in Sicht, der auch nur ein Programm hätte, diese Fehlentwicklung, mit der im Grunde die Spekulationen enthemmter Investmentbanken auf die Allgemeinheit (und ihre Ersparnisse) umgelegt wurden, demnächst zu reparieren.

Das ist ein anderes Thema. Aber es ist offensichtlich, dass die rasant steigenden Bodenpreise auch in Deutschland das direkte Ergebnis dieser Fehlentwicklung sind. Was eben auch dazu führt, dass die Mieten in den Großstädten durch die Decke gehen, denn irgendwer muss ja auch für die überteuerten Käufe bezahlen.

Und Mieter können in der Regel nicht ausweichen. Anders ist es bei Ladengeschäften und Büros: Wenn die Mieter dieser Flächen die Wunschmieten der zumeist in diversen Steuerspar-Oasen sitzenden Neueigentümer nicht (mehr) zahlen können, ziehen sie aus.

Die Corona-Pandemie hat diesen Prozess der systematischen Verödung unserer Innenstädte nur noch beschleunigt. Die abgeforderten Mieten entsprechen schon lange nicht mehr den erzielbaren Umsätzen. Die Welt der Immobilienspekulation ist zur Parallelwelt geworden, die mit der realen Welt nicht mehr viel zu tun hat.

Mit fatalen Folgen fürs Wohnen, für Einkaufslandschaften, für Zersiedelung der Landschaft und Bauernsterben. Und natürlich jene katastrophale von Monokulturen bestimmte Landwirtschaft, die für massive Bodenverluste, belastete Grundwasser und Flüsse und bedrohliche Artenverluste verantwortlich ist. Denn auch in Ostdeutschland sind die Preise für Ackerflächen durch das eifrige Mitbieten der Investmentfonds längst in Höhen gestiegen, in denen normale Bauern oder interessierte Genossenschaften nicht mehr mitbieten können.

Mit Ottmar Edenhofer wurde für diesen Band auch ein Mann interviewt, der die ökologischen und klimatischen Folgen dieser Fehlentwicklung beleuchten kann. Die Beiträge selbst wurden von Architekten, Städteplanern und Regionalentwicklern geschrieben, die das Thema der Bodenpreise jeweils aus ihrer fachlichen Sicht beleuchten – mit Martin zur Nedden auch ein ehemaliger Leipziger Baubürgermeister, der das Thema schon aus dieser Zeit im Leipziger Rathaus bestens kennt, es als Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik aber auch wissenschaftlich untermauert hat.

Denn eigentlich ist schon lange klar, dass der Boden nichts auf einem privaten Investorenmarkt zu suchen hat. Da er nicht vermehrbar ist, wird er auf so einem Markt nur immer teurer – und mittlerweile so teuer, dass die Allgemeinheit ihre elementaren Bedürfnisse nicht mehr erfüllen kann, weil die notwendigen Flächen den Städten entzogen sind. Was man lösen kann, da sind sich alle Autor/-innen sicher.

Die Vorschläge liegen schon lange auf dem Tisch – angefangen bei der kompletten Trennung von Besitz und Nutzung der Fläche – was unter anderem der in Leipzig endlich vermehrt in Anwendung gebrachten Erbpacht zugrunde liegt: Der Boden bleibt im Besitz der Kommune, der Pächter kann ihn aber für die vereinbarte Frist nutzen, macht also keinen Gewinn bei der Wertsteigerung des Bodens, sondern muss den Gewinn aus seinen Aktivitäten auf dem Grundstück generieren, so, wie es in einer funktionierenden Marktwirtschaft sein sollte.

Ein Vorschlag, den der einstige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel schon 1972 deutlich weitergehend formuliert hat mit der Überführung von Grund und Boden in Gemeindeeigentum und die komplette Abspaltung des privaten Nutzungsrechts. Ein Vorschlag, der dann in der Diskussion mit CDU und FDP völlig zerrieben wurde, die darauf beharrten, dass das Recht an Bodenbesitz Priorität haben müsse, gern in Verbindung mit der im Grundgesetz vereinbarten Verpflichtung.

Nur funktioniert das nicht. Wenn Boden zum Spekulationsobjekt wird, vergessen die Investoren ihre Verpflichtung sehr bald und nehmen ganz selbstverständlich die Bodenwertsteigerung, die durch die Investitionen der Kommunen erzeugt wurden, als Gewinn komplett auf ihre Kappe.

Ein zweiter Weg wäre eine richtige Bodensteuer, die die Bodenwertsteigerung dann wieder als Steuergewinn bei den Kommunen lässt. Denn damit müssten eigentlich all die Infrastrukturen finanziert werden, die die Bodenkäufer als so selbstverständlich voraussetzen. Dieses Geld fehlt den Kommunen.

Mit der Reform der Grundsteuer gibt es zwar eine Öffnungsklausel, mit der die Länder die Möglichkeit hätten, so eine Bodensteuer einzuführen. Aber bislang haben die wenigsten einen Ansatz gezeigt, solcherart wieder regulierend in einen völlig enthemmten Markt einzugreifen.

Die Herausgeber dieses Buches gehen freilich nicht davon aus, dass die Leser/-innen schon bewandert sind in der Materie. Denn so oft erscheint das Thema ja nicht in den Medien. Und wenn, dann wird selten erklärt, warum das so ist und was da falschläuft und wie die Spekulation mit Böden die Umverteilungsmaschine von den ärmeren Bevölkerungsschichten (die in der Regel nun einmal Mieter sind) hin zu den reichen weiter anheizt.

Was auch erklärt, warum Parteien wie CDU und FDP unbedingt am privaten Bodenbesitz festhalten wollen, denn der macht ihre Wählerklientel reich und belastet vor allem die Wähler der eher sozial eingestellten Parteien.

Also gibt es im Buch auch extra ein „Manual zur Bodenfrage“, in dem jeder einzelne Begriff, der in der Debatte wichtig ist, noch einmal mit kleiner Grafik erläutert wird, angefangen mit einem Thema, das erst in den letzten Jahren brennende Aktualität gewonnen hat – dem Boden und seiner Rolle als CO2-Speicher und damit seiner Rolle im Weltklima.

Das geht dann weiter über verlorene Kühlfunktion versiegelter Böden, den Bodenfraß einer deutschen Wirtschaft, die wie selbstverständlich auch noch Millionen Hektar in Südamerika in Anspruch nimmt, um „billiges“ Fleisch zu produzieren und – dann wieder billig zu exportieren.

Dann sind da noch die Wohnflächenansprüche einer Gesellschaft, in der sich die einen immer mehr Platz zum Wohnen leisten können und die anderen in immer teureren Wohnschachteln landen. Und über die mit falscher Bodenpolitik forcierte Trennung von Wohnen und Arbeiten gibt es genauso ein paar Ausführungen wie über die Umgehung der Grunderwerbssteuer ausgerechnet durch die großen Unternehmen, die sich die Steuer locker leisten könnten.

Es ist ein Buch, das zwar zeigt, wie lange die Debatte um eine wirklich sinnvolle Bodengesetzgebung in Deutschland schon geht, das aber auch zeigt, dass die Debatte jetzt erst richtig losgeht und losgehen muss. Denn mit der Spekulation mit Boden fließen auch die dringend nötigen Investitionen in die Zukunft des Landes ab, so, wie auch der Stadtplaner Christian Strauß schreibt: „Darüber hinaus fließt Kapital in immer größerem Umfang aus den regionalen Wertschöpfungsnetzen ab und erhöht den Gewinn von Eigentümern und Investoren außerhalb der Region im In- und Ausland.“

Was letztlich wieder die enormen Summen steigert, die wie irre um den Erdball rasen auf der Suche nach irgendeiner irgendwie noch werthaltigen Anlagemöglichkeit. Was die Zerstörung unserer Welt weiter befeuert.

So nebenbei deuten einige Autoren auch an, dass die Bodenwerte völlig anders ermittelt werden müssten – nicht über die tatsächlichen Summen aus den jährlich registrierten Kaufverträgen, was ja zu einer permanenten Steigerung der Bodenrichtwerte führt, die immer astronomischere Summen erzeugt, die für den Quadratmeter städtischen Bodens hingeblättert werden müssen.

Stattdessen müssten die auf der Fläche erwirtschaftbaren Renditen der Maßstab sein, sodass Städte auch wieder für ganz normale Investoren interessant werden, die hier Dinge bauen wollen, die in der Stadt tatsächlich gebraucht werden und für die es auch einen Bedarf gibt.

Man findet im Grunde die ganze seit über zehn Jahren schwelende Leipziger Diskussion mit in diesem Buch, auch wenn die Autor/-innen diese Probleme in anderen deutschen Städten (und Dörfern) erlebt haben, die alle mit denselben Fehlentwicklungen zu kämpfen haben. Eine Änderung des Bodenrechts ist überfällig, denn die meisten Städte haben keine Spielräume mehr. All das, was hier erwirtschaftet wird, fließt ab.

Auch über die Spekulation mit Immobilien und Flächen. So wie es auch Stephan Reiß-Schmidt, bis 2017 Leiter der Stadtentwicklungsplanung in München, beschreibt: „Immobilieninvestoren können dort einfach abwarten und die Renditen abschöpfen, die die Gemeinschaft produziert, weil sie Baurecht schafft und in Parks, Plätze, U- und Straßenbahnlinien, in Schulen und Bibliotheken, in Sicherheit und Zusammenleben investiert.“

Wenn so wichtige Güter wie Wohnen und Bauen so teuer werden, dass sie selbst für Bürger der Mittelschicht unerschwinglich werden, hat der viel beschworene „Markt“ versagt, und zwar gründlich. So langsam begreifen das derzeit zumindest die Stadtentwickler.

Die große Politik hört lieber noch das alte Lied von der Heiligkeit des Privatbesitzes, der für eine produktive Gesellschaft durchaus Sinn macht – aber nicht bei den knappen Gütern, die unsere Gemeinschaft zum Überleben braucht. Und wie wertvoll in diesem Sinn Boden tatsächlich ist, lernen wir gerade.

Stefan Rettich; Sabine Tastel Die Bodenfrage, Jovis Verlag, Berlin 2020, 16 Euro.

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