Marcus Mötz ist ein Hansdampf in allen Genres. Manchmal schlug er auch bei der Leipziger Internet Zeitung auf. Er arbeitet als Sprecher, Moderator und Videojournalist. Und jetzt hat er auch noch ein Buch geschrieben, eines, das die ganze Verrücktheit unseres heutigen Umgangs mit Medien, Privatleben und Partnerschaft in den Fokus nimmt. Und zwar ganz und gar nicht sprichwörtlich.

Wir leben ja in einer Welt, in der sich gerade jüngere Menschen längst daran gewöhnt haben, dass die Hälfte ihres Lebens digital stattfindet. Das Internet ermöglicht es allen, jederzeit nicht nur digital präsent zu sein, sondern auch selbst zum Produzenten zu werden von allem, was mit den technischen Spielzeugen aus dem Technikmarkt alles möglich ist.Jeder kann seinen eigenen Videokanal aufmachen – nicht nur bei YouTube, sondern auch in all den sehr speziellen Netzwerken, wo man sich zu den besonders delikaten Angelegenheiten trifft. Oder besser: nicht trifft. Denn die meisten sind auch dort nur Zuschauer, konsumieren, was ihnen geboten wird, vom Kochkurs über die GoPro-Jagden bis – na ja – zum ganz privaten Sexerlebnis, das auch Amateure längst ins Netz hochladen und damit einer neugierigen Community zugänglich machen.

So, wie es auch Fabian in diesem Buch macht, der sich als Taxifahrer in Leipzig seine Mäuse verdient und mit seinen Eltern natürlich im Dauerclinch liegt, die nicht nur bedauern, dass er sein Studium nicht zu Ende gebracht hat, sondern auch noch in so einem gefährlichen Job in der Nacht unterwegs ist. Eltern hören nie wirklich auf, sich Sorgen zu machen.

Man versteht ja, dass sie ihrem Fabian immer wieder mit sorgenvollen Anrufen auf den Keks gehen – dabei freilich noch zusätzlich dafür sorgen, dass der Junge nicht mehr wirklich weiß, wo sein Kopf steht, denn die Ereignisse überstürzen sich ein bisschen, nachdem er einfach das mit Leni gedrehte Sex-Video ins Netz gestellt hat.

Wo dann ja bekanntlich weitere Stressmacher lauern. Es ist egal, welches Portal man dort besucht, alle funktionieren nach demselben Schema: Druck machen auf die Nutzer, Klickzahlen hochjazzen und die Content-Anbieter (in diesem Fall also Fabian mit seinem kleinen Sexfilm) dazu antreiben, noch mehr Material einzustellen, damit es noch mehr Klicks gibt.

Nirgendwo verwirklicht sich die Idee eines völlig entfesselten Kapitalismus so offensichtlich für alle wie in dieser Klickmaschinerie des Internets. Natürlich mit dem Ergebnis, dass alles entwertet wird: Man lässt die Nutzer zu Produzenten werden, manche machen sich auch selbst zu Influenceren und ganz wenige verdienen damit auch ein Heidengeld. Aber die meisten verdienen nur Cents und werden trotzdem getrieben von der Verlockung, mit ihren Filmchen vielleicht mal richtig Geld verdienen zu können.

Und Fabian bekommt gleich noch einen weiteren Quälgeist frei Haus, einen gewissen Ralph, der mit ihm Kontakt aufnimmt und ihn und seine Leni nur zu gern als neue Porno-Stars managen möchte.

Nur: Leni wusste nichts davon, dass Fabian den Clip einfach ins Netz gestellt hat.

Was ja auch so ein Problem unserer Zeit ist, in der alle Mittel jederzeit verfügbar sind, anzügliche Bilder und Filmchen ganz privat herzustellen. Und dann landet so manches davon dann doch irgendwie im Internet, oft genug von verärgerten Ex-Partnern hochgeladen. Und man steht da, im wahrsten Sinn des Wortes: völlig entblößt.

Und gerade im Boulevard unserer Zeit wird es lustvoll zelebriert: bekannte und unbekannte Menschen öffentlich derart bloßzustellen und zu beschämen.

Dazu kommt es nicht ganz. Aber Fabian erlebt natürlich das, was zwangsläufig folgt, wenn man so etwas ohne Wissen der Partnerin macht. Leni zieht aus, ausgerechnet zu ihrer bissigen Cousine, die Fabian schon seit Jahren für eine Fehlbesetzung hält. Und dem von seinem flotten „Erfolg“ anfangs wie Trunkenen stehen einige Tage bevor, in denen er nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Alles passiert ja gleichzeitig.

Und am Ende steht er gar in der Warteschlange für ein Porno-Darsteller-Casting. Aber da führt der Buchtitel bewusst ein wenig aufs Glatteis, denn an der Stelle streikt auch Fabian und legt den Schalter um. Denn war er bisher nur ein Getriebener, den der schnelle Ruhm des Internets in seinem Bann hielt, wehrt sich nun doch etwas in ihm.

Etwas, was einen als Leser eigentlich die ganze Zeit beschäftigt: Ist der Mensch wirklich so deppert leicht anzufixen, für ein paar Peanuts alles von sich preiszugeben, sich blank zu machen und alle Integrität zu verkaufen im Internet? Und sind die jungen Leute von heute alle derart gefühllos für sich selbst, so oberflächlich, dass ihnen Klicks im Netz wichtiger sind als eine 14-jährige Partnerschaft?

Es geht dann natürlich anders aus, als gedacht, auch wenn es nicht zu den süßlichen Versöhnungsszenen kommt, mit denen uns schlechte Fernsehfilme suggerieren, dass das Leben wieder heil und gekittet ist, wenn nur der traurige Held der Geschichte einsieht, was er falsch gemacht hat, und beichtet.

Obwohl Fabian tatsächlich beichtet, und das auch noch so öffentlich, wie das heutzutage möglich ist: live im Radio. Aber das wollte und musste erst mal alles raus. Und dann wird es geradezu hollywoodmäßig, denn auch Leni bekommt das mit. Die Versöhnung kann kommen, kommt auch, aber doch eine Ecke anders als in den braven Alles-wird-gut-Filmen aus der Vergangenheit.

Das wird dann für Fabian zu einer neuen Überraschung, verschärft aber die Frage, die er ja mit seinem Handeln selbst aufgeworfen hat: Wo verläuft am Ende überhaupt noch die Grenze zwischen Geldverdienen im Internet und Privatleben? Oder werden wir uns künftig alle online vermarkten, auch noch unser Persönlichstes und Intimstes herzeigen, damit irgendwelche wildfremden Menschen das dann anklicken und sich unterhalten fühlen? Oder inszenieren wir uns dann alle virtuell, wird aus den bunten Geschichten aus den alten Frauenzeitschriften dann also ein buntes Partnerschaftserlebnisprogramm im Netz?

Sind Begriffe wie Scham, Intimität und Privatsphäre dann allesamt erledigt? Oder ist das schon heute so? – Eine nicht ganz abwegige Frage, denn sichtlich kollidieren die online inszenierten Enthemmungen immer öfter mit einer Wirklichkeit, in der die Menschen tatsächlich angewiesen sind auf ihre persönlichen Schutzsphären. Können die meisten Nutzer/-innen überhaupt unterscheiden zwischen Inszenierung und Realität?

Die Erfahrung sagt einem: Sie können es nicht. Und trotzdem ist das dieser erstaunliche Drang vieler Zeitgenoss/-innen, die unbedingt zu kleinen Stars werden möchten. Das Privatfernsehen hat es ja schon seit Jahrzehnten vorgemacht. Wenigstens so berühmt, dass sie von anderen im Supermarkt erkannt werden: Guck mal, ist das nicht …?

Am Ende lässt Marcus Mötz seine Geschichte komplett kippen und es ist sein Held Fabian, der empört ausruft: „Und wie ich mich dabei fühle, ist dir scheißegal?“

Immerhin hatte er ja in den vergangenen Tagen genug Gelegenheit, sich mit dieser Frage zu konfrontieren. Die eigentlich eine der Grundfragen unserer Zeit ist: Was ist das eigentlich für eine Zumutung, dass ein riesiger Markt von seinen Nutzer/-innen und Konsument/-innen immer mehr Selbstentblößung verlangt? Und was richtet das mit dem Gefühl in unseren Köpfen an, was wir noch für normal halten und was schlicht für übergriffig und verletzend? Und wo entstehen die neuen Verletzungen, weil einem ständig eingeredet wird, das sei jetzt normal?

Unter der scheinbar leichthin erzählten Geschichte lauern ein paar durchaus bissige Fragen. Auf die es natürlich keine Antworten gibt. Für die werden Fabian und Leni wohl noch ein paar Jahre brauchen, bis sie sich auch eingestehen, was für eine Zumutung die heutigen Arbeitswelten sind, diese ganzen tollen freien Jobs, die einen am Ende auf die verrücktesten Gedanken bringen, wenn man nicht gleich Taxifahrer werden möchte. Was aber – wie auch Fabian erfährt – auch gerade ein Beruf ist, den die wild gewordenen „StartUps“ von heute gerade gründlich demolieren.

Marcus Mötz Von einem, der sich auszog, Periplaneta, Berlin 2021, 13,50 Euro.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar