Schon nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 wagte sich der Journalist, Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx mit einem Buch an die Öffentlichkeit, in dem er seine Leser/-innen mitnahm in „Die Zukunft nach Corona“. Und bekam entsprechend auch deftige Reaktionen aus der Leserschaft. Eine zitiert er im Nachwort. Denn dass nach Corona auch nur das Geringste anders werden könnte, bezweifeln ziemlich viele Leute.

Aber Horx wäre nicht der, der er ist, wenn ihn das nicht auf Gedanken bringen könnte. Wobei man ihn auch in Schutz nehmen muss: Das, was sich auf dem weltweiten Markt der Zukunftsvorhersage tummelt, damit hat er nichts zu tun. Mit viel mehr Recht könnte er sich Krisenforscher nennen. Der Begriff würde stimmen, aber trotzdem völlig in die Irre führen, weil man dabei auch wieder an Leute denkt, die ihr Geld damit verdienen, Ursachen und Folgen von Krisen zu erforschen. Oft mit einem rationalen Impetus, der Wissenschaftlichkeit suggeriert, wo keine ist.Dabei zitieren sie alle nur zu gern den Wortsinn des griechischen Worts Krise, auch wenn sie nicht mal ansatzweise darüber nachdenken, was wirklich in dieser herrlichen Doppeldeutigkeit steckt. Horx hat es getan, auch weil er mit einem Märchen aufräumt, das die meisten mit dem Begriff Krise verbinden: dass Krisen vermeidbar wären und eigentlich nur eine Gesellschaft und ein Leben ohne Krisen erstrebenswert.

Das ist auch das große Märchen hinter den Träumen unserer aktuellen Gesellschaft, das während der ersten Corona-Monate gewaltige Kratzer, Beulen und Dellen bekommen hat. Denn ganze Bauteile unserer ach so zufriedenen Wohlstandsgesellschaft erwiesen sich unter der Belastung der Pandemie und ihrer Auswirkungen als mürbe, verrostet, kaputtgespart, vernachlässigt, verschlissen usw.

Krisen machen sichtbar, was nicht mehr funktioniert. Und auch, wo eine Gesellschaft selbst nicht mehr weiterweiß. Ein Thema, auf das Horx schon sehr ausführlich eingegangen ist. Denn Gesellschaften beginnen natürlich an sich selbst zu zweifeln, wenn sie nicht mehr darauf vertrauen, dass der Weg der richtige ist.

Oder wenn gar die Bilder einer möglichen Zukunft verblassen oder gar nicht mehr vorhanden sind. Oder das, was einem auf dem Markt als Zukunft verkauft wird, nicht mehr überzeugt, eher das flaue Gefühl ergibt, dass man Clowns auf den Leim gegangen ist. Und mal ehrlich: Eine Zukunft, in der die Künstliche Intelligenz die Macht übernimmt, als Zukunft zu verkaufen, das grenzt schon an bewusste Irreführung.

Und ganz sicher hat Horx’ Buch auch eine wunde Stelle getroffen. Denn zur Krise gehören auch die ganz persönlichen Sinnkrisen der Menschen, die natürlich das beklemmende Gefühl haben, dass es so nicht mehr weitergeht. Was eben auch bedeutet: Wer die (mögliche) Zukunft erforschen will, muss in die Köpfe der Menschen schauen.

Denn da entsteht sie – abgesehen von den unausweichlichen Vorgängen in unserer Umwelt, auf die einige Zeitgenossen ja regelrecht entsetzt geschaut haben, weil sie zutiefst überzeugt sind, dass menschliche Technik alle Gefahren bannen kann. Die ganze aktuelle Wohlstandsgesellschaft baut auf diesem Glauben auf.

„Corona hat uns womöglich dorthin geführt, dass wir den Glauben an den linearen technologischen globalen Fortschritt nicht mehr wirklich empfinden können“, schreibt Horx nun in seinem neuen Buch. „Dem Versprechen, in einer immer sicheren, abgesicherten Welt leben zu können, in der alles immer effizienter, schneller, vernetzter, sicherer und gleichzeitig vergnüglicher wird. Das Versprechen des digitalen Kapitalismus, der dominante Zukunfts-Code unserer Zeit, ist in die Bredouille geraten.“

Aber Horx läuft eben nicht herum und fragt irgendwelche Technik-Freaks, was für tolle Erfindungen sie für die Zukunft erwarten. Horx verweist auf die menschliche Geschichte, die immer voller Krisen war. Und wer genau hinschaut, sieht, dass am Beginn jeder einschneidenden gesellschaftlichen Veränderung eine Krise stand. Krisen zwingen Gesellschaften regelrecht dazu, neue Wege einzuschlagen.

Und sie bringen Menschen auf Ideen. Denn da sie – oft in aller Brutalität – zeigen, dass das Alte gerade untergeht, geben sie die Bremsen frei, die Menschen oft daran hindern, über neue Wege und Möglichkeiten nachzudenken. Und es sind nicht nur Diktaturen, die auf Erneuerer und Reformer mit Verweigerung, Behinderung und Ignoranz reagieren. Das können auch Demokratien.

Es ist ja nicht so, dass die Coronakrise die einzige ist, die uns plagt. Die Krise unserer Umwelt und unseres Klimas schwelt schon viel länger und ist ein unübersehbares Beispiel dafür, wie sich auch offene Gesellschaften mit Händen und Füßen gegen Veränderungen wehren. Und das zum Teil auch mit perfiden Methoden.

Eine ist zum Beispiel die Skandalisierung und Schwarzmalerei, worauf Horx gerade in den einführenden Kapiteln besonders eingeht. In dem analysiert er auf eine sehr nachvollziehbare Art, wie es in unserer Kommunikation derart entgleisen konnte, wie Zynismus um sich greift und die Emotionsmaschinen der „toxic media“ dafür sorgen, dass Menschen nicht nur in Informationsblasen landen.

Denn das ist ja ein falsches Bild: Die Algorithmen der von Klicks besessenen IT-Konzerne sorgen regelrecht dafür, dass zusehends vereinsamende Menschen (denn die Daueraufmerksamkeit auf das, was in den Netzen ständig zu passieren scheint, kappt ja zunehmend alle realen menschlichen Begegnungen und Gespräche), nur noch fixiert sind auf die Belohnungssysteme der ganzen Quasselmaschinen.

Und Belohnung gibt es dort für Klicks. Und die erzeugt man mit Postings, die für Echo sorgen – Wut, Hass, Übertreibungen, Beleidigungen, Großmäuligkeit, erfundene Geschichten, je schlimmer, umso mehr Klicks. Die Maschinen befördern die völlige Entgleisung der Kommunikation. Und sie belohnen genau das, was menschliche Kommunikation zerstört und unmöglich macht.

Aber wenn Menschen zynisch werden, suchen sie nicht mehr nach Lösungen. „Zynismus ist eine Verherrlichung der Negativität“, schreibt Horx. „Zynische Menschen haben das Staunen verlernt – jene ursprüngliche Neugier, mit der wir die Welt als Wandel betrachten können.“ Und etwas weiter: „Alle Formen des Zynismus sind in ihrem Kern Beziehungsverweigerungen. Sie weisen ab. Zynismus verweigert den Trost, die Zu-Neigung zu anderen, zum Leiden und zum Leben. Und zur Zukunft.“

So klar hat zuletzt niemand sonst den psychischen Zustand unserer Gesellschaft auf den Punkt gebracht. Viele Leser – auch die, die Horx nach dem letzten Buch so kritische Briefe geschrieben haben – dürften sich wiedererkennen, wenn er schreibt: „Zyniker sind ins Misslingen verliebt. Sie beziehen ihr Selbstwertgefühl aus der Pose der Überlegenheit. Sie haben immer alles schon gewusst, wissen immer alles besser. Das ist die Stimmungslage der manischen Internet-Kommunikation, der digitalen Häme, der unendlichen Hick-Hack-Debatten, die zu nichts führen als zu geistigen Entzündungen.“

Im Grunde ist hier die dritte Krise sichtbar, vor deren Lösung auch die Politik seit Jahren scheut. Man ignoriert sie lieber, tut so, als würde sie nicht fortwährend Unheil anrichten, während man hier und da ein bisschen herumdoktert, aber gleichzeitig so tut, als wären Veränderungen unzumutbar, würden Wirtschaft und Arbeitsplätze gefährden, die Wettbewerbsfähigkeit zerstören und was der sonstigen Phrasen noch so sind, dass man Veränderungen geradezu zum Tabu erklärt.

Ist Horx da also ein Pessimist? Er hält es da lieber mit Hans Rosling, der von sich immer wieder sagte, dass er sich als Possibilist begreift, als ein Mensch, der in Krisen immer die Möglichkeiten sieht, die Chancen, dass etwas Neues entsteht, weil das Alte vor unseren Augen zerbröselt.

Und im Grunde nimmt Horx seine Leser/-innen auch in diesem neuen Buch noch einmal mit auf die Reise mitten hinein in die Krise, die schon an vielen Stellen sichtbare Erkenntnis, dass vieles einfach so nicht mehr weiterfunktioniert und eine Katharsis möglich ist. Die beginnt nämlich in dem Moment, in dem wir uns nicht mehr verbieten, über andere Möglichkeiten (Alternativen) nachzudenken.

Denn das tun die meisten Menschen. Deswegen sind sie mit Reizworten wie „Verbot“ und „Verzicht“ so leicht zu ködern und in panische Ängste zu versetzen. Obwohl jede und jeder – so betont Horx – im eigenen Leben schon mehrfach erlebt haben muss, dass Krisen dazugehören und dass man sie meisten nicht nur übersteht, sondern hinterher auch bereit ist für etwas Neues: sei es der Tod eines geliebten Menschen, eine gescheiterte Ehe, eine schwere Krankheit, ein Unfall oder eine Unternehmensinsolvenz.

Natürlich gibt es Menschen, die dann das Scheitern zu ihrer Lebensmaxime machen. Jeder weiß, dass man es mit diesen Menschen keine Stunde lang aushält, weil sie einen regelrecht runterziehen und eine Aggression erwecken, die man wirklich erst versteht, wenn man wie die alten griechischem Philosophen akzeptiert, dass der Mensch nicht zum Scheitern geschaffen ist, sondern zum Wiederaufstehen und Losgehen: „Mal sehen, was kommt.“

Und eigentlich macht ja Horx nichts anderes, wenn er seine Leser/-innen genau auf diese in uns allen lebendige Neugier verweist, die den Menschen auch schon als Jäger und Sammler zum Überlebenskünstler gemacht hat: Bangemachen ist zwar die Spezialität einiger Religionen, Parteien und Schamanen. Von Diktatoren sowieso. Mit Angst verhindert man Zukunft.

Und stellenweise deutet Horx auch an, wie sehr dieses Bangemachen zum Grundbestand unserer Gesellschaft gehört. Denn zu dieser Angst gehört auch das anerzogene Gefühl, immer der Beste sein zu müssen, immer das Beste zu bekommen und alles, was nicht Spitze ist, abzuwerten und zu verachten. Eine Leitungsgesellschaft wie die unsere trägt ihren Zynismus ganz tief im Fundament mit sich.

Und dann auf einmal geraten die ach so  gepriesenen „Werte“ ins Rutschen, funktionieren die einfachsten Dinge nur noch mit Stottern, geht der auf Hochglanz polierten Maschine auf einmal die Puste aus. Und dann kommen da diese Störenfriede und erklären, dass sich die Dinge ändern müssen. Wo gibt’s denn so was?

Das auf So-muss-es-Sein trainierte Gehirn verweigert das Um-Denken. Und eine Menge Leute reagieren mit Wut. „Wut ist eine Art Reibung des Mind an sich selbst – an seinem Unvermögen, die Welt mit zukünftigen Augen zu sehen“, schreibt Horx. „Wir versuchen also, das Neue, das sich entwickeln könnte, mit den Mitteln des alten Denkens und Erwartens auszustechen.“

Er skizziert zwar einige Entwicklungen, die sich im ersten Corona-Jahr schon zeigten und die mögliche Veränderungen in der Zeit nach Corona schon andeuten. Aber er schreibt natürlich nicht, dass es so kommen muss.

Aber natürlich schürt er den Zweifel, denn wenn die netzbasierte Kommunikation mit den mittlerweile marktbeherrschenden IT-Konzernen nicht funktioniert und sogar zur Gefahr für unsere Gesellschaft wird, stimmt natürlich auch etwas an den Heilsversprechen dieser Konzerne nicht. Und auch nicht an ihrem Menschenbild. Was sind das für Leute, die so überzeugt von der Genialität ihrer Technologien sind, dass sie den Menschen einfach für überflüssig erklären? Zum bloßen Anhängsel?

Gar der ganzen Menschheit die Fähigkeit absprechen, Lösungen für eine lebbare Zukunft auf diesem Planeten zu finden? Was für eine Überhebung!

Und gleichzeitig Ignoranz. Denn die Typen haben natürlich auch Angst, dass ihre Elefanten auf tönernen Füßen zusammenbrechen könnten, wenn die Menschen den Glauben an sie verlieren. Das muss man auch mal erwähnen: Die ganzen Traumkonzerne aus dem Silicon Valley existieren nur, weil viele Menschen glauben, dass sie deren Produkte unbedingt brauchen und die ihr Leben bereichern.

Obwohl schon die kleine Ausschalt-Zeit, die sich Manche im Lockdown gönnten, zeigte, was wir eigentlich verlieren, wenn wir die ganze Zeit in den digitalen Quatschblasen unterwegs sind und uns die Tage mit ständig neuen fürchterlichen negativen Nachrichten zuballern, denn genau die werden von diesen irren Algorithmen ja nach oben gerankt. Die anderen Nachrichten bekommt fast keiner zu sehen. Ergebnis: blanker Zynismus. Die Welt ist soooo schlecht! Die Menschheit ist reif zum Verschwinden …

Ja, wer immer nur in so einer negativen Nachrichtensoße schwimmt, muss ja zwangsläufig zum Zyniker werden. Und vereinsamen.

Dabei haben Stoiker, wie Horx zu Recht feststellt, mehr vom Leben. Denn sie ignorieren die Wechselfälle des Lebens nicht und fühlen sich auch in Krisen wohl, weil sie ganz genau wissen, dass es jedes Mal eine Katharsis gibt und hinterher neue Möglichkeiten sich auftun.

„Gesellschaftliche Zukunft entsteht, wenn wir uns selbst verantworten können“, schreibt Horx. „Anstatt ‚den Verhältnissen‘ oder ‚den Herrschenden‘ hinterherzujammern.“ Denn in diesem Gejammer steckt die ganze selbst verschuldete Kleinmacherei, so ein richtig gepflegter deutscher Untertanengeist, der immer darauf wartet, dass „die da oben“ irgendwas befehlen. Und wenn sie was befehlen, ist es auch nicht recht.

Aber Zukunft kommt nicht auf Befehl, sie tritt auch nicht ein. Deswegen auch der Zweifel an diesem Wort Zukunftsforscher, denn was da kommt, kann niemand erforschen. Und auch nicht erraten. Was wir können, das liegt immer im Jetzt. Horx: „Die Welt ist in Bewegung geraten, und diese Bewegung kann zu etwas Neuem führen. Wir können diese Bewegung wahrnehmen. Und sie durch unser Sein und Handeln verstärken.“

Jeder da, wo er lebt, im eigenen Umfeld. Man muss nicht allein die Welt retten wollen. Aber handeln kann man sogar auf kleinster Ebene – mit sich selbst und seiner Umwelt. Denn auch dort ist „Zukunft als Möglichkeitsraum“ zu finden. Den Sinn gibt jeder seinem Leben selbst. Der Rest ist: ausprobieren, sich selbst etwas zutrauen, das Mögliche anpacken.

So könnten wir auch die ziemlich großen Krisen meistern, wenn wir uns das nur zutrauen, meint Horx. Und die Krisen als Chancen begreifen, zu zeigen, dass wir zusammen auf gute Ideen kommen können. Also hier draußen, im richtigen Leben. Wo man sich noch richtig begegnen und in die Augen schauen kann. Die Zyniker lassen wir im Netz. Da können sie sich austoben. Wir Stoiker treffen uns hier draußen und fangen schon mal klein an. So beginnen Veränderungen nämlich. Mit einem Weizenkorn auf dem ersten Feld des Schachbretts.

Matthias Horx Die Hoffnung nach der Krise, Econ Verlag, Berlin 2021, 15 Euro.

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