Man erkennt zwar Leipzig nicht unbedingt wieder. Die Stadt, die Layla besucht, wirkt in den Bildern von Muntaha Al-Robaiy sehr orientalisch. Aber es steckt trotzdem ein Stück Leipzig in dieser Geschichte. Denn auch Leipzig geht mit seinen Stadttieren und ihren Lebensräumen nicht sehr rücksichtsvoll um.

Und das nur deshalb, weil die einen einfach aus Faulheit ihren Müll auf den Wiesen liegen lassen, andere mähen die Wiesen selbst dann noch, wenn es seit Wochen nicht geregnet hat, nebenan staubt und stinkt die Schnellstraße und in Teilen der Stadt verschwinden immer mehr grüne Oasen, die bis jetzt Tieren eine Zuflucht gegeben haben.

Auf den ersten Blick sieht alles noch einigermaßen in Ordnung aus. Aber wer jung ist und die lebendige Vielfalt liebt, der schaut doch sehr irritiert auf die Veränderungen, die scheinbar schleichend vor sich gehen, obwohl sich die Stadt groß das Label „Nachhaltigkeit“ aufs Bettlaken geschrieben hat.

So verschwinden die Stadttiere scheinbar ganz lautlos – Vögel verlieren ihre Nistplätze, wenn Gehölze gerodet werden, Igel ihre Zuflucht, Insekten können auf kahlem Rasen keine Nahrung finden und auch keinen Nachwuchs hervorbringen.

Wo die einen achtlos vorbeigehen und gar nichts mehr merken, weil auch nichts zu hören ist und sie gar nicht wissen, welche Artenvielfalt eigentlich in einer Stadt zu Hause ist, bekommen andere Beklemmungen und Ängste. Denn wenn man es ernst nimmt, hält man es eigentlich nicht aus auch nur zu denken, dass unsere Städte einmal stumm werden, dass nichts mehr flattert und zwitschert und summt.

Rettung aus dem Zauberwald

Für Muntaha Al-Robaiy und Nicole Nickler, beide 23 Jahre alt, ist die Stadt ohne Tiere ein Schreckensszenario. Muntaha Al-Robaiy wurde 1999 im Irak geboren, lebt aber seit 2001 in Leipzig. Nicole Nickler ist selbst ein Leipziger Kind.

Laylas Geschichte haben sie gemeinsam erschaffen. Eine eigentlich recht einfache Geschichte, die direkt aus der Welt der Fantasy kommt. Denn Layla lebt tatsächlich in einem Zauberwald. Sie beherrscht die Sprache der Tiere. Und als die weise Eule Windflug mit dem Hilferuf aus der Stadt zurückkehrt, den Tieren dort ginge es immer schlechter, sie würden dort nicht mehr lange bleiben können, macht sich Layla tapfer auf den Weg, um die Tiere in der Stadt zu retten.

Sie hat nicht viel Zeit. Eine Sanduhr zählt ihr unbarmherzig die Zeit. Sie muss einen Freund finden, der ihr dort hilft, sie muss den Hasen Weißfell finden und auch noch einen Erwachsenen, der die Sache in der Menschenwelt in die Hand nimmt.

Und wie die Menschenwelt aussieht, erlebt Layla schon beim Gang durch die Stadt, in der sie sich fast zu verlaufen droht. Die Straßen sind voller Autos, es ist laut, staubig und gefährlich. Und das einzige, was Laylas Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind die großen Schaufenster mit lauter verlockenden Dingen, die die Menschen sich kaufen können.

Dingen, für die die lebendige Welt jenseits der Stadt geplündert wird. Während die Stadt selbst wie ein Labyrinth ist, in dem Layla lange suchen muss, bis sie endlich mit der Hilfe des Jungen Milo den kleinen, vermüllten Park findet, den kleinen Wasserfall und den Weg in die Zauberwelt dahinter.

Ein kleiner Gruß aus dem Wunderland. Als hätte sich die schillernde, lebendige Welt der Tiere hinter den kleinen Wasserfall zurückgezogen, wohin die Menschen selbst nicht kommen.

Die Gleichgültigkeit der Menschen

Aber eigentlich ist die Sache klar. Layla lässt sie sich trotzdem noch von den Tieren erklären, die nicht mehr wissen, wohin sie sollen. Irgendjemand muss anfangen, die Gleichgültigkeit der Menschen zu beenden. Irgendjemand muss anfangen, den Müll einzusammeln und überhaupt wieder sichtbar zu machen, wie wertvoll und schön das Grün in der Stadt ist.

Das dürfte vielen Leipzigern vertraut sein. Denn so rücken sie ja auch aus in jedem Frühjahr, um den Müll ihrer dummen, blinden und rücksichtslosen Mitmenschen einzusammeln. Tonnenweise, wie wir wissen.

Aber dahinter steckt genau die Motivation, die Layla dazu bringt, anzufangen und die anderen Parkbesucher zum Mitmachen zu bewegen. Natürlich ist das eine märchenhafte Geschichte. Und natürlich gelingt ihr, was sie sich vorgenommen hat. Man ahnt schon, mit welcher Motivation sich die beiden Autorinnen zusammengetan haben.

Es ist eine Ermutigungsgeschichte für Kinder, sich die Vermüllung ihrer Welt nicht gefallen zu lassen, sich nicht einschüchtern zu lassen von denen, die den schwindenden Reichtum unserer lebendigen Umwelt auch noch mit Füßen treten.

Und dass die Geschichte einen gewissen orientalischen Charme hat, liegt natürlich an den Zeichnungen von Muntaha Al-Robaiy, mit denen das Buch reich bestückt ist. Lauter kleine Fensterchen in eine märchenhafte Welt, die eben nicht nur Fantasy ist, sondern die lebendige Welt neben uns. Das, was Kinder noch mit großen Augen bestaunen können, wenn sie es finden.

Trau dich, fang an

Gerade die Fantasy lebt davon, dass sich junge und ältere Leser noch vorstellen können, dass die Welt nicht nur aus kurzgetrimmtem Rasen, Müll und Stress besteht, sondern aus einer überwältigenden Vielfalt, die aber verschwindet, wenn der Mensch alles abmäht, zubaut, pflastert und dem Nützlichkeitsdenken unterwirft.

Zum Träumen braucht es eine traumhafte Welt. Kinder wissen das noch. Und sie werden auch die Botschaft dieser Geschichte verstehen. Einer Geschichte, die nun einmal auch die zentrale Geschichte der jungen Generation ist, die heute schon weiß, wie gefährdet selbst all das ist, was die Älteren noch übrig gelassen haben vom einstigen Summen und Flattern der Welt.

Und wie das so ist, am Ende wacht Layla auf, und zwar nicht im Zauberwald, wo sie die Sprache der Tiere versteht.

Aber man muss die Sprache der Tiere auch nicht verstehen, um zu merken, in welcher Not unsere lebendige Welt längst ist. Layla hat nur „ein Stück Natur vor der Verschmutzung“ gerettet.

Aber genau so fängt man an, sich zu kümmern um die bedrohte Mitwelt. Da, wo man lebt und wo man Mitstreiter findet. Oder wie es die beiden Autorinnen am Ende formulieren: „Denn jeden Traum kannst du wahr werden lassen. Du musst dich nur trauen und den ersten Schritt machen.“

Muntaha Al-Robaiy, Nicole Nickler Layla aus dem Zauberwald, Mirabilis Verlag, Klipphausen/Miltitz 2022, 14,90 Euro.

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