Wie schreibt man eigentlich Gedichte über etwas, über das man eigentlich keine Gedichte schreiben kann – eben den durch menschliche Ignoranz ausgelösten Klimawandel, der gerade dabei ist, immer größere Teile unserer Erde unbewohnbar zu machen? Wie gehen Dichterinnen und Dichte damit um? Werden sie elegisch? Überschwemmt die Trauer alles? Oder reißt sie die Wut zu wortgewaltigen Anklagen hin? Alles ist möglich.

Nicht alles wurde versucht, als sich die Einsendenden für dieses neue Poesiealbum neu an das gewaltige Thema machten. Ein Donnerwetter wäre schön gewesen, so ein richtiges, bei dem der Himmel aufreißt und die Dichter den feigen, faulen und verlogenen Herren der Welt die Leviten lesen. Und den Faulen und Denkfaulen da unten auf Erden natürlich auch, denn die große Zerstörung würde nicht stattfinden, würden Menschen ihrer Vernunft nachgeben.

Doch sie sind nicht vernünftig. Und das hat Folgen. Die erste: Gierige und dumme Politiker nehmen das als Vorwand, nichts zu tun, nichts zu ändern, alles beim Alten und Irren zu lassen.

Die Folgen sieht, wer hinschaut. Und sie leiden, die Schauenden. Das ist unüberlesbar. Die Dichterinnen und Dichter leiden an dem, was sich längst vor unser aller Augen abspielt – an brennenden Wäldern, versiegenden Flüssen. An verglühenden Feldern und dem Verstummen der Natur. Ein kleiner Teich, einst Lebensraum der Gelbbauchunke, trocknet einfach aus. Und damit eine ganze Welt.

Da geht der Bayer halt auf Stelzen …

Aber wer hört auf Dichterinnen? Wer nimmt sie ernst in ihrer Sorge um diese Welt? Die Mächtigen und Eitlen ganz bestimmt nicht. Nicht mal die Kleinkarierten in Bayern, auf die Wolfgang Uster eine richtig bissige Satire geschrieben hat: „Das Land wird nass. / Die Gletscher schmelzen. / Da geht der Bayer halt auf Stelzen …“

Sie schauen nicht nur aufs Wetter und nicht nur aufs Thermometer. Sie sehen auch, wie menschliche Gier den Reichtum der Welt gnadenlos an sich rafft und zerstört – so wie es Ulrich Straeter in „Das große Fressen“ beschreibt.

Und da Dichter auch mit Dichtern korrespondieren, gern über Jahrhunderte hinweg, weitet sich der Blick, wird immer wieder gern der Eichendorff-Ton angestimmt – und der ach so romantische Lobpreis der Natur demontiert. Denn das, was der Dichter der Romantik einst mit Freuden besang, ist versengt, verbrannt, versiegelt und zerstört. „Es kummert mich“, zitiert Reinhild Paarmann ihre eigene Trauer als Kind, wenn sie Kummer hatte. Denn es kummert sie wieder, wie wir unsere einmalig schöne Erde verbrennen.

Selbst Hölderlin würde verstummen. Oder verzweifeln. In seinem Ton schrieb Gertraude Grabert ihre „Ode an die Natur“. Im Grunde bringt es Gerald Jatzek mit ein paar wenigen Worten auf den Punkt: „Sie hatten alle Daten / und ließen ihre / Erde sterben / Kategorie Idioten …“

„Transgalaktisches Archiv“ hat er sein Gedicht genannt, das den kosmischen Blick wagt, den die meisten Menschen in ihrer Wohlstandsvernarrtheit ganz eindeutig nicht haben.

Einen Blick, wie ihn Stanislaw Lem hatte. Denn wenn man in der kosmischen Dimension denkt, sieht man, was für ein Glücksfall dieser Planet ist, auf dem das Wunder Leben entstehen konnte und am Ende auch noch ein Geschöpf, das diese Einmaligkeit zu erfassen vermochte. Und sich dann trotzdem idiotisch benahm. Dumm bis zum Aussterben.

Immer mehr und noch mehr …

Auch bei Jochen Laabs bleibt am Ende nichts zurück – außer dem Mond, dieses urromantische Motiv, der sich „lächelnden Gesichts / um eine Himmelsschale Nichts“ dreht. Auch das eine Einsicht, die den meisten Menschen fehlt: Dass sie es ganz alleine sind, die diese einmalige Chance versieben, vertun, vertrödeln. Nur weil sie nicht aufhören können, ihr aufgeblasenes Ego zu feiern.

Sicher, es gibt auch die Dichter, die noch Zuversicht haben.

Nur: Was nutzt es? „donnerwetter was für / marathon-sitzungen / immer mehr / und noch / mehr“, beginnt Erich Pfefferlen sein Gedicht, um es dann gekonnt kippen zu lassen nach dem „mehr“: „unerledigte aufgaben“. Sie sind aufmerksam, diese Versakrobaten. Sie sehen die Welt und das, was wir mit ihr anrichten. Sie sind hilflos, hoffnungsvoll, zornig, aber auch gelassen. Sie schauen der Katze auf dem heißen Blechdach zu – und vermissen sie, wenn es auf dem Blechdach immer heißer wird. Sie fühlen mit dem letzten Schneeleoparden, sehen den Wald vor ihren Augen verschwinden und trauern mit den gekappten Bäumen im Stadtpark.

Ihnen muss niemand mehr sagen, was da im Gange ist. Sie sehen es. Und schreiben hellgesichtige Verse noch am Tag, bevor ein russischer Möchtegern seine Truppen in die Ukraine einfallen lässt – so wie Andreas Graf: „Ich wohne im Warmen / und tanze wenn es mir / passt vor den ausgehobenen / Gräbern von Kindern und / Kindeskindern meiner / gut beheizten Zivilisation.“

Hans-Hermann Mahnken hat sich von einem der schönsten Gedichte von Jakob van Hoddis anregen lassen: „Dem Konsumenten schwindet jetzt der Mut …“ Dabei lebte auch van Hoddis in Zeiten, als der Weltuntergang in den Köpfen spukte. Nur war das der Untergang einer alten, schnauzbärtigen Zeit, die unbedingt mit Weltkriegsgerassel zu Ende gehen wollte. Doch das Gefühl ist ganz ähnlich. Auch fatalistisch: Was nun? Wer gebietet diesem Irrsinn Einhalt? Wer denkt – so wie die stillende Mutter in Marina Jenkners Gedicht – an die Kinder? Und ihre Welt? Denn das wird die heiße, verbrannte Welt sein, die wir ihnen hinterlassen. Reicht dann noch ein Wort wie Affenhitze, mit dem Franziska Bauer ihr Gedicht betitelt hat?

Der flammende Zorn der großen Mutter

Diese Hitze mahnt den Dichtenden zu schaffen. Sie macht Daniel Grumt müde und erinnert Anne Mai an den „flammenden Zorn / der großen Mutter“. Und Christoph Müller versetzt das alles in eine andere schreckliche Zeit. Er greift auf den Ton der Barockdichtung zurück, die in Deutschland blühte, als das Land vom Dreißigjährigen Krieg verheert wurde. „Ach HERR in deiner Güte / sieh unser armes Land“, hebt Müller seine „Klage über die große Dürre im Sommer 2022“ an.

Dabei wissen die Dichterinnen, dass neben ihnen die Gleichgültigen sich weder für Gedichte noch die Leiden der Welt interessieren, abgestumpft, ignorant. So wie es Herta Dietrich in ihrem Gedicht „Geschichtengespinst“ anklingen lässt: „vergisst das Herz den möglichen Verlust / und spinnt sich ein in Geschichten / um bequem und nebensächlich / mit dem eignen Untergang zu leben.“

Wobei dieses Wort „nebensächlich“ entzückt. Vielleicht ist es tatsächlich so: Ein nebensächliches Geschöpf am Rande des Universums, unwichtig, ob es überlebt oder seinen eigenen Planeten in eine Wüste verwandelt. Es ist unser Haus. Und wir benehmen uns darin, als könnten wir es einfach abfackeln und demolieren. Und dann?

Nebensächlich …

Dann werden die Narren unter uns wieder pathetisch jammern und beten. Wie immer, wenn wir doch einfach nur hätten innehalten und uns selber retten müssen. Aber wen kümmert das da draußen im Kosmos? Alles nebensächlich.

Und weil die Sache Hintergrund braucht, enthält dieses Poesiealbum neu auch zwei Beiträge erfahrener Meteorologen, die mit ihren Worten erklären, worin wir da gerade stecken und warum wir da etwas anrichten, was es so in der menschlichen Geschichte noch nie gab. Diese Dimension spricht insbesondere Franz Ossing an, wenn er betont: „Die Frage, die sich heute stellt, ist neu: eine Änderung des menschlichen Lebensraums, die in Raum und Zeit erdgeschichtliches Ausmaß hat.“

Viel zu viele glauben die falschen Nachrichten, worauf Magnus Tautz in seinem Gedicht „Nicht im Bild“ eingeht: „Jemand hat die Erde angesteckt / mit falschen Nachrichten …“

Ohne all die offiziellen Lügen und Beschwichtigungen würde das hemmungslose „Weiterso“ nicht funktionieren.

Aber vielleicht sind wir als Spezies auch einfach zu doof, um das zu begreifen. Da bleibt dann nur die stille Mahnung der Dichterinnen und Dichter: Wir verlieren gerade alles. Und das nur, weil wir immer mehr haben wollen und kein Besinnen kennen. Und natürlich auch, weil viel zu wenige Menschen tatsächlich Gedichte lesen und verstehen, wie man die Welt aus poetischen, der mitfühlenden Perspektive sehen kann.

Poesiealbum neu „Klimawandel mit Donnerwetter“, Edition kunst & dichtung, Leipzig 2023, 7,80 Euro.

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Ich hätte da auch noch ein Gedicht zum “Weltende” und bei Interesse noch mehr (gerne auch zur Veröffentlichung):

Weltenende
(frei nach „Weltende“ von Jacob van Hoddis)
Die Menschen liegen schlaflos
mit verstopften Ohren
in verschwitzten Betten,
es klopft an den versperrten Toren
Hunde rütteln an den Ketten.
„Der Sturm ist da“ in dunkler Nacht
kommen Schiffe mit Menschenfracht
hungrige Menschen fluten den Strand
und auch „die wilden Meere hupfen“,
über Mauern und Dämme an Land.

Die Konjunktur hat einen Schnupfen,
„In allen Lüften hallt es wie Geschrei“
Kurse und Flieger stürzen ab
und die Menschen gehn entzwei,
die Autos fallen von den Brücken
keine Landung will mehr glücken.
Man fällt aus allen Wolken
nach all dem Höhenflug
und an den Küsten steigt die Flut.

Die Welt läuft heiß,
gerät in Brand und Wut,
sie dreht sich immer schneller
doch nichts wird davon gut.
Sie flammt auf in Dürre und Krieg,
doch Räder müssen rollen für den Sieg
im nächsten Weltenbrand,
die Menschen verlieren den Kopf
und die Welt wieder mal den Verstand.

Keiner weiß mehr wohin, man will raus oder rein,
Die Welt wird immer voller und die Erde zu klein
Es gibt von allem zu wenig und es gibt von allem zu viel,
alle rennen, aber keiner kennt das Ziel…
doch das ist nicht mehr weit,
wir fahren und fliegen immer schneller
-bis ans Ende der Zeit.

Die Zukunft ist verpfändet
und die Vergangenheit wird verbrannt
täglich tausend fossile Jahre
das Leben ist vakant.
Wir setzen die Welt in Flammen,
ein gewaltiger Kurzschluss gleißenden Lichts
bringt Gestern und Morgen zusammen
wir öffnen die Türen ins Nichts.

Wir machen die Zukunft unmöglich
soviel Ende war nie
Was Energie war, wird Asche und Wärme,
also reine Entropie.
Die Gegenwart ist ein Schwarzes Loch
verschlingt den Raum, die Zeit und das Licht
wie kann man ihr entkommen
wie kriegt man sie wieder dicht?

Dunkelheit ist der Preis des Lichts
wir leuchten nicht, wir verbrennen
Wir sind die Krieger des Nichts!
Das Lebendige stirbt und das Tote erwacht,
die Feuer sind überall entfacht,
-nicht nur die Lichter der Großstadt brennen
sondern Wälder und Moore und in Sümpfen Methan,
es verbrennt die Zukunft, nicht nur Kohle und Gas
es schmilzt das Eis nicht nur im Glas.

Jetzt geht es ans Leben, obwohl mans kaum spürt,
es wird geschüttelt und auch gerührt,
Insekten und Vögel fallen tot hernieder
vergessene Plagen kehren wieder.
Das Leben geht ohne Klagen
die eh keiner hört und keiner versteht…
-die Antwort auf die nie gestellten Fragen
wird vom heißen Wind verweht.
Verspielt ist des Lebens Kredit
die Welt geht kaputt und wir gehen mit
das Nichts hat gewonnen gegen das Sein
der Planet zeigt sein wahres Gesicht,
-unter der Erde ist Stein.

Mutter Erde ist zuschanden,
die Welt läuft nicht mehr rund,
verloren der Boden unter den Füßen
verloren der Dinge Grund.
Hänge rutschen von den Bergen, die sich neigen
wie große Zeiger, die die letzte Stunde zeigen,
die letzten Gletscher stürzen in die Seen
derweil die Wüsten wachsen und die Meere steigen
-alles muss zu Grunde gehn.

Entwurzelt sind Bäume, Menschen, Getier
die haltlose Welt ist schon bald nicht mehr hier
Verloren ist das Land, der Ort der Utopie
denn ohne wo gibt es kein wie
Braune Fluten reißen alles mit sich fort
nirgends bleibt ein Ort,
Schatten wachsen um ein letztes Licht
„Kein Ort Nirgends“
kein Ort bleibt, nirgends, nicht.
Schweigen breitet seinen Mantel aus
Gott gähnt und denkt: „Welch Graus,
das Land liegt wie im Anfang, wüst und weit,
-bis zur nächsten Schöpfung lasse ich mir sehr viel Zeit.“

Gott wendet sich ab
wischt von der Stirn den Schweiß:
„…jetzt ist es auch wieder ewig so heiß.“
Das Leben rollt sich ein zum absurden Finale
die Zeit schnurrt zurück auf der Abwärtsspirale
Der Mensch verliert seinen Thron
und reklamiert die Evolution,
er gibt nicht nur die Krone,
sondern gleich die ganze Schöpfung zurück,
das nennt sich Involution,
-den Bakterien dann noch viel Glück!
Die Uhren rasen rückwärts
als wenn die Welt zur Hölle fahre
bis still sie stehn und wieder Stille herrscht und Ruh,
für die nächsten100 Millionen Jahre,
macht Gott die Augen zu.
Jürgen Tallig 2018

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