Dass die Bibel ganzen Generationen immer wieder Trost gegeben hat, hat auch damit zu tun, dass es vielen biblischen Gestalten nicht anders erging als ganz normalen Menschen auch heute noch. Gläubigen und Ungläubigen. Die vielen Gleichnisse wirken bis heute tröstlich, egal, ob wir Gläubige oder Ungläubige, Zweifler oder Miesepeter sind. Und so kommt die kleine „Helden“-Auswahl der Deutschen Bibelgesellschaft nicht zufällig in höchst ungläubigen Zeiten heraus.

Oder vielleicht besser formuliert: In Zeiten sich drastisch vermehrender Kirchenaustritte, die eher nichts mit den alten biblischen Geschichten und ihrer ermutigenden Bedeutung fürs Leben der Menschen zu tun haben. Dafür jede Menge mit erstarrten Kirchenhierarchien, in denen sich die Gläubigen nicht mehr gemeint und vertreten fühlen.

Wofür sich übrigens auch ein paar Beispiele in der Bibel finden ließen. Man denke nur daran, dass die Entwicklung des Christentums auch eine Art Austritt aus einer orthodox gewordenen Glaubensgemeinschaft war, was ja gerade in der Jesus-Geschichte thematisiert wird.

Wann handle ich als Mensch?

Die Frage nach dem, wie man sich wirklich als Mensch verhalten sollte, ist über 2.500 Jahre immer aktuell geblieben, auch wenn sie in vielen Ländern immer wieder unter die Räder geriet und sich Menschen in entmündigende Systeme fügten. Und Kirche eben auch oft genug mitmischte und die zentralen Botschaften der Bibel – man denke nur an die Bergpredigt, einfach ignorierte, weil ihr Glanz und Macht wichtiger waren als der Trost und die Gemeinschaft der Hoffnung suchenden Menschen.

Und Hoffnung suchen sie heute gleichfalls, auch ohne Kirche. Irritiert von neuen Gefahren, Machtverschiebungen, Bedrohungen von Frieden, Freiheit und Sicherheit. Da fühlt sich mancher wieder wie eine dieser legendären Bibelgestalten, deren Name jeder kennt, auch dann, wenn er die einschlägigen Stellen in der Bibel nie gelesen hat. Wie David zum Beispiel, der gegen den kampferfahrenen Riesen Goliath antritt. Oder wie Mose, der sein Völkchen nun irgendwie in das Land bringen muss, wo Milch und Honig fließen.

Moderne Anklänge sind in diesen kleinen Heldengeschichten ganz und gar nicht zufällig. In den beigefügten Karikaturen wird es zuweilen noch viel deutlicher, dass die Nachrichten, die uns heute scheinbar so seltsam anmuten, tatsächlich ganz ähnliche Geschichten erzählen, wie sie die Figuren in der Bibel erleben.

Selbst jener Jona, der sich auf einmal in einem kleinen Boot auf hoher See wiederfindet, kommt uns auf ein mal sehr bekannt vor. Oder Petrus und Andreas, die eigentlich ihr karges Auskommen als Fischer hatten, als aber dieser Wanderprediger aufkreuzte und Unterstützer suchte, waren sie sofort dabei.

Die übersehenen Helden

Oder man nehme nur Ruth, die sich nach dem Tod ihres Mannes keinen neuen sucht, sondern ihre Schwiegermutter begleitet, um sie in der Heimat zu unterstützen. Auf einmal hat man ganz simple Akte von Menschlichkeit vor sich, in denen die Heldinnen und Helden sich nicht für den einfachen Weg zum alleinigen Glück entscheiden, sondern sich ihrer Mitmenschen annehmen und das für die selbstverständlichste Handlungsweise erachten.

Selbst der Junge kommt vor, der Jesus fünf Brote und zwei Fische übergab, als der Wanderprediger auf einmal 5.000 hungrige Gläubige sättigen musste. Das Brotwunder von Jesus haben die Meisten in Erinnerung. Aber den namenlosen Jungen, der möglicherweise das ganze Essen seiner Familie gespendet hat, den übersieht man viel zu leicht. Und vergisst ihn dann. Was Menschen, die Gutes tun, nur zu oft passiert.

Denn anders als „noble Spender“, die ihre Spenden so gern von der Steuer absetzen, sind sie in der Regel bescheiden und ganz und gar nicht ruhmsüchtig. Wer Gutes tut, macht keinen Lärm darum.

So wie Mirjam gern vergessen wird, die ihrem kleinen Bruder Mose das Leben rettet, oder Esau, der seinem Bruder Jakob verzeiht und keine Abrechnung macht über dessen Betrug. Eine Selbstlosigkeit, die scheinbar völlig aus unserer Welt verschwunden ist, in der irgendwie alle Leute mit allen Leuten irgendwelche wilden Rechnungen abzumachen haben. Dabei erzählt genau diese Esau-Geschichte davon, wie Versöhnung funktioniert. Und welche innere Stärke dazu gehört.

Der Mut der Frauen

Würden wir uns in Gefühlsfragen alle immerzu wie Schuldeneintreiber benehmen, wir hätten nur noch Mord und Totschlag. Es ist eben nicht nur die Bibel an sich, die ein anderes menschliches Miteinander anmahnt. Es sind diese kleinen Geschichten, die zeigen, dass Heldentum eigentlich nichts mit Krieg und Gewalt zu tun hat. Oder zumindest recht selten.

Denn manchmal muss man kämpfen wie Gideon, wenn ein übermächiger Feind ins Land wütet. Die Botschaft der Bibel ist nicht ganz so passiv, wie es einem meist erzählt wird. Die Konflikte waren auch damals schon ganz ähnlich wie heute. Könige fielen über ihre friedlichen Nachbarn her, entführten Kinder und Frauen, zerstörten Tempel und Kulturgüter.

Und die Autor/-innen dieses Büchleins lassen deshalb auch die starken Frauengestalten nicht weg, die es in der Bibel auch gibt. Frauen, die auch dann Mut bewiesen, als sich unter den Männern keiner fand, so wie Ester und Debora. Oder wie die beiden Ammen Schifra und Pua, die sich einfach dem Befehl des Pharao widersetzen, alle männlichen Neugeborenen der Juden zu töten. Ein biblisches Beispiel dafür, dass menschlicher Anstand auch schon mit dem Nein-Sagen beginnt. Dem Nein zu boshaften und mörderischen Anweisungen.

Einige der Auserwählten in diesem Büchlein sind natürlich unperfekt, zweifeln eher, zagen oder bekennen sich sehr spät. So wie Petrus, Thomas oder Josef von Arimathäa. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt? Oder gehört das Zagen und Zaudern nicht zum Menschen selbst? Natürlich taucht auch Jesus in dieser Reihe auf. Auch er zagt und fürchtet sich. Und wünscht sich innig, dieser bittere Kelch würde an ihm vorübergehen.

Uns selbst Josef, sein Ziehvater, zögert ja, würde Maria ja verlassen, als sie ihm erklärt, dass sie von einem anderen schwanger ist. Da ist man auf einmal in ganz vielen heutigen Partnerschaftsgeschichten, wo Männer Farbe zeigen müssen: Lieben sie ihre dumme Ehre? Oder lieben sie die Frau und das Kind?

Wie würdest du handeln?

Auch so kann man biblische Geschichten erzählen. In diesem Büchlein passiert das ganz kurz und knapp. Wer die ganzen Geschichten nachlesen will, bekommt die entsprechenden Stellen in der Bibel angegeben. Und extra abgehoben steht die Frage, die man sich ja bei solchen Geschichten immer stellt, auch wenn man oft keine schnelle Antwort darauf weiß: Wie würdest du handeln?

Denn das war in diesen Geschichten immer präsent, all die 2.500 Jahre: Die Konfrontation der Zuhörer mit dem realen Leben und den ganz realen Lebensentscheidungen, in denen immer als Anspruch steht: Wie sollte ich tatsächlich handeln? Wie zeige ich mich als mitfühlender Mensch?

Das sind – wie all die Gleichnisse aus der Bibel zeigen, eben keine einfachen Fragen. Und manchmal muss man sich quälen wie Hiob oder mit Zweifeln kämpfen wie Jonathan. Und keiner sagt einmal, was wirklich richtig ist. Auch das gehört ja zum Leben. Man muss dann in der Regel mit allem allein zurechtkommen. Der Zweifel bleibt immer. Keine dieser Geschichten erzählt davon, dass dann alles paletti ist.

Perfekt sind diese Heldinnen und Helden alle nicht. Aber sie können einen ermutigen, als Mensch zu handeln, wenn einem andere Personen wieder nur einreden wollen, mit Egoismus, Ignoranz und Kaltherzigkeit käme man weiter.

Und bekäme dann gar noch Ruhm und Bewunderung. Doch wer wie Johannes der Täufer lebt, der pfeift auf den Ruhm, auch wenn er ein bisschen zweifelt. Doch nicht für seine Zweifel erinnert man sich seiner, sondern wegen seiner Bescheidenheit und seiner Unbeugsamkeit auch dem König gegenüber, der es nicht akzeptieren kann, dass ihm einer widerspricht. Auch das höchst gegenwärtig.

Die Bibel jedenfalls ist nicht schuld, dass die Kirchgänger in Scharen austreten. Unbelehrbare Dogmatiker in Führungspositionen aber wohl. Ein guter Grund, all diese ganz und gar nicht perfekten Held/-innen einmal kennenzulernen, wenn man sie noch nicht kennt.

Sven Bigl, Michael Jahnke, Eva Mündlein, Max Naujoks und Franziska Schikora, „Himmlisch unperfekt. K(l)eine Heldengeschichten aus der Bibel“ Edition Chrismon, Leipzig 2024, 12 Euro.

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