Wann das mit dem Patriarchat tatsächlich begann, kann man nicht wirklich dingfest machen. Denn für alles, was vor dem Zeitalter der Schrift geschah, haben wir nur Indizien. Indizien, die nicht wirklich verraten, ob die Androkratie, wie Andreas Marneros sie nennt, tatsächlich mit dem Beginn von Landwirtschaft und Sesshaftwerdung begann oder sich erst später etablierte. Die frühen Schriftkulturen jedenfalls sind allesamt schon patriarchale Herrschaftsräume.

Dass der Übergang zum Patriarchat möglicherweise nicht auf einmal geschah, sondern Ergebnis der veränderten Produktionsweisen und der damals neuen Idee von Privateigentum war, das vollzieht ja Karin Bojs in ihrem Buch „Mütter Europas“ sehr kenntnisreich nach.

Aber wann genau begann dann all das, was unsere Welt heute so ungerecht macht, voller Aggression, Machtdenken, Frauenfeindlichkeit? Ist das alles naturgegeben? Oder haben wir Menschen da irgendwann vor ein paar tausend Jahren etwas erfunden, was uns nicht guttut, sich aber tief eingefressen hat in unsere Hirne? Denn eins wissen wir eigentlich schon lange: Die Misogynie ist nicht angeboren, sie wird gelernt. Sie ist ein Produkt einer von Männern dominierten Kultur. Auch wenn Andreas Marneros lieber von Gynäkophobie spricht.

Denn wirkliche Frauenhasser sind unter den Männern eine Minderheit. Dessen war sich Andreas Marneros schon an jenem Tag im Klaren, als er zum letzten Mal eine Sitzung in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Halle leitete, deren Direktor er war, bevor er in Ruhestand ging. Eine Sitzung, die ihm ein letztes Mal vor Augen führte, dass etwas in unserer Gesellschaft dafür sorgt, dass Frauen immer wieder zurückstecken, zurückgesetzt und ungerecht behandelt werden.

Denn während zwei Drittel aller Absolventen in medizinischen Fächern weiblichen Geschlechts sind, verschwinden die Frauen, je höher es in der Hierarchie geht, bis sie auch in den Leitungen von Kliniken wieder in der Minderheit sind. Was passiert da?

Die panische Angst des Kronos

Die Frage hat sich Marneros auch selbst gestellt. Sein Buch ist eine Suche nach den Ursachen. Ein Versuch zu erklären, was da eigentlich passiert und so manifest ist, dass auch nach 150 Jahren Frauenbewegung von Gleichberechtigung keine Rede sein kann. Wobei Marneros am Ende deutlich macht, dass er eigentlich Optimist ist. Denn wenn man nur ein wenig in die Geschichte hineinleuchtet, sieht man, dass sich die Stellung der Frau spürbar verbessert hat. Aber nicht unbedingt, weil Männer so gnädig waren, sondern weil sich Frauen ihre Position in der Gesellschaft erkämpft haben.

Weshalb für Marneros ganz am Anfang die Büste einer solchen Frau steht, die man im Foyer seines Instituts in Halle wahrnehmen kann. Es ist keine geringere als die der Dorothea Erxleben, der ersten promovierten Ärztin in Deutschland, promoviert in einer Zeit, als Frauen noch nicht einmal studieren durften und ein Befehl des preußischen Königs vonnöten war, dass sie überhaupt als Ärztin praktizieren durfte. Eine Geschichte, die so ähnlich auch schon vor 2.500 Jahren in Griechenland passiert ist.

Wir leben in einer Kultur, in der seit mindestens 2.500 Jahren die untergeordnete Stellung der Frau manifestiert wird und den Jungen genauso beigebracht wurde wie den Mädchen. Aber Marneros hat seine Griechen aufmerksam gelesen und kann gerade an den großen Dramatikern wie Aristophanes zeigen, dass sich die Athener schon mit genau denselben Fragen herumschlugen wie wir heute. Und die Athenerinnen garantiert ebenso.

Wobei die Beschäftigung mit Hesiod auf etwas hindeutet, was bis heute wie ein Tabu behandelt wird: Dass nämlich auch die Männer unter der patriarchalen Gesellschaft und ihren tief sitzenden Phobien leiden. Gespiegelt in den alten Göttermythen, die Hesiod erzählt. Denn mit der Schaffung einer ungleichwertigen Gesellschaft mit labilen Machtkonstellationen regiert die Angst vor dem Macht- und Kontrollverlust.

Hesiod erzählt es am Beispiel von Kronos und seinen Kindern. Eigentlich eine arme Sau, dieser Kronos, der sich panisch davor fürchtete, dass seine eigenen Kinder ihn entmachten könnten. Was sie ja dann auch taten.

Die moderne Angst der Autokraten

Und man denkt ganz automatisch an die Autokraten der Gegenwart, die genau dieselben Ängste haben und ihre Gegner vernichten – aus purer Angst. Angst, die sich bis in die Familie hinein manifestiert, dort geradezu unsichtbar wird, wie Maneros am Beispiel eines eingefleischten Schweizer Familienvaters zeigt, der es lange Zeit für ganz normal hält, dass Frauen an Heim und Herd gebunden sind und sich sorgend um ihre Männer kümmern, aber weder wählen dürfen noch studieren und gar Karriere machen.

Den braven Andreas Abendländer lässt Marneros Stück um Stück begreifen, dass diese alten patriarchalen Vorstellungen Mumpitz sind und vor allem eins verhindern: die pure Freude an den Begabungen, der Lebenslust und dem Erfolg der eigenen Töchter.

Weite Abschnitte seiner Betrachtungen widmet Marneros einem Vorgang, der in der Geschichtswissenschaft oft vernachlässigt wird: Wie aus der säkularen Gynokophobie, wie sie einem in Griechenland und Rom begegnete, durch das Aufkommen von Judentum und Christentum eine orientalisch-religiöse Gynäkophobie wurde, also eine religiös verankerte und propagierte Angst vor der Frau.

Die man vor allem im Alten Testament findet, aber kaum im Neuen, was nicht nur Marneros verwundert. Denn gerade Jesus ist ein Typus Mann, der den Erzählungen nach ganz bestimmt nicht an Gynäkophobie litt, im Gegenteil: Bei ihm findet man eine Menge Respekt vor den Frauen.

Es brauchte schon den in alten Männermustern agierenden Paulus, um die Frauenangst wieder zu einer religösen Regel zu machen und vor allem all den frauenverachtenden „Kirchenvätern“, die sich auf ihn bezogen, das Wortmaterial zu liefern, mit dem die Erniedrigung der Frau für zwei Jahrtausende regelrecht zementiert wurde. Und der Blick auf den heutigen Zustand der christlichen Kirchen zeigt nicht wirklich eine Besserung. Sie haben ihren Paulus und Augustinus zutiefst verinnerlicht.

Und Postulate aufgestellt, für die man im ganzen Neuen Testament keine Grundlage findet. Natürlich ist das ein Zeichen dafür, wie wirkmächtig die Phobien einer von Männern gebauten Kultur sind. „Missverständnisse um einen ambivalenten Gynäkophobiker“ hat Marneros sein Paulus-Kapitel benannt. Missverständnisse, die bis heute fortwirken.

Die Erfindung des „Sündenfalls“ (und der „Sünde“)

Nur dass diese Postulate inzwischen dafür sorgen, dass immer mehr Menschen den erstarrten Kirchen den Rücken zukehren – Männer wie Frauen. Denn die Deutungsmacht der Kirchen über die Rollen der Geschlechter wurde in den vergangenen 300 Jahren gründlich demontiert. Und gerade die zunehmend sichtbaren Erfolge der Frauen beim Aufstieg in allen gesellschaftlichen Bereichen zeigen, dass Päpste und Bischöfe gründlich verpennt haben, ihre Dogmen zu novellieren und den falschen Ballast zu entrümpeln.

Eigentlich nicht schade drum. Was braucht es eine Kirche, in der das alte patriarchalische Denken mit seinem auch noch völlig falschen Sündendenken stur am Leben erhalten wird?

Natürlich geht Marneros auch auf die Szene mit Adam, Eva, dem Apfel und der Schlange ein, die den Fundamentalisten bis heute als Ausrede dient, die Frau zum Ursprung alle Sünden zu erklären. Übrigens ein Punkt, an dem die Phobien der Männer am deutlichsten werden. Nur ist die Stelle in der Genesis auch nur ein Plagiat. Und dazu noch ein schlechtes aus viel älteren babylonischen Mythen über den Ursprung der Menschen, in der es den Topos der „Sünde“, wie ihn Paulus erfunden hat, überhaupt nicht gibt.

Noch so ein Indiz dafür, dass das gynekophobe Denken erst spät zum Baustoff männergemachter Kulturen wurde. Denn wer „Sünden“ definiert und verbietet, der übt Macht und Kontrolle aus. Eine Haltung, die man bis heute immer wieder sehen kann, wenn Fundamentalisten aller Art sich zu Wort melden. Kontrolle eben auch über die Kinder.

Womit man bei all diesen christlichen Begriffen von „Unzucht“, „Keuschheit“ und „Jungfräulichkeit“ wäre. Letzteres ein Wort, das schlicht auf eine miserable Übersetzung zurückgeht, aber bis heute Frauen verdammt und erniedrigt, die nicht „jungfräulich“ in die Ehe gehen.

Professor Möbius aus Leipzig und sein Frauenbild

Man merkt schon: Was Marneros sich da vorgenommen hat, ist ein Rundumschlag. Er will wissen, warum all diese falschen Bilder in unseren Köpfen sitzen, warum sie immer noch funktionieren und es so elend schwer machen, selbst in einer demokratischen Gesellschaft Gleichberechtigung herzustellen.

Von Autokratien muss man da gar nicht reden, denn die sind durch und durch Androkratien, wie es Marneros nennt – mit einsamen Machthabern an der Spitze, die ihre Angst (nicht nur vor Frauen) in ein Regime voller Gewalt gegossen haben, in dem jeder Widerspruch unterdrückt wird und Machtbilder vom Mannsein zelebriert werden, bei denen es letztlich nur um Rücksichtslosigkeit und Gewalt geht.

Und als die Kirche im 19. Jahrhundert ihre Deutungsmacht über die Geschlechter und das Frau- und Mannsein einbüßte, geschah etwas, was noch viel verstörender ist: Allerlei Gelehrte begannen auf einmal, in pseudowissenschaftlichen Schriften die Minderwertigkeit der Frau nicht nur zu behaupten, sondern gar „wissenschaftlich“ zu belegen. So wie der Leipziger Neurologe und Psychiater Paul Julius Möbius, dessen Schrift „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ 1903 sogar zum Bestseller wurde.

Was natürlich kein Zufall war. Denn mit dem Bröckeln der alten, theologisch behaupteten Überlegenheit des Mannes entstanden natürlich neue Ängste. Neue Ängste, die sich auch in dieser Schrift von Möbius niederschlugen und die man bis heute immer wieder in immer neuen Schriften zum Thema findet.

Wenn man nämlich, wie Möbius, den Frauen attestiert, sie hätten nicht die „intellektuellen Kapazitäten“ des Mannes und ihr Wesen wäre auf Mutterschaft und Haushaltsführung beschränkt, dann sieht man im Grunde die Angst des Herrn Professors, der um seine alleinige männliche Deutungsmacht fürchtet. Und seine Angst in Zeilen gießt, Frauen würden dem Herrn Rauschebart mit Recht und gut begründet Paroli bieten.

Wenige Seiten später belegt Marneros dann mit Zitaten, dass Möbius seine steilsten Thesen auch wieder nur von einem der größten Misogynen der deutschen Philosophie übernommen hat: von Schopenhauer.

Die Scheuklappen des Sigmund Freud

Männer schreiben so gern von anderen Männern ab. Das ist erschreckend genug. Aber symptomatisch. Marneros verfolgt es bis in die Gegenwart, wo die alten, griesgrämigen Behauptungen über Frauen immer wieder kolportiert werden und zu immer neuen Konstrukten dienen – wie der des neuerdings behaupteten Unterdrückung des Mannes durch das Weib.

Natürlich lässt es sich Marneros nicht nehmen, auch die gesellschaftliche Strömung der manifesten Angst vor der Frau genauer zu beleuchten, eine sehr breite und oft diffuse Szene, in der die echten Misogyne genauso ihren Platz finden wie die Herren Professoren, die nicht mal merken, wie sie ihre eigenen Vorurteile als Grundbehauptung in ihre dicken Bücher schreiben.

Auch der so viel zitierte Sigmund Freud, der das Seelenleben von Männern und Frauen lieber komplett sexualisierte und den Frauen gar einen „Penisneid“ andichtete, weil er die manifeste Benachteiligung der Frauen (und ihre permanente Bevormundung durch eine frauenverachtende Kultur) einfach ignorierte.

Natürlich leiden beide Geschlechter darunter, wenn die falschen Rollenbilder dafür sorgen, dass Ehen nicht aus Liebe geschlossen und Partnerschaften nicht auf Gleichwertigkeit und Respekt aufgebaut werden. Und wer genau hinschaut, merkt, dass es immer um Macht geht. Und um die Souveränität, Macht abzugeben und damit endlich aufzuhören, immerzu anderen zu sagen, was richtig ist.

Denn auf diesem Machtgefälle baut die nun seit mindestens 5.000 Jahre praktizierte Androkratie auf. Superioritätswahn nennt es Marneros, der auch zeigt, wie viel dieser respektvolle Umgang miteinander auch Grundlage der Demokratie ist. Und dass die Frauenverachtung nicht ganz zufällig bei all den Gruppen gepflegt wird, die Ungleichheit und Ausgrenzung als Grundlage ihres Weltbildes begreifen – bei Fundamentalisten, Illiberalen, Rechtsextremen und Autoritären aller Art, die freilich auch gelernt haben, ihre Ängste in den gesellschaftlichen Diskurs zu tragen.

Sie nutzen auch alle medialen Mittel, um eine Unterdrückung des Mannes zu suggerieren, Feminismus und Gender-Mainstreaming zur Zerstörung der Gesellschaft zu erklären und gar die Auslöschung des Mannes zu behaupten. Mitten in einer Gesellschaft, in der der simple Blick in alle Machtstrukturen zeigt, dass die Männervorherrschaft noch vollkommen intakt ist. Selbst da, wo das eigentlich unlogisch ist – wie in der Medizin, wie Marneros feststellt. Der aber auch aus eigener Erfahrung berichten kann, wie Männervorurteile und ihre Ängste imme rnoch funktionieren.

Subtile Herrschaftsinstrumente

Und am Ende geht es immer um (Männer-)Ängste. Denn Emanzipation und Souveränität von Frauen machen Männern Angst, die selbst nicht souverän sind, die ihre ganze Überlegenheit daraus beziehen, dass sie Macht haben und diese Macht auch nutzen, um andere kleinzuhalten.

Man merkt schon: Es geht um ganz elementare Dinge, die den menschlichen Umgang miteinander überhaupt erst einmal respektvoll und anregend machen. Egal, ob nur den zwischen Männern oder auch den zwischen den Geschlechtern. Denn wer Eva als echte Partnerin akzeptiert, hält sie nicht klein und tut auch nicht so, als wäre sie an den emotionalen Verwirrungen und ungelösten Problemen der Männer schuld. Souveränität beginnt damit, dass jemand stark genug ist, Macht abzugeben und andere als gleichwertig zu akzeptieren.

Und wer den Blick darauf richtet, merkt, dass die alte, strukturell verfestigte Androkratie mit Souveränität nichts zu tun hat. Sie blockiert nur das Wissen und Können all der Menschen, die in ihre Entfaltung ausgebremst und unterdrückt werden.

Oft mit ganz subtilen Methoden – ob übers Geld, ob in der Ungleichverteilung der Sorgearbeit, einer auf männliche Dauerpräsenz angelegen Arbeitswelt oder der systematischen Überlastung „typischer“ Frauenberufe, um nur eine kleine Auswahl der Mittel zu nennen, mit denen sich der Machtanspruch rücksichtsloser Männer überall manifestiert.

Die Angst vor den Frauen und vor der Demokratie

Und wenn man ihnen mal die Macht nimmt, reagieren sie aggressiv und respektlos. Und tun alles dafür, wieder zurück an die Schalthebel zu kommen.

Was einer der Gründe dafür ist, warum der Prozess der Emanzipation immer wieder stockt und der Eindruck entsteht, dass es einfach nicht besser wird. Und warum auf einmal unsere Demokratie schon wieder gefährdet ist – von gynäkophoben Männerbünden, die es einfach nicht aushalten, dass andere Menschen dieselben (Vor-)Rechte haben sollen wie sie. Der gynäkophobe Mann „ist kein echter Demokrat“, stellt Marneros fest. „Er ist jemand mit Respektdefiziten. Derjenige, der die Frau diskriminiert, respektiert sie nicht.“

Aber es ist auch anders auf den Punkt zu bringen: „Er ist kein selbstbewusster Mann.“

Er ist nicht souverän. Schon gar nicht im Umgang mit Frauen, denen er alles Mögliche andichtet, nur um seine eigene Verunsicherung den Frauen als Schuld zuzuschieben. Ein 2.000 Jahre lang eingeübtes Verhalten, das menschliche Gesellschaften immer wieder ausgebremst hat und in all die „Spiele“ von Phobien getriebener Männer geführt hat: Kriege, Diktaturen, Vertreibungen, Unterdrückung.

Und so stellt Marneros zu recht fest, dass Frauen und Männer nur gemeinsam eine Kultur der Gleichberechtigung herstellen können, dass es also nicht nur die Emanzipation der souveränen Frau braucht, sondern auch die souveränen Männer an ihrer Seite, die nicht in Panik geraten, wenn Frauen mal anfangen, eigene Initiativen zu ergreifen.

Andreas Marneros „Bitterer als der Tod ist die Frau“ Mitteldeutscher Verlag, Halle 2024, 32 Euro.

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