Gut dotierte Herren mit edlen Federn haben in letzter Zeit immer wieder genüsslich über die feministische Außenpolitik von Annalena Baerbock gelästert. Vielleicht ist feministische Außenpolitik auch nicht möglich in einer Welt der Machos, Patriarchen und Muskelprotzen. Aber sie macht einiges klarer. Wer die Politik mit feministischen Augen betrachtet, sieht, warum die Herren in den Palästen die Welt immer wieder in Kriege stürzen. Und warum das Private zutiefst politisch ist.

Der Feminismus öffnet den Blick darauf, dass es hierbei eben nicht um irgendwelche geschichtlichen Gesetzmäßigkeiten, Sicherheitszonen oder Handlungszwänge geht. Kriege werden von Männern gemacht. Von Männern, die nicht akzeptieren können, dass ihnen widersprochen wird, dass Schwächere mitreden dürfen oder gar Rechte einfordern, die die starren alten Machthierarchien infrage stellen.

Es geht immer um Macht. Das ist die Gefahr, mit der es auch unsere Demokratie zu tun bekommt. Auch wenn die Politikwissenschaftlerin Sabine Fischer aus sehr aktuellem Anlass Russland zum Untersuchungsgegenstand gewählt hat. Denn mit Russland hat sie sich seit über 30 Jahren intensiv beschäftigt, seit ihrem Studium 1992 in St. Petersburg, als sie auf eine Gesellschaft traf, die sich gerade aus den Folgen der sozialistischen Planwirtschaft herausarbeitete und nach einem Weg in ihre Zukunft suchte. Einem Weg voller Hoffnung, denn manche Zeichen standen auf eine Demokratie nach europäischem Vorbild, nach einem Ende des Kalten Krieges und der Konfrontation und nach einer offeneren und gleichberechtigten Gesellschaft.

Nationalismus, Sexismus und Autokratie

Eine Hoffnung, die sich – je mehr Zeit verging – immer mehr in Luft auflöste. Denn auch vor 1990 war die russische Gesellschaft eine im Kern und in den Machtstrukturen chauvinistische Gesellschaft, woran auch die frühen Gesetze zur Gleichberechtigung der Frauen, die gleich nach der Oktoberrevolution von 1917 eingeführt worden waren, nichts geändert hatten. Am Ende ging es auch da nur um die Verfügbarmachung weiblicher Arbeitskraft, nicht um echte Mitsprache. Die sowjetische Gesellschaft blieb bis zu ihrem Ende von Männern geprägt, hatte mit Stalin ihre autokratischen Auswüchse und gab Frauen immer nur minimale Mitspracherechte. Im Kern blieb die ganze Gesellschaft zutiefst patriarchalisch.

Aber Sabine Fischer verwendet – spätestens mit Putins Entwicklung nach 2005 das viel deutlichere Wort: chauvinistisch. Im Chauvinismus steckt nicht nur ein radikaler Nationalismus, wie er mit Putins Kriege gegen Tschetschenien, Georgien und die Ukraine unübersehbar geworden ist. Das Wort vereint drei Dimensionen, die zeigen, dass sich darin das Private aufs engste mit dem Politischen verquickt. Fischer fasst es in den drei Schlagworten Nationalismus, Sexismus und Autokratie zusammen.

Und sie zeigt es anhand der historischen Entwicklung Russlands, in der es seit Gorbatschows Politik der Perestroika und der Glasnost durchaus Entwicklungen gab hin zu einer offeneren Gesellschaft nach westeuropäischem Vorbild. Doch im Kern – und gerade im Staatsapparat, der nie wirklich reformiert wurde, – blieben die alten autokratischen und chauvinistischen Traditionen immer erhalten. Und dieses Denken reagierte aggressiv und mit Gewalt auf die Entwicklung einer freieren und pluralistischen Gesellschaft.

„Remaskulinisierung Russlands“ nennt Fischer diese Phase, mit der das politische System Russlands Anfang der 1990er Jahre auf Entwicklungen wie den aufkommenden Feminismus reagierte. Eine Entwicklung, die Putin in seinen Reden auf den Begriff des „Muschik“ bringt.

„Der muschik ist das Gegenbild des feminisierten, ergo schwachen westlichen Mannes, ja des Westens insgesamt“, beschreibt Fischer diese Putinsche Sicht auf die liberalen Entwicklungen in Westen. „Er macht auch Schluss mit der Schwäche des russischen Mannes in der späten Sowjetunion und den turbulenten Transformationsjahren.“

Patriarchales Machtdenken

Männlichkeitskult als neue Heilsbotschaft für ein Land. Das ist nicht neu. Das haben auch die Staaten Europas erlebt. Mit diesem Protzen und Eindruckschinden wurden die großen Kriege vorbereitet, die den Kontinent Jahrhunderte lang zerrissen. Nur zeigt Sabine Fischer in ihrem Buch sehr anschaulich, dass das eben nicht nur ein nationalistischer Kult ist, der seine „mannhaften“ Rollenbilder entwickelt und Gewalt zum legitimen Mittel von Politik stilisiert – nach außen und nach innen. Denn zum aggressiven Nationalismus gehört auch immer die rigide Autokratie nach innen, die alle gesellschaftlichen Verhältnisse durchdringt. Bis in die Familie hinein.

Und auf einmal merkt man: Der Kult um die patriarchalen Familienvorstellungen lebt nicht nur in Russland. Er taucht auch in allen populistischen Bewegungen auf, die in den letzten Jahren die westlichen Gesellschaften in zunehmende Konflikte stürzten. Und es überrascht auch nicht, dass sie ganz genau dieselben Grundmuster teilen, die die Putinsche Politik seit 2012 bestimmen: Nationalismus, Autokratie und Sexismus.

Wobei Sexismus weiter gefasst werden muss als nur gegen Frauen gerichtet, denen wieder eine untergeordnete Rolle im patriarchalen Machtdenken zugewiesen wird – vor allem als Hüterin des Hauses und Kindergebärerin. Das gilt auch allen anderen Gruppen von diversen Menschen und auch Personen und Gruppen, die für eine freie, offene Gesellschaft kämpfen. Und auch das Framing ist dasselbe: Das Kämpfen um eine menschliche, friedliebende Gesellschaft wird als Schwäche interpretiert. Und das keineswegs in einem freundlichen Ton, sondern zunehmend aggressiv und auf Konfrontation ausgerichtet.

Aggression und Vergewaltigungsphantasien

Und es wundert auch nicht, dass diese rechtspopulistischen Bewegungen Europas viele Argumentationsmuster der russischen Propaganda übernehmen. Denn auch sie haben ein Ziel: die Destabilisierung der Demokratie und die Schaffung neuer, autoritärer Strukturen. Oder so formuliert: Den Chauvinismus teilen sie mit dem Herrscher im Kreml, der damit seit 2012 zunehmend Politik macht. Und das zeigt sich in doppelter Weise: in zunehmender rücksichtsloser Kontrolle der Gesellschaft mitsamt dem Verbot freier Medien und bürgerlichen Engagements. Und nach außen in martialischem und aggressivem Auftreten und der gezielten Übergriffigkeit gegen die Nachbarstaaten.

Dass Putin in seinen Reden für die militärischen Aktionen in der Ukraine Begriffe sexistischer Vergewaltigung benutzt, ist für Sabine Fischer keine Überraschung. Im Putinschen Weltbild gehört das zusammen. Der forcierte staatliche „Maskulinismus“, der auch durch die gleichgeschalteten Medien propagierte Chauvinismus finden ihr Spiegelbild in einer von Vergewaltigungsmustern geprägten Außenpolitik.

Das betrifft nicht nur die Ukraine, die Putin regelrecht auslöschen will. Das betrifft auch das westliche Europa, das in den Zuschreibungen des Kreml immer mehr zum „verweichlichten“ Feindbild geworden ist. Im Land selbst wird die Angst vor dem Import europäischer Werte geschürt, mit denen die russische Gesellschaft unterwandert werden soll. Und gleichzeitig malt Putin Bilder eines verweichlichten Europas, das seinerseits bekämpft werden soll.

All die friedlichen Annäherungen der letzten Jahrzehnte: Für die Katz?

Und auf einmal steht die deutsche Russlandpolitik der vergangenen 20 Jahre im Blickpunkt, die – nach dem massiven Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 – auf einmal wie völlig weltfremd und blind erscheint. Haben die westlichen Akteure die russische Aggressivität nicht gesehen? Dass dahinter auch eine Geschichte von männlicher Eitelkeit und wirtschaftliche Blindheit steht, haben Reinhard Bingener und Markus Wehner ja schon in ihrem Buch „Die Moskau-Connection“ ausgearbeitet.

Eine Connection, die nicht ganz zufällig aus lauter Männern bestand, die dem Herrscher im Kreml geradezu huldigten. Einige werden ihn auch bewundert haben. Denn für Männer mit einem zutiefst verunsicherten Selbstbild wirkt ein autokratischer Herrscher, dem keine demokratische Konsensfindung Grenzen setzt, immer faszinierend. So funktionieren so gut wie alle Männerbünde. Mit Empathie oder Fairness hat dieses Denken nichts zu tun. Da geht es immer nur um Macht und Überwältigung.

Der Fluch des „starken Mannes“

Genauso wie in den rechtspopulistischen Bewegungen des Westens, denen die Demokratie mit ihrem Ringen um allgemeine Rechte, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit regelrecht zum Feindbild geworden ist. Sabine Fischer: „Das russische Regime jedenfalls ist vielen Rechtspopulist/-innen ein Vorbild, Wladimir Putin ein viel bewundertes Vorbild autoritärer Führung.“

Nur dass autoritäre Regime immer auch das Problem haben, dass sie so auch (Außen-)Politik betreiben, die zwangsläufig zu imperialistischen Entwicklungen führt. Jüngst von Martin Schulze Wessel in seinem Buch „Der Fluch des Imperiums“ sehr kenntnisreich dargestellt. Denn die Herrscher im Kreml müssen sich auch nach außen „beweisen“ und zeigen, wer die größere Wumme hat. Ein Fluch, der seit mindestens 300 Jahren russische Politik bestimmt und von dem die immer wieder kriegerisch überwältigten Nachbarstaaten ein Lied zu singen wissen.

Und wenn man das Ganze eben mit feministischem Blick betrachtet, wird offensichtlich, wie die Zurücksetzung der Frauen, der prahlerische Maskulinismus und das autoritäre Staatsdenken aufs engste miteinander verknüpft sind mit dem nach außen hin imperialen und aggressiven Auftreten. Und dass Länder aus der sexistischen Falle herausfinden müssen, wenn sie den Weg zu einer wirklich stabilen Demokratie gehen wollen.

Die ist nämlich zuallererst für Männer schwer zu ertragen, die mit dem Selbstverständnis aufgewachsen sind, dass Männer überall das Sagen haben und keinen Widerspruch erdulden dürfen. Denn das ist herausfordernd, wenn Männer „traditionelle Männerrollen und patriarchalischen Heroismus“ hinterfragen. Denn auf einmal können sie sich dann nicht mehr hinter der Position brutaler Kraft und aggressiver Machtbehauptung verstecken. Auf einmal müssen sie lernen, für ihre Gesprächspartner/-innen Akzeptanz, Respekt und Empathie zu entwickeln.

Die russische Gesellschaft ist nicht die einzige, der dieser Schritt aus den alten Mustern des Chauvinismus heraus unheimlich schwerfällt. Man kann das Schema weltweit beobachten, wo sich wieder autokratische Regime etabliert haben. Aber Russland macht gerade vor, wie man mit diesem Denken auch in eine politische Sackgasse gerät und einen Krieg anfängt, den man – wieder einmal – nicht gewinnen kann. Und wie man dabei alle Brücken verbrennt, die zu einer einvernehmlichen Lösung hätten führen können.

Sabine Fischer „Die chauvinistische Bedrohung. Russlands Kriege und Europas Antwort“, Econ, Berlin 2023, 24,99 Euro

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