Die AfD ist keine ostdeutsche Partei, auch wenn sie bei drei Landtagswahlen in diesem Jahr möglicherweise stärkste Kraft wird. Denn sie profitiert von Ressentiments, Minderwertigkeitsgefühlen und primitiven Rezepten aus der Vergangenheit, die sie als Lösung für die Gegenwart verkauft. Und noch von etwas, was Susan Arndt in ihrem Buch zu packen versucht: westdeutschem Dünkel, der seine Probleme gern auf andere projiziert.

Und nicht wenige Ostdeutsche sind mittendrin in diesem Minenfeld, sitzen zwischen alle Stühlen und werden dies- und jenseits, hüben wie drüben mit den Vorurteilen konfrontiert, die seit drei Jahrzehnten so lebendig sind wie uneingestanden und für viele unsichtbar. Nie wirklich ausdiskutiert, weil die einen glaubten, sie müssten es nicht ausdiskutieren. Und die Anderen gleich von Anfang an ihr Label verpasst bekommen haben.

Natürlich erwähnt sie auch Dirk Oschmann, der mit seinem Buch „Der Osten, eine westdeutsche Erfindung“ 2023 vehement auf das Missverhältnis des Sprechens über den Osten und die Ostdeutschen eingegangen ist.

Eine Schablone, die auch etwas einschließt, was Susan Arndt so beschreibt: „Für mich fehlte in dieser Debatte, dass der Osten als westdeutsche Erfindung sich aus der westdeutschen Erfindung seiner selbst als normgebendes Vorbild ergibt, das es gewohnt ist, kritikresistent alles nach seinem Ebenbilde zu formen. Der Westen dreht sich um sich selbst. Und als Gravitationsmagnet muss sich dann alles um ihn drehen.“

Der unsichtbare Rassismus

Eine Analyse, die verblüffende Einsichten nach sich zieht. Denn wer sich selbst als Maßstab setzt, bestimmt, wer dazu gehört und wer nicht. Und auf einmal wird auch Susan Arndts ganz spezieller Blick auf das deutsch-deutsche Ungefüge spürbar.

Aufgewachsen in Magdeburg, hatte sie ein Lehrerstudium in Berlin begonnen und geriet dann 1990 mitten hinein in die westdeutsche Bewertungsorgie, die alle ostdeutschen Abschlüsse unter Verdacht stellte. Das halbe Studium noch einmal wiederholen? Oder doch einfach umsteuern und das studieren, was ihr in der DDR nicht möglich gewesen war? Anglistik. Und zwar gleich in London.

Ein London, das der „gelernten“ DDR-Bürgerin schnell zeigte, dass noch ganz andere Themen die schöne neue Welt durchwaberten, die die DDR-Bürger da 1990 Hals über Kopf frei Haus haben wollten. Heute lehrt sie Englische Literaturwissenschaft und Anglophobe Literaturen an der Universität Bayreuth und beschäftigt sich mit den rassistischen Stereotypen, die auch in weltberühmten Romanen stecken. Man denke nur an „Robinson Crusoe“.

Und wenn man erst einmal aufmerksam darauf geworden ist, merkt man schnell, wie im Grunde alle Diskriminierungserfahrungen auf dieselben Schemata der Abwertung, Ausgrenzung und Ausbeutung zurückgehen. Eine Wahrnehmung, die sich auch Susan Arndt erst erarbeiten musste, die in ihrer ersten Zeit in England auch die entsprechend beschämenden Erfahrungen machte.

Denn dass auch die Gesellschaft der DDR eine zutiefst rassistische und diskriminierende war, war ihr trotz ihres Aufbegehrens im Revolutionsjahr 1989 nicht bewusst.

Nicht nur der Antifaschismus war ja regelrecht verordnet worden, ohne dass in 40 Jahren die Folgen des Nationalsozialismus wirklich aufgearbeitet worden waren. Auch die „Völkerfreundschaft“ war nichts als Deklaration, während Rassismus überall im Land präsent war. Und dasselbe galt für die „Gleichberechtigung der Frau“, die zwar deklariert wurde, weil man Frauen dringend als Arbeitskräfte brauchte.

Aber Gewalt gegen Frauen war öffentlich genau so wenig thematisierbar wie ein wirklicher Feminismus. Von den autoritären und patriarchalen Zügen der SED-Herrschaft braucht man da gar nicht zu reden.

Unsichtbare Diskriminierungserfahrungen

Und so wundert es auch nicht, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Wähler dann im März 1990 lieber wieder eine väterliche Führungsfigur, die schnelle Einheit, die DM und den schnellen Konsum wählte, ohne groß darüber nachzudenken, was das eigentlich für die großenteils tatsächlich marode Wirtschaft der DDR bedeutete.

Ergebnis: Eine für die meisten Menschen harte Transformationszeit. Eigentlich eine Zeit, in der alle was hätten lernen können, wie man so eine Transformation meistert und durchsteht. Aber übrig geblieben ist doch wieder nur die westdeutsche Art, auf die Ostdeutschen herabzuschauen.

So betrachtet, haben viele Ostdeutsche ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen gemacht – und machen sie auch heute noch. Und erleben oft genug, wenn Westdeutsche das Gespräch an sich reißen, auch noch alle quicklebendigen Vorurteile, wie sie die reiche Westverwandtschaft auch schon in DDR-Zeiten kultivierte. Und so treffen eben oft Diskriminierungserfahrungen auf Diskriminierungserfahrung. Und diejenigen, die diskriminiert werden, merken es.

Die Diskriminierer dagegen oft gar nicht. Sie haben die Abwertung der Anderen tief verinnerlicht – sei es die in rassistischen Denkmustern, sei es die in den nie aufgearbeiteten kolonialen Bezügen. Aber auch die Diskriminierung von Frauen und queeren Menschen gehört hierzu.

Alles Hierarchisierungen, mit denen Machtgefälle konstruiert werden. Sie sitzen tief in den Grundgerüsten unserer Gesellschaft und sind für viele Menschen gar nicht sichtbar, weil sie nie darauf geachtet haben.

„Zum kleinen Einmaleins gehört es, Diskriminierungen als systemisch zu verstehen“, schreibt Susan Arndt. „Aus der Tiefe der Geschichte heraus haben sich Machtstrukturen etabliert, die bis heute wirksam sind. In allen Poren der Gesellschaft. Und mit Auswirkung auf die Sozialisierung jedes einzelnen Menschen. Die einen profitieren davon, sind privilegiert. Die anderen bleiben daraus ausgeschlossen, werden diskriminiert. Das passiert völlig losgelöst davon, ob Einzelne das (sehen) wollen oder nicht.“

Das Kochrezept der AfD

Und es ist missbrauchbar. Das ist das Kochrezept der AfD. Sie heizt die Diskrimierung von Menschen an, stachelt die Schwachen gegen die noch Schwächeren auf, obwohl sie im Kern eine radikal neoliberale Partei ist, die nicht das Geringste für arme Menschen übrig hat. Ihr Weltbild ist mittelalterlich. „Die Visionen der AfD stellen Frauen an den Herd, unterwerfen Geschlechterdiversität Normierungstherapien, beenden die Asylgesetzgebung, grenzen behinderte Menschen aus und eskalieren die Armut“, schreibt Arndt.

Das Zukunftsbild der AfD ist eine diskriminierende Gesellschaft mit einem noch radikaler zurückgeschnittenen Sozialstaat. Tatsächlich dockt diese Partei mit ihren geschürten Ressentiments an dem bei ziemlich vielen Ostdeutschen existierenden Gefühl an, selbst diskriminiert zu sein, nicht ernst genommen zu werden oder mit den Erfahrungen aus einem ganzen Leben trotzdem nicht als vollwertiger Bundesbürger akzeptiert zu werden.

Das Verfertigen des „Ostdeutschen“ durch alte, nie hinterfragte westdeutsche Stereotype hat brachiale Folgen. Aber es erschafft eben nicht „den Ostdeutschen“, wie er als Karikatur nicht nur in westdeutschen Satiresendungen auftaucht. Denn zwei Drittel der Ostdeutschen haben gar nicht vor, AfD zu wählen.

Viele haben eher Erfahrungen gemacht wie Susan Arndt und den Herbst 1989 tatsächlich als Befreiung erlebt, als einen Moment der Selbstermächtigung, mit dem ein „vormundschaftlicher Staat“ (Rolf Henrich) hinweggefegt wurde und jede und jeder Einzelne die Chance bekam, das eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Und – trotz Rückweisung und Blessuren – den eigenen Weg zu gehen.

Dass die AfD (nicht nur mit ihrer Rhetorik) ausgerechnet die so schwer errungene Demokratie aushöhlt, die EU zerstören und die so wertvollen Freiheiten für jeden Einzelnen wieder abschaffen will, löst nicht nur bei Susan Arndt regelrecht Wut aus. Von den Lügenmärchen der rechtsradikalen Partei über den Zustand der Demokratie ganz zu schweigen. Die hohen Wahlergebnisse für die AfD im Osten suggerieren dann auch noch, dass „die da im Osten“ irgendwie alle unfähig sind für die Demokratie.

Was dann wieder – wie Susan Arndt erzählt – die Vorurteile westdeutscher Gesprächspartner hervorruft, die nicht einmal merken, dass sie auch nur in Vorurteilen baden, wenn sie die AfD zu einem ostdeutschen Phänomene erklären, obwohl diese rechtsextreme Partei vor allem von westdeutschen Chargen gesteuert wird und längst auch in allen westdeutschen Parlamenten sitzt.

Entwertete Lebenserfahrungen

Diese Partei ist ein gesamtdeutsches Problem. Und sie den Ostdeutschen geradezu zum Vorwurf zu machen, verschlimmert das Problem nur, weil es Ursachen und Triebkräfte dieser rechtsradikalen Partei ignoriert.

Und ebenso ignoriert, dass sich die meisten Ostdeutschen weder mit dieser Partei noch mit dem üblichen Bild vom „Ossi“ identifizieren können. Und berechtigt wütend und gekränkt reagieren, wenn sie von denkfaulen Westdeutschen immer wieder in dieses Schema verfrachtet werden.

Sodass es gar beschämend ist, sich als ostdeutsch zu artikulieren, wenn man dabei sofort in die rechte Ecke gesteckt wird, während die ostdeutsche Revolutionsgeschichte einfach negiert wird. Und damit auch die Lebenserfahrung der Millionen Ostdeutschen, die sich durch die Transformation gekämpft haben, die die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht haben und die Demokratie aufgebaut.

Und die nachvollziehbarerweise fürchten, dass das so schwer Errungene durch neue Antidemokraten wieder kaputtgemacht und in etwas verwandelt wird, was all die bedrückenden Erinnerungen an Bevormundung, Gängelei, Kontrolle und Disziplinierung wieder wachruft, die für Ostdeutsche bis 1989 zum Alltag gehörten.

Dahin wollen die meisten Ostdeutschen ganz bestimmt nicht zurück. Und ihnen gibt Susan Arndt mit ihrer Intervention hier eine Stimme – recht kämpferisch gerade da, wenn es um das Bewusstmachen von Diskriminierung geht. Denn wenn wir das selbst nicht sehen wollen, verstehen wir auch die Mechanismen nicht, die dahinter stecken. Und können es auch nicht ändern. Aber man muss einen Sinn dafür entwickeln, um die Diskriminierungsrhetorik in den Sprechblasen der AfD-Politiker wahrzunehmen.

Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, in der wir einander nicht mehr diskriminieren (müssen)? Das ist eigentlich die Frage.

Aber die Antwort findet man ganz bestimmt nicht im Wahlprogramm der AfD.

Susan Arndt „Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD. Eine Intervention“ C. H. Beck, München 2024, 16 Euro.

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Susan Arndt (m/w/d) pflegt sehr schön weiter Narrative. Z.B. “ostdeutsch” (vgl.: liegt Rostock in Norddeutschland, oder genauso im Osten wie Görlitz – wo verortet man erst Plauen? – Sind die Leute in Rostock / Plauen / Görlitz ähnlich charakterisierbar?!), die sie eigentlich kritisiert. Oder wollte Susan Arndt auch mal so ein cooles Buch wie ihr Gatte (m/w/d) verkaufen? Als gelernte Diplomlehrerin (m/w/d) kommt man wahrscheinlich nicht auf die Idee daß der Aufstieg der AfD etwas mit dem Versagen der bisherigen Regierungsparteien zu tun hat. Regierungskonforme Wissenschaft eben. Regierungskritik gleich null. Haben gar eklatante ökonomische Nachteile die Zonis alternativ wählen lassen? Kaum Worte zum Materiellen.

Und was für Belege hat der Autor für derlei Absätze:

“Nicht nur der Antifaschismus war ja regelrecht verordnet worden, ohne dass in 40 Jahren die Folgen des Nationalsozialismus wirklich aufgearbeitet worden waren. Auch die „Völkerfreundschaft“ war nichts als Deklaration, während Rassismus überall im Land präsent war. Und dasselbe galt für die „Gleichberechtigung der Frau“, die zwar deklariert wurde, weil man Frauen dringend als Arbeitskräfte brauchte. Aber Gewalt gegen Frauen war öffentlich genau so wenig thematisierbar wie ein wirklicher Feminismus. Von den autoritären und patriarchalen Zügen der SED-Herrschaft braucht man da gar nicht zu reden.” Nicht nur daß sich Frauen problemlos von ihren gewalttätigen Partnern trennen konnten und dies auch taten, so wurde auch der NS Schmutz schon recht zeitig per Henker oder Schulbildung aufgearbeitet. Sicher nicht so gut wie im Rest der Welt (vgl. Braunbuch). Rassismus überall in der DDR, echt? Völkerfreundschaft gab es nicht? Verhöhnen Sie bitte gerne weiter, macht die AfD übrigens recht ähnlich. Anglistik konnte man in der DDR nicht studieren? Stimmt Englisch konnte niemand in der Zone. „Aus der Tiefe der Geschichte heraus haben sich Machtstrukturen etabliert…” – bleibt zu hoffen daß solche Sätze in Bayreuth nicht auch noch als wissenschaftlich angesehenen werden. Genug. Erfreuen wir uns an bunten Buchstaben und an bürgerlichen Racisten (West- Ostdeutsch ist nunmal eine oberflächliche Unterscheidung nach Herkunft) mit Prof. Titel die gerne über Rassismus schreiben und ihn nebenbei zementieren.
Rassismus gibt es tatsächlich in allen Parteien (und deren unterstützenden Medien), bei der AfD halt völkisch ausgeprägter, bei anderen mitunter eloquenter. Beispielhaft finden sich Antidemokraten, die durch Bevormundung, Gängelei, Kontrolle und Disziplinierung Politik machen ausreichend im BT oder in den zwei benachbarten freistaatlichen Landtagen. Mit einem Wümschen in Wochenende. Hearst

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