Skepsis ist die Grundlage von gutem Journalismus. Deswegen sind gute Redaktionen in der Regel „Horte des kritischen Geistes“, wie Wolfgang Herles in diesem Buch schreibt, mit dem der 75-Jährige die Bilanz seines Journalistenlebens zieht. Und erzählt, wie es war. Ungemütlich natürlich. Wie sonst. Aber er erzählt auch von einer Zeit, in der Journalismus noch gut finanziert war und Recherchen auch mal Geld kosten konnten. Und Intendanten sich auch vor kontroversen Themen nicht fürchteten. Das gibt dem Buch bis kurz vor Schluss seine Spannung.

Als hätte den Autor dann seine eigene Skepsis verlassen. Obwohl er ja weiß, warum die deutsche Medienlandschaft derart verarmt und flach geworden ist. Er schreibt es ja auch: „Zugegeben, Zeitungen befinden sich heute in einer schwierigen ökonomischen Lage, aber das erklärt nicht, warum sie sich in Mainstream-Postillen verwandelt, Merkel haltlos bewundert haben und der Ampelkoalition nach dem Mund schreiben. Was ist seither geschehen – mit der Zeitung, mit mir?“

Das „Aber“ im Satz ist leider falsch, denn die „schwierige ökonomische Lage“ erklärt eben auch das. Die Formel ist eh zu schwach. Denn dahinter steckt ein regelrechter Abbau von bezahlten Journalisten in allen Redaktionen. Damit ging nicht nur Vielfalt und kompetenter Streit verloren, sondern auch Kompetenz auf vielen Spezialgebieten. Auch auf dem der politischen Berichterstattung.

Und gleichzeitig haben sämtliche Zeitungen an Wahrnehmung verloren, denn mit dem Triumph der „Social Media“ zählt nur noch Geschwindigkeit. Wer zuerst kommt, wird wahrgenommen. Das ist tödlich für jeden seriösen Journalismus. Denn Journalismus braucht Zeit – zum Recherchieren, Quellenbefragen, Einordnen, Faktenchecken.

Das muss hier angefügt werden, weil das Ende von Herles’ Buch ein bisschen frustriert. Das hätte er nicht nötig gehabt. Nicht nach so einem erfolgreichen Journalistenleben. Auch wenn besonders der Frust gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber ZDF groß ist, gegen die Willfährigkeit mancher Intendanten und Chefredakteure, die sich von Anrufen aus dem Kanzleramt einschüchtern ließen und lieber den Druck nach unten weitergaben, als ihre Leute zu verteidigen. Auch wenn diese manchmal bissig sein konnten und auch den Kanzler nicht schonten.

Hinter den Kulissen

So gesehen ist Herles’ Buch auch ein Einblick in die (Macht-)Strukturen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Folgen, die es hat, wenn sich Politik einmischt und Rundfunkräte glauben, sie müssten ihre Aufsichtspflicht über das Gesendete politisch interpretieren.

Was eben meistens heißt: opportunistisch. Denn natürlich ist kritischer und genauer Journalismus nicht gemütlich. Er kann weh tun, kann die Luftschlösser der Politik zertrümmern, Seilschaften ertappen oder Politiker genauso fehlbar und voreingenommen zeigen wie ihre Wähler.

Erst recht, wenn er – wie bei Wolfgang Herles – über Jahrzehnte die Kontakte bis in die Parteispitzen aufgebaut hat, die einen Blick hinter die Kulissen erlauben. Wenn Journalisten nicht hinter die Kulissen sehen, sehen sie nichts. Womit man wieder bei der Einleitung wäre: Wenn nur kommentiert wird, was die Fassade zeigt, wird der ganze Journalismus oberflächlich. Beifall-Journalismus. Ohne Biss.

Da Herles seinen ganzen Werdegang erzählt – von der Kindheit in Tittling und den frühen Begegnungen mit der lokalen Politik über Studium und den Einstieg beim ZDF, wird ein ganzes Zeitalter des (west-)deutschen Journalismus besichtigt. Man könnte es fast schon das Goldene nennen. Auch deswegen, weil TV und Zeitungen noch Platz boten für die großen Auseinandersetzungen der Zeit. Für Analysen und Reportagen. Für den skeptischen Blick.

Noch waren Intendanten nicht besessen von Einschaltquoten und hatten auch noch nicht damit begonnen, kritische und „schwer bekömmliche“ Sendungen in den späten Abend oder gar die Nacht zu verschieben. Noch blubberten auf den Hauptsendeplätze keine Krimis und Talkshows. Ein Gerede, das nur noch darüber hinwegtäuscht, dass Politik hier nur noch wie Seife und Zahnpasta verkauft wird, aber weder erklärt noch hinterfragt.

Natürlich eignet sich das Format Talkshow überhaupt nicht, um Politik zu erklären. Oder den Staat und die Handlungen seiner Protagonisten. Dazu braucht es ganz andere Formate, gut recherchierte Beiträge und Dokumentarfilme, mit denen Herles sich in deutschen Fernsehen profiliert hat. Auch gerade dann, als er als Studioleiter des ZDF 1992 gehen musste, weil er den Bundeskanzler zu heftig kritisiert hatte.

Die Misere von Bildung und Medien

Das Drumherumreden war seine Sache nicht. Und natürlich hat er recht, wenn er schreibt: „Wer leicht zu gängelnde, manipulierbare Bürger benötigt, darf ihr Urteilsvermögen nicht auch noch schärfen. Bildung – nicht nur Ausbildung – wäre Basis selbstbewussten Widerstands. In diesem Kontext ist nicht nur die Misere der Schulen zu sehen, sondern auch die Verflachung der gebührenfinanzierten Medien.

Sie haben ihren Anteil an der Bildungskatastrophe, und die wiederum ist eine der Ursachen der Diskursschwäche der Gesellschaft, was wiederum der Demokratie nicht guttut. Der Mensch degradiert zum Verbraucher. Er konsumiert: auch das, was Politik und Kultur zu bieten haben. Die Massenmedien senken kontinuierlich das Niveau, die neuen Medien tun das Übrige und ruinieren die Kommunikation.“

Und da er weiß, worum es geht und warum das schon viel früher begonnen hat, verweist er hier auf Neil Postmans Klassiker „Wir amüsieren uns zu Tode“ von 1985.

Und es stimmt ja auch: Seit 1990 ist die Berichterstattung über Bonn und Berlin deutlich flacher geworden. Die deutsche Einheit hat dabei ganz und gar nicht geholfen. Die Berichterstattung über die deutsche Einheit und ihre absehbaren Folgen ebenso wenig. Herles hat Helmut Kohl damals an vielen Orten begleitet. Er hat ihn auch interviewt. Und hat beschreiben können, wie die Einheit nach Kohls Rezepten durchgepeitscht wurde – ohne einen Gedanken an die Kosten und daran, was diese Übernahme des Ostens eigentlich mit den Menschen macht. Welche mentalen und politischen Folgen das haben wird.

Heute haben wir den Salat, könnte man sagen. Und eine Republik, die sich daran gewöhnt hat, dass Politik keine Lösungen mehr vorschlägt und ihren Wählern nichts mehr abverlangt. Ergebnis: Ein Stillstand auf allen Ebenen. Über den zu berichten wäre. Faktenbasiert, kritisch. Aber dafür ist kein Platz mehr, keine Zeit, kein Geld. Man kauft lieber teure Sport- und Unterhaltungssendungen ein, um „das Volk, den großen Lümmel“ zu bespaßen. Herles: „Beim Fernsehen aber werden Bildung und Unterhaltung zunehmend gleichgeschaltet.“

Das Ende der Bonner Republik

Mit dem Senderauftrag hat das kaum noch etwas zu tun. Aber das hat Herles auch schon gemerkt, als er ein paar Jahre lang die Sendung „Aspekte“ moderierte und versuchte, dort zu zeigen, dass auch Kultur politisch ist. Und die gesamte Gesellschaft durchdringt. Danach hat er sich – wie er akribisch erzählt – verstärkt jenen Filmen gewidmet, die die Leute ins Bild brachten, die tatsächlich die Welt veränderten – Aktionäre, Manager, die berühmten Gründer aus dem Silicon Valley.

Man kann über diese Welt nur reden, wenn man sie tatsächlich kennt. Stichwort: Globalisierung. Die in deutschen Medien meist behandelt wird wie eine zufällige Krankheit, die man sich zugezogen hat.

Doch als die Globalisierung Fahrt aufnahm, lullten sich die Deutschen im schönen Schein vom „Ende der Geschichte“ ein – aus dem die meisten bis heute nicht aufgewacht sind. Die deutschen Medien trugen ihren Teil dazu bei, nicht nur beim Illuminieren „blühender Landschaften“ und der Ignoranz der simplen Tatsache gegenüber, dass Helmut Kohl 1990 seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.

Mit schwer wiegenden Folgen. „Es wird, das ist damals noch kaum jemandem klar, nicht nur die DDR abgewickelt, sondern auch die Substanz der Bonner Republik aufgezehrt. Die ‚innere‘ Einheit wird für wichtiger gehalten als der offene Diskurs um den Kurs des Landes.“

Es sind solche Sätze, die einen zustimmen lassen. Bevor Herles verallgemeinert. Das geht schief. Weil er dann immer wieder vom Skeptiker zum Ankläger wird und dieselben Fehler begeht, die er den Kommentatoren in den verflachten Medien vorwirft. Es passiert so schnell. Gerade dann, wenn man nicht mehr selbst im Feuer steht und mit Kamera und Mikro hinter die Kulissen gehen kann.

Mit den Leuten redet, die man nicht mag. Aber genau das müssen Journalisten. Auch das. Sonst sehen sie nur die Hälfte. Und schreiben dann Klimakatastrophe im Gänsefüßchen. Das hätte er sich sparen können. Denn andere Diagnosen stimmen ja. Etwa die zur „falschen, inneren Einheit“.

Clowns und Raubtiere

Dass er an der alten Bonner Republik als Erfolgsmodell hängt, betont er immer wieder. Damit kann er auch vergleichen. Und die neue, Berliner Republik kommt dabei schlechter weg. Sie ist nicht so überschaubar und eindeutig wie die im Bonner Wasserwerk praktizierte. Aber auch die Probleme, mit denen sie konfrontiert ist, sind andere. Bis hin zum neu aufflammenden Nationalismus nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Deutschland. Was zu untersuchen wäre. Trotz aller Blessuren.

Und dabei kann Herles auch von den eigenen Blessuren erzählen. Der Abschied vom Bonner ZDF-Studio 1992 ist für ihn der Knacks, der sein Leben als Journalist quasi in zwei Hälften geteilt hat. Aber er hat sich davon nicht entmutigen lassen, sondern jetzt eigene Wege gesucht, seine Filme zu machen, unabhängiger von dünnhäutigen Intendanten.

Aber er erzählt auch, dass ihm diese Dünnhäutigkeit fortan häufiger begegnete. Auch bei den Büchern, die er schrieb, und die im Grunde alle Bücher über die deutsche Republik und ihr schillerndes Personal sind. Hier konnte er aus seinen Erfahrungen als Journalist schöpfen. Und Typen zeichnen, wie sie in der realen Manege tatsächlich herumliefen. Hier hatte er ein paar mehr Freiheiten, die Macken beim Namen zu nennen. Bis auch die Verleger anfingen, dünnhäutiger zu werden.

Insgesamt sind Herles’ Erinnerungen ein spannendes Buch, weil er sein Werden als Journalist direkt hineinprojiziert in die teils dramatischen politischen Vorgänge der Zeit. Als Journalist ist man immer dabei, stärker involviert als die Leser und Zuschauer.

Man spricht mit den Tätern, den Opfern, den Akteuren, tritt ihnen auf die Füße. An vielen Stellen gelingt es Herles, diese Alltäglichkeit sichtbar werden zu lassen. Die es in dieser Intensität nicht mehr gibt. Denn wenn niemand mehr da ist, der den „großen Tieren“ auf die Füße tritt, dann dünnt (politische) Berichterstattung aus, wird zur Zirkusshow, in der die Auftritte der Clowns wichtiger sind als die Frage nach den Raubtieren im Käfig.

Goldene Zeiten

Aber wie gesagt: Am Ende leidet Herles selbst darunter, ist selbst zum Beobachter von außen geworden wie wir alle. Und stellt seine Diagnosen zur Berliner Republik ohne den täglichen Gang hinter die Kulissen. Da fehlt auf einmal seine Skepsis, die sich für einen Journalisten nun einmal nicht nur gegen „die da oben“ richtet, wer immer das sein mag, sondern auch gegen das eigene Tun und Wissen. Weiß man es wirklich? Hat man es selbst abgefragt? Hat man sich mit den Schauspielern der Politik auch da unterhalten, wo sie nicht mehr schauspielern können?

Schade. Das Buch hätte ein bisschen schlanker werden dürfen. Denn im Kern hat er ja recht. Auch in den epigrammatischen Sätzen im „Abspann“, von denen einer lautet: „Wer sich davon leiten lässt, was die Leute hören möchten, verfehlt seinen Beruf.“ Und so stellt er letztlich auch fest: „Unter heutigen Bedingungen würde ich nicht mehr Journalist werden wollen. Als ich es wurde, herrschten andere Verhältnisse. Ich erlebte goldene Zeiten. Glück gehabt.“

So kann man das auch sagen. Aber eine Gesellschaft, die über sich selbst Bescheid weiß, kommt ohne diese nervigen und skeptischen Journalisten nicht aus. Die alles infrage stellen, weil das nun einmal ihr Job ist. Die heiligen Kühe und die eigenen Diagnosen. In diesem Sinn sind Herles’ Erinnerungen ein sehr anregendes Buch. Und eine Ermunterung, immer skeptisch zu bleiben. Und zwar gerade dann, wenn scheinbar alles in „bester Ordnung“ ist.

Wolfgang Herles „Gemütlich war es nie. Erinnerungen eines Skeptikers“ LMV, Langen Müller Verlag, München 2025, 25 Euro.

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