Die wirklichen Dramen unserer Zeit spielen sich am Rande ab, fast unbemerkt von den meisten, gut versteckt, weil damit ein paar Leute, Konzerne und Aktienbesitzer gewaltige Gewinne machen. Denn dort werden unsere Lebensgrundlagen verhökert. Mit smarten Slogans und am Ende staatlicher Beihilfe, wenn es darum geht, Protest zu ersticken und die protestierenden Menschen zu kriminalisieren. Kann man daraus einen spannenden Thriller machen? Kann man. Und manche Leser dürften sich an ihre eigene Gegenwart erinnert fühlen. Und an die Gespenster hinterm Ort.

Gespenster, die sich ganz smart, nett und freundlich heranschieben und Pakete offerieren, bei denen Stadträten das Glitzern in die Augen kommt und sie ihren Grips sofort ausschalten, weil das alles wie Weihnachten klingt. Auch weil ihnen niemand beigebracht hat, dass Unternehmen keine Geschenke machen. Sondern knallharte Interessen verfolgen. Auch wenn sie behaupten, sie würden – wie hier – die Wasserversorgung in einem Nest namens Lüren wieder in Ordnung bringen.

Lüren, das ist die kleine Stadt, in der Roberto Böger (damals noch als Robert) aufgewachsen ist. Als Sohn eines Papierfabrikanten, der nach einem peinlichen Konkurs einfach verschwunden ist. Es gibt da also eine tief liegende Geschichte mit einem verschwundenen Vater. Und natürlich einem Sohn, der die Scham nicht ausgehalten hat und seinen Lebensmittelpunkt lieber woanders hin verlegt hat.

Auch wenn er eigentlich nirgendwo richtig zu Hause ist. Aber er hat auch noch ein anderes Problem, das er sich selbst nicht eingestehen will: Er hält feste Beziehungen eigentlich nicht aus. Die besten Bedingungen für ein Leben als Vlogger. Da ist er niemandem verantwortlich, kann sein eigenes Ding machen und für eine Sache kämpfen, die ihm wichtig ist. So wichtig, dass sich eigentlich sein ganzes Leben darum dreht.

Es ist das Wasser, um das er kämpft. Überall auf der Erde, wo gierige Konzerne sich den Zugriff auf die Wasservorräte der Menschen verschaffen. Und das in einer Zeit, in der sauberes Trinkwasser weltweit zur Mangelware wird. Man darf solche Meldungen nicht einfach überlesen, wie sie etwa am 16. August in der „Zeit“ standen: „Wasserversorger rechnen wegen Trockenheit mit mehr Engpässen. Kommunale Wasserversorger verzeichnen steigende Nachfrage während Hitzeperioden. Ein Großteil von ihnen geht davon aus, dass Wasser in Zukunft häufiger knapp wird.“

Beinah unsere eigene aufgeheizte Gegenwart

Das ist unsere Gegenwart. Hier in Deutschland. Und ist beinah auch die Gegenwart, mit der Tim Staffel in seinen Roman einsteigt. Das ist die Stärke seines Romans: Dass die Handlung anfangs in unserem Hier und Jetzt zu spielen scheint, in einer Welt, die sich zusehends aufheizt, sodass auch im Herbst noch die Hitze über dem Land brütet und der Regen ausbleibt, sodass die Wasserwerke Probleme bekommen, die Lieferung von Trinkwasser am Laufen zu halten. Erst recht, wenn die Kommune – wie dieses fast vertraute Lüren an der Laar – finanziell ausgeblutet sind und kein Geld haben, die lecken Wasserleitungen wieder in Ordnung zu bringen.

Es ist eine leider nur zu vertraute Welt. Wir sind auf diesem Weg. Und die meisten Leute nehmen das einfach hin, wählen immer wieder Politiker, die sich nichts dabei denken, wenn sie das Tafelsilber verkaufen. Und die keine Gedanken an die Zukunft verschwenden.

Anders als Roberto Böger, der um die ganze Welt reist, um mit seiner Kamera zu dokumentieren, wie raffgierige Konzerne sich an den Grundwasservorräten der Völker vergreifen, wie sie ganze Landstriche verwüsten, weil sie riesige Talsperren in fruchtbare Regionen setzen, um mit dem Wasser dann Geld zu machen. Oder – wie in Lüren – mit Bohrtrupps anrücken, um einen Aquifer anzuzapfen, um aus dem Wasser dann teures Trinkwasser in Flaschen zu machen.

Eigentlich wollte Robert nie wieder zurück nach Lüren, wo er eine Kindheit voller Scham verbracht hat. Doch als ihn die Nachrichten erreichen, dass das Wasser in Lüren knapp wird, fährt er trotzdem hin. Fährt im Grunde zurück in eine Vergangenheit, von der er nichts mehr wissen wollte. Und in eine Zukunft, in der alles immer schlimmer wird. Denn die Wasserknappheit in Lüren hat mit dem versiegenden Grundwasser zu tun. Und genauso mit dem Vertrocknen der Laar, die schon lange kein Flüsschen mehr ist.

Das Gefühl der Vergeblichkeit

Noch sprudelt die Güthoff-Quelle, die einst der reichsten Familie im Ort gehörte. Der alte Güthoff hatte Roberts Vater finanziell noch aus der Patsche geholfen, als er ihm seine insolvente Papierfabrik abkaufte. Inzwischen gehört die Quelle einem lange geheim gehaltenen Sohn dieses Mannes. Sein legitimer Sohn Jakob führt freilich noch immer das Leben des reichen Mannes, dem halb Lüren gehört und der es sich leisten kann, seinen Swimmingpool mit Wasser zu füllen, während in den armen Haushalten der Stadt längst das Wasser abgedreht wird. Das Lebensnotwendige.

Darf man das? Wie gesagt: Staffels Roman schrammt ganz dicht an unserer Wirklichkeit entlang. Wie viel Einfluss hat eine Kommune noch auf das eigene Wasser, wenn sie ihre Wasserwerke erst an den großen Wasserkonzern verkauft hat, der nun die Preise bestimmt und eigentlich nur an seine Rendite denkt? Das ist das Bedrohliche an der von Staffel gemalten Szenerie: Man kann das alles für möglich halten.

Denn in Teilen passiert es längst, haben sich große Konzerne Quellen und Grundwasserleiter gesichert, um aus dem Wasser teures Wasser in Flaschen zu machen. Während in den nahe liegenden Kommunen auf einmal Wasserknappheit herrscht und die Bürger – meist vergeblich – protestieren. Denn Besitz verpflichtet zu nichts. Besitz schafft Macht und Zugriff.

Und so wundert man sich auch nicht darüber, dass Roberto immer mehr das Gefühl verinnerlicht, gegen Windmühlen zu kämpfen. Sein Vlog hat riesige Zugriffszahlen. Tausende Menschen weltweit schauen zu, wenn er die Verbrechen der Wasserdiebe zeigt und versucht herauszufinden, wer eigentlich die Drahtzieher sind.

In dem Buch ist es ein gewisser Ken Brabeck, der Konzernchef von Dell’Aqua, der überall auf der Erde, wo er Zugriff bekommen kann, die Wasservorräte kauft und Roberto nicht nur ein Interview verweigert. Er lässt ihn regelrecht am langen Arm verhungern, zeigt ihm, dass Geld Macht und Einfluss bedeutet. Und wie machtlos gerade all jene sind, die sich im Kampf gegen den Wasserraub engagieren.

Das Land und das Wasser darunter

Auch so ist es eine Geschichte über unsere Gegenwart, in der sich Aktivisten, die für die berechtigsten Anliegen auf die Straße gehen, am Ende immer wieder radikalisieren, weil all ihre Demonstrationen, Protestaktionen, Vlogs und Blogs zwar eine riesige Aufmerksamkeit erzeugen – aber nichts ändern. Politiker drehen sich um, tun so, als ginge sie das nichts an. Die Lobbyisten sitzen in den Vorzimmern der Minister und machen Angebote, „die niemand ablehnen kann“.

Oder marschieren mit Koffern und Anwälten in die Gemeindeämter und Bürgermeisterbüros. Machen blumige Versprechungen, reden die Lösung aller kommunalen Probleme herbei. Und wissen, dass die Unterschrift unterm Kaufvertrag die Machtverhältnisse gründlich umkrempelt. Jetzt gehört ihnen das Land und das Wasser darunter.

Und Staffel zieht alle Register, um eine derartige Okkupation der einst bei den Jugendlichen in Lüren beliebten Laar-Wiesen zu schildern. Es begint mit Zäunen, die die Bewohner der Stadt aussperren, geht mit Leitungen weiter, die das abgepumpte Wasser unter der Laar hindurchpumpen. Und es wird noch martialischer, als sich jemand wagt, mit roter Farbe „Dead Water“ auf die Wasserlaster und das Empfangszentrum zu malen.

Die Lage eskaliert. Stück um Stück. Auch das kennt man nur zu gut. Die Zäune werden höher, Stacheldraht kommt, der Wachdienst wird durch eine schwerbewaffnete Security-Truppe abgelöst, die mit gepanzerten Fahrzeugen durch den Ort fährt. Das kennt man so aus Deutschland vielleicht noch nicht. Aber in den Ländern des Südens, wo Roberto schon des Öfteren war, ist es heute meist schon Realität, werden die wertvollen Wasservorräte privatisiert von Konzernen, die rücksichtslos gegen die Einheimischen vorgehen, die Jahrtausende lang nichts zahlen mussten für ihr Wasser.

Mit Wasser kann man Menschen, Kommunen und Staaten erpressen.

Die Macht der Konzerne

Und Roberto ist ja nicht allein. In Lüren findet er echte Bewunderer seines Vlogs, vor allem Humphry, den Sohn seines einstigen Schulkameraden Jakob Güthoff, der an einer Lungenerkrankung leidet und immer eine Sauerstoffflasche mit sich herumschleppen muss. Und der selbst einen Blog betreibt, in dem er erstaunlich klarsichtig über sich und seine Mitwelt schreibt.

Er ist nicht der einzige, der dann mit Roberto die kleine Gruppe auf die Beine stellt, die mit ihren Aktionen verhindern will, dass der Dell’Aqua-Konzern Zugriff auf das Wasser unter Lüren bekommt. Doch das scheitert. Der Stadtrat knickt ein. Auch die Bürgermeisterin, Humphrys Mutter. Und Humphrys Vater Jakob verkauft auch noch in aller Stille die Laar-Wiesen an Dell’Aqua.

Es hängt also von wenigen Menschen ab, was mit dem Wasser von Lüren passiert. Dass sie in eigenen Zwängen stecken, wird auch nach und nach deutlich. Zwänge, die auch damit zu tun haben, dass selbst Kommunen nichts mehr entgegensetzen können, wenn riesige Konzerne, die keine Nationengrenzen mehr respektieren, erst einmal ein Auge auf die Ware geworfen haben, die sie unbedingt haben wollen. Da nutzen auch Robertos Vlogs nicht mehr.

Für ihn wird das zu einer ganz persönlichen Sache, die er mit Ken Brabeck abmachen will. Das gesteht er sich selbst noch nicht zu. Aber Sascha und Hetti, die beiden Frauen, die ihn lieben, spüren das und sagen es ihm ins Gesicht.

Es ist im Grunde auch ein Roman über eine Obsession, die hinter Robertos Aktivismus für die Wasserrechte der Menschen steckt. Eine Obsession, die aus der Kindheit stammt und die wieder Oberwasser bekommt, als er nach Lüren zurückkehrt. Als wäre da wirklich noch eine offene Rechnung mit dem verschwundenen Vater zu begleichen, eine Tat zu tun, die groß genug wäre, die innere Leere zu füllen.

Das ist der Punkt, als Roberto im Grunde den festen Boden verlässt, dem er sowieso nicht traut, weil er eine tief sitzende Angst vor tiefem Wasser hat. Obwohl er nur weiter berichten müsste. Denn hinter der Kamera fühlt er sich sicher, hat er Distanz auch zu den beängstigenden Vorgängen, die Lüren immer mehr zum Albtraum machen. Nicht erst, als die leergepumpte Erde unter Lüren einzubrechen beginnt oder die Security-Leute von Dell’Aqua durch die Stadt zu patrouillieren beginnen und Roberto eines Nachts überfallen und zusammengeschlagen wird.

Ein privatisiertes Menschenrecht

Es geht schon damit los, dass der Konzern nicht nur die Leute aus dem Wasserwerk entlässt, sondern gleich noch die Wasserpreise erhöht und den nun Arbeitslosen den Hahn abdreht. Wobei das Wasser sowieso nur noch sporadisch durch die Leitung kommt. Es wird so beiläufig erzählt, dass man gar nicht merkt, wie das Entsetzen wächst. Denn wenn Wasser privatisiert wird, hört es auf, ein Menschenrecht zu sein. Dann regiert der Preis. Und den diktiert der Konzern, dem der Grundwasserleiter gehört.

Es ist im Grunde schon gespenstisch genug, als Roberto, Humphry und ihre Freunde beginnen, auf einem leeren Grundstück große Taufänger zu bauen, um so kostenloses Trinkwasser zu gewinnen. Eine Idee, zu schön, um Bestand zu haben in einer Welt, in der Konzerne sich Konkurrenz auch schon mal mit Gewalt vom Leib halten. Es ist die Stelle im Roman, an der sich ein Autor entscheidet, ob er auf dem Boden der ganz gewöhnlichen Dystopie bleibt, jener Welt, in der wir in Teilen schon leben, machtlos gegen schwerreiche Wirtschaftsunternehmen, denen die Lebensgrundlagen der Menschen nicht egal sind, die sie aber rücksichtslos an sich reißen und zerstören.

Es ist Humphry, der das in seinen Blog-Einträgen immer wieder thematisiert. Er bewundert zwar den drei Jahre jüngeren und hochgebauten Kuno. Aber er selbst hat eine Klarsicht auf die Welt, wie sie selbst seine Eltern nicht haben. Und er beschreibt eigentlich unser fatales Jetzt, wenn er schreibt: „Früher haben sich Erwachsene allein durch ihre Kinder weniger sterblich gefühlt.

Sie dachten, sie würden in ihren Kindern weiterleben, deshalb haben sie sich Mühe gegeben, ihren Kindern etwas zu hinterlassen. Jetzt sind sie so davon besessen, sich selbst und ihren Status quo zu erhalten, dass nichts mehr übrigbleibt, das sie uns hinterlassen könnten. Wir sollen schweigen und nicken, weil sie das selbst am besten können. Sie fürchten sich zu Tode, aber vor dem Klima fürchten sie sich nicht.“

Das Gefühl der Ohnmacht

Am Ende schlägt dieses Klima zu. Nachdem Lüren schon monatelang – bis in den Herbst – unter Dürre und Hitze gelitten hat, schüttet es auf einmal drei Tage lang wie aus Kübeln. Die Laar tritt über die Ufer und überflutet die Stadt, die sowieso schon durch den ausgeleerten Grundwasserleiter absackt. Das könnte der Kulminationspunkt sein, das biblische Donnerwetter, mit dem auch Robertos Geschichte endet – und offen bleibt, wie das engagierte Vlogger, Blogger und Journalisten kennen.

Da können sie im Internet so viele Likes und Däumchen bekommen, wie sie wollen – wenn das in der Realität nichts ändert und gekaufte Stadträte, Bürgermeister und Politiker nicht einmal wissen wollen, was ihre Entscheidungen in der Zukunft anrichten., dann macht sich ein Gefühl der Ohnmacht breit, das auch die jungen Leute von heute nur zu gut kennen.

Humphry hat es eigentlich auf den Punkt gebracht und wurde durch sein Vorbild Roberto Böger eigentlich dazu auch gebracht, selbst aktiv zu werden. Nur hat dieser Roberto sein altes Trauma nie wirklich aufgearbeitet. So ass der Roman dann doch noch anders endet. In einem Showdown, von dem man eigentlich schon beim Lesen weiß, dass auch der nichts ändern wird. Dass man so den Gierigen und Unersättlichen, denen es nur um Profit geht, nicht beikommen wird.

Ein Roman, der bei aller Dramatik dazu anregt, über unser unentschiedenes Hier und Jetzt nachzudenken. Und was wir – die Frage stellt auch Humphry – bereit wären einzusetzen, wenn es um unser aller Lebensgrundlagen geht.

Tim Staffel „Wasserspiel“ Kanon Verlag, Berlin 2025, 26 Euro.

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