Vor dem Studium geht man ins Lager. Wir mussten das im August/September 1986 absolvieren. 14 Tage spätsommerliche Lagerhaft. Nein, ganz ernsthaft, Schlimmes auszuhalten hatten wir da nichts. Nur sowjetische Jugend- und Pionierlieder (die man heute höchstselten und wenn dann nur von angetrunkenen Kneipenbesuchern gesungen wiedererkennt) und endlose Volleyballspiele bis in die schnell dunkel werdenden Abendstunden. Als junge „Studierende“ hörten wir vom „Einfachen, das schwer zu machen ist“.

Lobten wir Brecht theoretisch den Kommunismus, ohne wirklich zu begreifen, was das ist. Als pädagogische Anwärter/-innen – wir fanden uns zunächst genauso stolpernd, wie man es spricht – sollten wir dazu gebracht werden, zu lernen. Anderen so etwas von etwas beizubringen, dass damit die Persönlichkeit wächst. Das Leben gelingt.

Mit einer verkürzten Vorbereitungs-Woche starten im August/September nach wie vor die meisten Bildungseinrichtungen unseres Landes. Frühstückt gemeinsam, tauscht Ferienerlebnisse aus, sinniert, reflektiert, konzipiert und korrigiert (schon wieder) Projekte, Terminpläne, Vorhaben im Jahr, Unterrichtsinhalte … Um der nachwachsenden Generation „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ angedeihen zu lassen.

Der Anspruch ist nicht weniger hoch als zu realsozialistischen Zeiten – das Einfache, das schwer zu machen ist. Schnell ist er nämlich wieder da: Der Lehrplan-Zeit-und-Noten-Druck, der so kompliziert zu bewältigen ist. (Wenn man(n) und frau sich Gesunderhaltung durch Sinngebung vom Leben erhofft.)

Sommerliche Restwärme steckte noch in den Schulen und anderen Tagesstätten bis weit in den Monat hinein. In meinem Fall mehr Restschwüle statt Schiller-Gymnasium. Kein gutes Klima, um die Heranwachsenden mit einer Riesenportion Lebensoptimismus zu überraschen, die selbst mit einer unsicheren Mischung aus Erinnerung und Erwartung die Klassenräume betreten.

Über den „Lehrstoff“ hinauszugehen, ist da schon fast ambitioniert zu nennen, es ist ja neben Klimakrise und Kriegen in gefährlicher Nähe auch noch das „Aufholen nach Corona“ zu stemmen. Am besten, man bleibt Realist und Realistin. Und anerkennt, dass unsere Zeit nicht die empathischen Firlefanzes ist.

„Schnulli“, wie der Ursachse sagt. Etwas Überflüssiges. Die Gesellschaft scheint sich nicht bunt, sonnig und vielfältiger zu entwickeln, sondern die Stärke eines Argumentes löst sich mehr und mehr auf in kleinen Stellungs- und Haltungskriegen.

Das Schwere, wie im Umkehrschluss des Brecht’schen Diktums, wird zum einfachen Behauptungszwang, als ginge jede Form von Realismus verloren. Allerdings: Nur das mehrheitlich erkannte und anerkannte Wort, plausibel und überzeugend vermittelt, macht Eindruck. Will man Gerechtigkeit Recht werden lassen.

Eine Wahrheit, die in die Binsen zu gehen droht. Vergisst man dabei, dass es Menschen sind, die miteinander umgehen sollen, finden wir uns demnächst evtl. in den Zeiten der Spätrenaissance wieder. Hoffnung bleibt dann wenigstens auf die „Geburt einer neuen Zeit“.

Das klingt pessimistisch, oder? „Angst erzeugt Angst“ höre ich die australische Schauspielerin Cate Blanchett in der Rolle der Elizabeth I. („Das goldene Königreich“) dem englischen Piratenkapitän Sir Thomas Raleigh entgegenrufen.

Eine kommunikationspsychologische Binsenweisheit, die im 16. Jahrhundert genauso galt wie im Jahrhundert der zweiten Elizabeth. Die kürzlich verstarb. Wieder wird man erinnert an das „Einfache, das schwer zu machen ist“.

Lösen wir uns ein wenig vom so eingefleischten Mantra, dass es reicht, sich selbst zu ändern, um die Welt zu bessern. Vielmehr den Versuch unternehmen, den Blick zum Nachbarn, zur Nachbarin, zum Vor-einem-Sitzenden und Gegen-Über ganz „einfach“ zu erweitern.

Um sich selbst den Wert der Mitmenschlichkeit zu bewahren. Auch wenn die Supermarktregale bereits das Weihnachtsgebäck präsentieren: Noch steht uns der goldene und heißer werdende Herbst bevor, in dem neue Bewährungsproben für Demokratie und Freiheit warten.

Hochpathetisch formuliert, ich weiß. Aber wenn sich unsere sich an diesen Werten orientierte Gesellschaft anderen (autokratischen) Lebensformen als überlegen auszeichnen will, müssen wir es im Umkehrschluss auch beweisen Untereinander – Miteinander – Füreinander. Jeden einzelnen Tag. Ganz einfach und doch so schwer. Ist das Kommunismus?

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