Glücklich, wer den Neujahrswünschen nach Erfolg, Zuversicht und Hoffnung selbst aktiv begegnen, frei von großen Belastungen an deren Verwirklichung arbeiten kann. Da bin ich wohl nicht allein, wenn ich sage, dass besondere und komplizierter werdende Zeiten auch mehr Aufmerksamkeit und Anstrengungen erfordern. 

Motiviert ist man, wenn mein fertig geschriebenes Theaterstück meinen Jugendlichen gefällt; sie es lesen, versuchen zu verstehen. Gerade oder obwohl (?) es mit Schiller zu tun hat, dem Namensgeber der Schule, dem „Moraltrompeter“ und Super-Idealisten. Ein Theaterbühnen-Muss und daher Stückversuch. 

Aber es sollte nicht die originellste Neu-Inszenierung eines alten Dramas sein. Oder werden. Besser wäre es, das fulminante Erstlingswerk des schwäbischen Feuerkopfes dorthin zurück zu verfrachten, wo es entstanden ist – in die Schule. Nun sind heutige Gymnasiast/-innen sicherlich nicht mit den Zöglingen absolutistischer Fürstenschulen des 18. Jahrhunderts zu vergleichen (Oder doch?) Aber ein eigenartiges Gefühl blieb dennoch in mir zurück, als ich mir letzten Herbst die „Räuber“ wieder vornahm.

Und als sie in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts in Deutschland Furore machten, jeder den „Revolutionär mit der Feder“ kennenlernen wollte, wurden anschließend oft direkt oder indirekt Systemfragen gestellt. Sind die Menschen im vorherrschenden System mehrheitlich glücklich? Leistet es die bestehende Gesellschaftsordnung, die Grundlagen materiellen Wohlstandes für ein ganzes Volk zu schaffen, schaffen zu wollen? Werden die ethischen
Grundlagen, die notwendig für eine moralisch gerechtfertigte Daseinsform des Volkes sind, von den
Herrschenden vorgelebt? Oder durch Ideologie und politische Instrumentalisierung ersetzt? 

Schillers „Räuber“ – „In Tyrannos“ („Gegen die Tyrannen!“) – überschrieben, gelten heute immer weniger als Riesenerfolg des jungen Dramatikers, wohl auch, weil sie vom Autor in einer folgenden Selbstrezension heftig zerfleddert wurden, Goethe sie außerdem irgendwie „unsexy“ fand in ihren gezeichneten Charakterbildern. Vor allem aber ernteten (und ernten) die „Räuber“ zunehmend mitleidiges Lächeln, wenn man sie in den Zeitkontext der folgenden Revolutionsereignisse in Frankreich setzte. Dort beriefen sich die Dantons und Robespierres der jungen Republik in ihrem vernunftorientierten Freiheitsrausch, mit der großen „Gleichmacherin“, der Guillotine, im Nacken, ausgerechnet auf das Sturm-und-Drang-Trauerspiel des „Monsieur Gille“ aus Deutschland. 

Verliehen ihm gar den „Ehrentitel eines Bürgers der Französischen Republik“ im Herbst 1792. Ein knappes halbes Jahr später kommentierte der entsetzte Schiller die Vorgänge in Paris mit den Worten „Ich kann seit 14 Tagen keine französische Zeitung mehr lesen, so ekeln diese Schindersknechte mich an.“ Vorbei war es mit dem revolutionären Idealismus … 

Liest man die „Räuber“ genau oder hätten sich vielmehr die Vernunftdiktatoren im damaligen Frankreich das Ende des Dramas, die Katastrophe, näher und selbstkritischer angeschaut, hätten sie wohl mitbekommen, dass gesellschaftlicher Veränderungswille und notwendige Systemkritik – „Gegen die Tyrannen!“ – bereits fehlerhaft, weil zu sehr Ich-bezogen, in den Grundanlagen der Räuber-Philosophie vorhanden waren. Als hätte Schiller bereits vor der gewaltsamen Umwälzung in Frankreich geahnt, welche Gefahren in dem Prozess eines Systemwechsels lauerten. Einige Jahre später wird er von den „niederen und zahlreicheren Klassen“ schreiben, in denen sich „rohe, gesetzlose Triebe“ zeigten, die nur zu „ihrer tierischen Befriedigung“ eilten. Der Staat müsse solche im Geiste Unfreien an „heilsame Ketten“ legen. Da war scheinbar der Traum von einer besseren Menschheit zu Ende geträumt. Schließlich war es die Freiheit selbst, die es nur in dem „Reich der Träume“ gibt. Für Schiller das Fazit eines zu Ende gehenden Jahrhunderts. Alles wie in seiner alten Schulzeit – nichts wird je besser werden. 

Ganz im Gegenteil, man kehrte wieder zurück zu den „alten Märchen und Weltgeschichten“ (Novalis). Wissen schien nur funktional und nicht welt-bewegend zu sein. Mystiker und „Teufelsaustreiber“ zogen wieder durch die Lande. Das Land selber war Jahre danach zerrissen und regional zerstückelt, keine einheitliche Nation, man brauchte den äußeren Feind, die Militärstiefel des korsischen „Revolutionskillers“ Napoleon, um selbst an nationaler Stärke zu gewinnen.

Und um zuletzt wieder als Spielball der europäischen (noch nicht überseeischen) Großmächte zu enden. Auf eine Revolution 1789 folgte ein über 20 Jahre langer Europa-Krieg, der den Kontinent wieder ins alte Regime zurückschleuderte. Dennoch waren die Ideen für eine bessere Welt da, die Unumkehrbarkeit der Aufklärung von Herz und Hirn nur noch nicht sozial-praktisch nachgewiesen. Sodass das Neue – auf Dauer und mit Recht – Altes, Menschenfeindliches überwindet. 

Mehr als genug Stoff, um aus Schiller-„Räubern“ etwas Zeitgemäßes zu konstruieren. Dazu muss man nur die Schule und deren Insassen zum Lesen bringen. Zur Motivation, sich mit den Geschichten aus der Geschichte zu beschäftigen. Liest man sie, versteht man sie – richtig oder falsch? Das war die Frage, wenn man beschreibt, was Schillers „Räuber“ in den Köpfen der heutigen Generation anrichten kann. Die sich zwischen Konsum, Ablenkung und Aktivität, Vision und möglichem Verrat von Visionen wiederfindet. Einer jungen Generation, die sich mit dem Ideal einer humanistischen und gerechten Welt identifizieren kann und will. Für die Freiheit kein Traum ist, sondern sie neben dem Recht auf selbige auch die moralische Pflicht zur Verwirklichung im sozialen Umgang einschließt. Wahrhaftig und verinnerlicht.

Frust und Wut auf ein kaltes, rationales System, so verständlich sie sind – zwischen Notendruck und oftmals nervendem Leistungsstreben – brauchen andererseits den Mut zum Gewinnen von Herzen und nicht deren Zerstörung. Mehr als lohnenswert, ihnen beim Lernen, Einstudieren und kreativen Spiel zur Seite zu stehen. Weil sie nicht nur die „letzte“, sondern vor allem die künftige Generation ist. 

Stoff genug für ein Jugendtheaterstück. Für den „Räuber-Komplex“.

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