LeserclubDie Wohnungstür fliegt fast aus den Angeln: „Aufmachen! Sofort!“ Die Türglocke schlägt an. Passt zwar nicht zum Getrommel an der Tür. Da wird jetzt auch noch dagengetrampelt, „Aufmachen! Sofort!“ Und dann, als hätte man es sich überlegt: „Aufmachen! Milizia! Sofort! Bistra!“ - Da hatte Herr L. ja schon die Klinke ergriffen und wollte die Tür ...

Aber wie das so ist mit wollen: Die Tür flog ihm direkt vors Gesicht. Wäre er nicht zurückgesprungen, es wäre sein zweites Nasenbluten gewesen. Dafür wurde er jetzt eingeschäumt. Aus vollen Rohren spritzte ihm der Schaum ins Gesicht, es brannte, klebte, ließ ihn völlig verschwinden.

„Harabtschuu“, wollte er sagen. „Sprotz“, wurde es, während er nun eine ganze Herde wildgewordener Einsatzkräfte an sich vorbeirammeln spürte: „Blatzda, aus dem Wech, Kanaillen, wo ist der Feuer! Sag’s!“

Aber was sollte Herr L. sagen, der triefend und völlig verschäumt in seinem eigenen Flur stand. Ja, Sie ahnen es schon, auch die eben trocken gebügelten Blätter in der Hand, eingeschäumt. Als wär’s Zündware. Dong, machte das schwere Gerät, das die Einsatzkräfte eben noch benutzt hatten, um den Feind zu bekämpfen.

„Wie channst du nur! Das ganze Haus ist verrückt, brennt’s bei dir und du machst Tür nicht auf. Vollidiot.“

Die Stimme kennt Herr L. natürlich. Mit Oleg hat er schon viele Runden gedreht durch sternklare Nächte. Ohne Oleg hätte er manchmal schon vor verschlossener Tür gestanden.

Und wenn er sich recht erinnerte, dann hatte Oleg, dieses Schlachtschiff von Einsatzkraft, auch schon drei, vier Mal so in seiner Wohnung gestanden. Einmal war es tatsächlich ein feuerentflammter Papierkorb, ein andermal eine vergessene Gans in der Röhre. Einmal nur ein Räuchermännchen. Das Räuchermännchen hat es damals nicht überlebt, die Gans erst recht nicht.

Aber was wäre er ohne Olegs feine Nase für Rauch?

Die hatte sich der Bursche mitgebracht. Aus der Ostukraine, sagt er. „Waren Tschetschenen“, sagt er dann immer. „Keine Russen?“ – „Ich kenne Russen, mein Freund, ich rieche gegen den Wind. Waren Tschetschenen, sag ich dir. Und wenn Tschetschenen kommen, pack deine Mascha und hau ab. Mein guter Rat.“

Daher diese feine Nase für Rauch. Damals, so hat Oleg gesagt, ist er nur knapp noch aus dem brennenden Haus gekommen. „War das nicht auf der Krim? In Odessa?“

„Red nich Blödsinn, sag ich dir. Wenn ich sag Ostukraine, du musst glauben, kapito?“

Wäre es mit Oleg nicht so schön, manchmal ein paar Gläschen zu trinken, Herr L. hätte sich vielleicht eine andere Wohnung gesucht. Eine, bei der er vielleicht nicht das Gefühl gehabt hätte, dass der aufmerksamste Nachbar der Welt alles mitkriegt – ob nun seine Weihnachtsgans verbrennt oder zwielichtige Typen mit Stoppelhaaren im Treppenhaus stehen und freundliche Grüße von besorgten Bürgern bringen wollen. Jüngst erst passiert, als Herr L. über einen Stadtrat mit Knasterfahrung schrieb. Nur mussten sie das mit den freundlichen Grüßen etwas kürzer fassen, weil Oleg – ordentlich im dreigestreiften Trainingsanzug – auf der Treppe erschien: „Kann ich helfen die Herren? Brauchen paar rote Ohren oder kaputte Nase? Müssen sagen, bin grad gut aufgewärmt wie ein Punchingball. Habt ihr gesagt, ihr Bubkis? Oder muss ich sagen?“

Da gab es zwei kurze, für diese Art Besucher sehr kluge Blicke sogar. Da staunte auch Herr L. Und fort waren sie, als hätten sie nie eine Botschaft zu überbringen gehabt.

„Wenn  ich dich nicht hätte, Oleg.“

„Heiße nich Oleg, weistu genau.“

Aber weil Oleg lieber seinen richtigen Namen nicht hören wollte, hatten sie sich auf Oleg geeinigt. Eigentlich wollte er lieber Wladimir heißen. So wie sein großes Vorbild. Aber als Herr L. ihn das erste Mal gesehen hatte, stand er wie Oleg Blochin im Tor: Schiebermütze auf dem Kopf, riesige Handschuhe. Da hatten sie zwischen den zwei kleinsten Zeitungen der Stadt um den begehrten Pokal der Kleinen Zeitung gekickt auf der Wiese. Nur hatten die Gegner von der kyrillischen Zeitung „Nasch L.“ getrickst und nicht ihren Sportreporter ins Tor gestellt, sondern Oleg alias Wladimir. Alias „Habe feine kleine Aufpasserfirma. Kannste alles anvertrauen. Alles propere Jungs.“

„Mit Speznaz-Erfahrung“, hatte L. gefragt. Er kann so etwas einfach nicht lassen. Aber da hatte „Nasch L.” schon haushoch vorn gelegen, weil Blochin keinen Ball ins Tor ließ. Und so hatte er den eher schmächtigen Herrn L. in seinem schlotternden Trikot eher liebevoll in seine Bärenarme genommen: „Ich weiß, wo du wohnst, Kanaille. Musst mir noch Einen ausgeben, hast du verstanden?“

Und da konnte er es endlich einordnen, warum es in der oberen Wohnung im Haus immer ein bisschen lauter zuging und spätabends auch immer ein wenig wehmütig, weil dann „nasch Rodina“ wieder einmal verloren war. In Moll. So traurig.

Es geht den Menschen wie den Leuten.

„Dein Cheimat auch weg, futsch, kapito? Deswegen ihr alle auch so traurig. Wir sind Brjuder, main Freund.“

Seitdem war das so: Ein Herz, eine Seele, ein Feuerlöscher.

„Chast du wieder rumgekokjelt, hab ich sofort gerochen. Du lebst gefährlich mein Freund.“

„Ich hab nur gebügelt.“

„Glaub ich gern. Hast du Geheimakte gebügelt. Seh ich doch.“

Schrecksekunde. Blasswerden. Aber das sieht Oleg ja nicht, so, wie Herr L. unterm Schaum erbleichte, den er trotzdem versucht, irgendwie loszuwerden. „Seh ich mit eine Auge, mein Freund. Steht Geheim drauf. Seh ich doch. Hast du wieder gemaust, weiß ich doch. …“

„Hab ich nicht.“

„Och, mir kannst du nicht verscheißen. Ich bin nicht säkssche Polizei. Die kannst auf Arm nehmen, wenn du willst. Oder willst du mich auf Armen nehmen?“

„Aber nur, wenn du den Feuerlöscher wegstellst ..“

„Wusst ich doch: Du bist gesund. Ist nix passiert.“

„Doch. Jetzt ist alles wieder nass. Und … Ich fass es nicht!!!“. Was Herr L. mit einem Auge, das gerade nicht brennt, sieht, ist ein Blatt voller zerlaufender Tinte.“

Wenn er nicht schon heulen würde, weil der Schaum ihm in den Augen brennt, er würde jetzt zum Schlosshund werden. Doch er wird nicht. Er legt die Blätter nur ganz vorsichtig zurück aufs Bügelbrett und geht erst mal duschen. Denn so, wie er aussieht, kann er heute nirgendwo mehr hin.

„Am besten, du liest es nicht“, sagt er noch, weil Oleg auch gern neugierig ist.

„Kein Sterbenswörtchen“, sagt Oleg. Und hängt schon mit aufmerksamen Äuglein über den Papieren, ehe Herr L. auch nur ins Bad verschwunden ist. Nur ist er sich sicher, dass Oleg den falschen Leuten zumindest nicht verraten wird, was da steht. Da haben sie schon lange genug miteinander gefeiert, um das zu wissen: Sie wohnen beide auf derselben Seite des Mondes, der Rückseite. Das hat Oleg gesagt. Und wüsste es Herr L. nicht, er würde nicht auch so gottergeben aus seinen klitschnassen Sachen steigen, während er es draußen rascheln hört, dann ein kurzes, animalische Uff.

Ja, und dann flog auch die Badtür mit Krachen auf.

Sie haben den Anfang verpasst?

Hier ist Teil 1, in dem Herr L. eine heiße Geschichte vergießt und aufbricht zu einem noch viel heißeren Termin
Warum Herr L. immer wieder aus seiner Arbeit gerissen und eine Geschichte wieder nicht geschrieben wird

In Teil 2 geht es um ein Knappdaneben, über das sich Herr L. gewaltig ärgern dürfte.
Entgleitet Herrn L. auch diese Geschichte wie ein Fisch?

Und in Teil 3 wurde die höchst misstrauische Staatsmacht aufmerksam auf sein Treiben.
Die nicht ganz unwichtige Rolle von Zerstreutheit und Koffein im Leben des Herrn L.

Und in Teil 4 gab’s auf einmal Ärger für zwei misstrauische Beamte
Eine ziemlich frustrierende Begegnung auf Bahnsteig 7 – aber für wen eigentlich?

In Teil 5 hat es ordentlich gescheppert und Herr L. bekam es mit einem misstrauischen Kollegen zu tun.
Gibst Du wohl her!

In Teil 6 ließ sich Herr L. mit einem Kaffee schon gar nicht erpressen.
Mit einem Kaffee lässt sich Herr L. nicht erpressen, aber das macht das Leben nicht leichter

In Teil 7 ging Herr L. den durchfeuchteten Kostbarkeiten zu Leibe.
Herr L. bügelt jetzt endlich ein paar durchfeuchtete Aktenstücke

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