Seit dem 12. April sorgt ein Beitrag der „Zeit“ zu internen Dokumenten von Springer-Chef Mathias Döpfner für ziemlichen Wirbel im Medienwald. Politiker äußern sich empört, fordern gleich mal den Rücktritt von Döpfner – von was auch immer. Als würde der Mann in Deutschland ein offizielles Amt bekleiden und nicht der Chef eines Konzerns sein, der stets zuallererst die Unternehmerinteressen der Inhaber vertreten hat und wie kein anderes Medienunternehmen seine mediale Macht dazu nutzte, politisch Einfluss zu nehmen.

Was ja weiland der SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder auf die Formel eindampfte, zum Regieren brauche er nur „Bild, Bams und Glotze“. Sein öffentliches Amt als Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger gab Döpfner im Mai 2022 ab, „Rücktritt ohne Reue“, titelte damals die „Sueddeutsche“. Der Anlass dafür war zumindest in Teilen sein Versuch, den ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt zu decken.

Dass auch zu Reichelt einiges in den von der „Zeit“ ausgewerteten Dokumenten steht, erzählt keine für diesen Konzern ausgefallene Geschichte, sondern eine typische. Affären kommen und gehen, das alte Denken bleibt.

Meinungen und Vor-Urteile

Und zu diesem alten Denken gehört auch all das, was Döpfner da als Meinung über die Ostdeutschen in diverse Zeilen packte, die die „Zeit“ und andere Medien nur zu genüsslich zitieren. Als wären diese Schablonen, mit denen große deutsche Medien auf den Osten schauen, nur eine Springer-typische Marotte. Und würden sich nicht auch in anderen großen Zeitungen finden, die in Hamburg, München und anderswo hergestellt werden.

Wie sehr die Westsicht auf den Osten mit all ihren Vor-Urteilen bis heute funktioniert, hat ja Dirk Oschmann in seiner geharnischten Streitschrift „Der Osten, eine westdeutsche Erfindung“ gerade erst auf den Punkt gebracht.

Ein Buch, das zumindest anklingen lässt, dass das Problem nicht nur in dieser Brille besteht, mit der der Osten zumeist nur als skandalträchtiges Medienfeld betrachtet wird. Sondern auch in einem medialen Ungleichgewicht. Das 1990 übrigens ganz systematisch produziert wurde, als die reichweitenstarken Bezirkszeitungen der DDR mit freundlichem Nachdruck der Treuhand verkauft wurden. Und zwar nicht an die Belegschaft oder die Redaktionen, die den kurzen Herbst der Revolution dazu genutzt hatten, sich endlich freizuschreiben, sondern an kapitalkräftige westdeutsche Konzerne. Auch an den Springer-Konzern.

Das Ergebnis ist eine Zeitungslandschaft, in der die verbliebenen regionalen Zeitungen des Ostens allesamt irgendeinem westdeutschen Verlagskonsortium gehören. (Und gleichzeitig mit ihren Auflagen dahinschmelzen wie Schnee an der Sonne.)

Und daneben eine „Bild“-Zeitung, die sich nur zu gern als des Volkes Stimme verkauft und die ganz große Keule herausholt. Slogan – o, welche Überraschung! – „Bild dir deine Meinung“.

Wer sich anhand dessen, was diese jahrelang auflagenstarke Boulevardzeitung als Sicht auf Deutschland und die Deutschen und die Ostdeutschen im Speziellen berichtete (bzw. nicht berichtete), seine Meinung bildete, dürfte heute nicht allzu weit entfernt sein von dem, was Mathias Döpfner in Mails und SMS so von sich gegeben hat. Und wer sich ganz naiv stellt, der hat auch von Günter Wallraffs Ausflug in den „Bild“-Kosmos als Hans Esser noch nie etwas gehört und gelesen.

Die Macht des Boulevards

Da schilderten Wallraff und seine Co-Autoren sehr anschaulich, wie die Boulevardzeitung „Meinung macht“. Denn für eine unabhängige Meinungsbildung ist Boulevard schon immer der falsche Platz und das falsche Instrument gewesen. Aber Boulevard funktioniert, weil er die Dinge auf scheinbar einfache, kantige und (sehr) leicht eingängige Formeln eindampft, Menschen mal zu Monstern groß schreibt, zu Versagern oder Supermännern (man denke nur an die goldige Kampagne „Wir sind Papst“).

Dass diese Zeitung je unparteiisch gewesen wäre, dürfte nicht einmal Gerhard Schröder gedacht haben, als er seinen Ausspruch tat. Aber er wusste, welche Macht der Boulevard entwickeln kann, wenn er mit Kampagnen Politik macht. Denn auch Demokratie funktioniert über Meinungen. Jede einzelne Wahl erzählt davon. Die allerwenigsten Wählerinnen und Wähler entscheiden rational, nicht mal im eigenen Interesse.

Die meisten folgen dem, was ihnen als (zu bildende) Meinung in schönen großen Überschriften und hemdsärmeligen Sprüchen vorgesetzt wird. Erst recht, wenn ihnen gleichzeitig Geschichten serviert werden, die den erklärten politischen Gegner zum Versager, Blindgänger, gar gierigen Enteigner stilisieren, der den Leuten das so mühsam Ersparte aus der Tasche ziehen will.

Meinungen macht man mit Stereotypen, mit schönen einfachen Schwarz-Weiß-Malereien, die die Welt in Gut und Böse teilen. Und in den Lesern die Emotionen auslösen, die sich dann in „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“ manifestieren. Es ist kein Zufall, dass Social-media-Portale wie Facebook nach demselben Muster funktionieren. Boulevard ist keine zufällige Erfindung, sondern die folgerichtige Entwicklung eines Medien-Denkens, das um die Manipulierbarkeit der Nutzer weiß. Und um ihre Vor-Urteile, bei denen man sie jederzeit abholen kann. Mit dem Satz „Jeder Mensch hat Vorurteile“, beginnt Martin Urban sein Buch „Wenn das Nachdenken ausfällt“.

Und genau da holen Boulevard-Medien ihr Publikum ab, bei seinen Vor-Urteilen. Sie spielen darauf wie auf einer Klaviatur, schüren sie, bestärken sie, machen sie zu Schlagzeilen. Das ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Und einer, mit dem man Politik machen kann.

Es ist auch ein Prozess, der selbst die Macher prägt. Denn was schwarz auf weiß gedruckt wird, wirkt überzeugend, überzeugt selbst die Leute, die vielleicht noch Zweifel hatten: „Es steht doch in der Zeitung!“

„Wir“!

Und es überzeugt die Zeilenproduzenten selbst. Denn sie leben ja in diesem Kosmos. Und das, was aus Bild-Redaktionskonferenzen nach außen dringt, klingt nicht wirklich nach dem Ringen um eine vielfältige und vielseitige Berichterstattung. Um das, was dann am Ende vielleicht eine Zeitung ergäbe, die ihre Leserinnen und Leser zum Nachdenken, Grübeln und Skeptischsein anregen würde. Denn der skeptische Leser ist ja nicht das erklärte Ziel dieses Medienunternehmens.

Von dem, was an Döpfner-Zitaten bekannt wurde, erzählt nichts davon. Der Mann steht pars pro toto für das ganze Medienunternehmen, das gern in einem königlichen „Wir“ berichtet, obwohl es im Zeitungsalltag das Teilen, Abspalten, Separieren zur höchsten Kunstform entwickelt hat. Und das Schablonieren. Denn: WIR wissen doch alle, wie der Osten tickt, nicht wahr?

Schulterklopfen und Schenkelklatschen inklusive. Von der gepflegten Verachtung ganz zu schweigen. Auch davon erzählen die Zitate von Döpfner, die ja an Mitarbeiter im Hause Springer gerichtet waren, also jenen Meinungskosmos zeigen, der im Haus als üblich gelten darf. Und da wird es deutlicher, denn in diesem Kosmos wird über das Wie entschieden: Wie berichten wir über das Land und seine Bewohner. Oder eben den Osten.

Und es macht einen gewaltigen Unterschied, ob der oberste Boss seinen Untergebenen erklärt, „Ostdeutsche seien Faschisten oder Kommunisten“. Oder ob er seinen Untergebenen den Auftrag gibt, wirklich herauszufinden, was da im Osten los ist. Wie die Leute da so ticken und denken und sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen. Was ein erfahrener Redakteur nämlich machen würde.

Aber wahrscheinlich eher bei anderen Zeitungen und Magazinen, wo es ja durchaus ein paar gibt, die wenigstens verstanden haben, dass man auch mal ein paar Leute rüberschicken müsste nach Sibirien, damit sie mit eigenen Augen sehen, was da los ist.

Geschliffene Brandmauern

Was nicht heißt, dass sie es dabei schaffen, ihre vorgefassten Sichtweisen loszuwerden. Denn auch Reporter sind nicht frei von Vorurteilen. Was auch in Leipzig sehr schön zu beobachten ist, wenn die ganze Medien-Karawane genau immer dann einrückt, wenn irgendein Skandal passiert ist, irgendein Nazi-Vorfall oder eine Katastrophe. Was dann ganz sicher auch zum skandalösen Bild beiträgt, das „der Osten“ in den großen Medien abgibt.

Nein, die Spaltung hat nicht mit den obskuren Wortmeldungen im internen Datenaustausch begonnen. Die Spaltung ist schon viel älter und beruht auf Bergen von Vor-Urteilen, die nicht nur in der Yellow Press ihre immer wieder neue Auferstehung feiern.

Und das Problem ist auch nicht, dass ein Chef im Hause Springer so mit seinen Untergebenen korrespondiert. Das Problem ist, dass tatsächlich Politiker und viele andere scheinbar seriöse Medien diese Boulevardzeitung mit den vier Buchstaben in den letzten Jahren immer weiter aufgewertet haben und immer öfter als seriöse Quelle betrachtet und zitiert haben. Selbst dann, wenn sich die Nachricht alsbald als Luftnummer oder übertriebene Interpretation herausstellte.

Als hätten einst ernstzunehmende Redaktion und Agenturen einfach alle Brandmauern eingerissen und ihre Ansprüche an die Verlässlichkeit einer Quelle immer weiter heruntergeschraubt.

Was dann wahrscheinlich zu der jetzt herrschenden Irritation beiträgt. Motto: „Das hätten wir nun aber nicht erwartet.“

Ja, was denn sonst?

Dass es dieses „Wir“ tatsächlich geben könnte und die „Bild“-Zeitung nicht emsig daran gearbeitet hätte, das Bild vom „Ossi“ zu konservieren, weil es so schön als Keule zu gebrauchen ist? Wie naiv muss man sein. Und wie leichtgläubig.

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